Manchmal gucken wir mit unseren Kindern Tagesschau. Nicht, weil wir sie dazu drängen – sondern, weil sie danach fragen. Sie werden groß; sie wollen verstehen, was auf der Welt passiert. Oft denken wir, wenn die Viertelstunde vorbei ist: War mal wieder keine gute Idee. Einmal hat einer unserer Jungs gefragt: „Ist denn die ganze Welt schlecht? Passieren da wirklich nur schlimme Dinge?“
Diese Frage bringt ein Gefühl auf den Punkt, das mich schon lange umtreibt und das bei vielen Menschen mittlerweile Magengrummeln erzeugt. Das Gefühl ist: Mit den Nachrichten, die wir hören und weitersagen, stimmt etwas nicht. Das bedeutet nicht, dass sie falsch wären, unseriös oder schlecht recherchiert. Das Problem ist eher, wie Nachrichten ausgewählt und wie sie erzählt werden.
Die Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel erklärt in ihrem extrem lesenswerten Buch „Wie wir die Welt sehen“, es sei wichtig zu verstehen, dass Nachrichten wie jene in der Tagesschau kein akkurates Abbild unserer Welt, unseres Kontinents, unseres Landes, dieses einen Tages sind. Sie seien eher eine Art Fehlerbericht. Sie zeigten uns, was an einem Tag schiefgelaufen ist.
Nur die halbe Wahrheit
Die Tagesschau, die Hauptnachrichtensendung der ARD, ist hochprofessionell gemacht und wird von erstklassigen Redakteurinnen und Reportern bestückt. Aber sie hinterlässt eben oft den Eindruck, dass die Welt ein Hort der Hoffnungslosigkeit ist, ein Quell der Katastrophen: Waldbrände und Zugunglücke, Terroranschläge und Inflation, Corona-Warnungen und Regierungschaos.
Auch bei Internetportalen wie spiegel.de kann man leicht den Eindruck gewinnen, einmal am Tag sei mindestens Weltuntergang (von dauererregten Boulevardmedien wie der Bild-Zeitung ganz zu schweigen). Angst und Streit bringen halt Quote und Klicks. Zudem sitzt die alte Journalistenregel „Only bad news are good news“ noch immer tief.
Aber sie passt nicht mehr in unsere Zeit. Und die schlechten Nachrichten sind eben auch nur die halbe Wahrheit. Sie vermitteln eine verzerrte Sicht auf die Welt. Wieviel zu düster das Bild der meisten Menschen von der Welt ist, wie sehr das ihr Denken und Handeln beeinflusst und wie sie das verändern können, hat der schwedische Wissenschaftler Hans Rosling in seinem großartigen Buch „Factfulness“ beschrieben. Dazu kommt demnächst noch ein eigener Text.
Gedanken, die helfen
Klassische Nachrichtenfaktoren belohnen das, was krass ist: besonders schlimm, besonders umstritten, besonders beängstigend. Je höher die Zahl der Toten, je heftiger die Wortwahl bei einer Beleidigung, je furchtbarer eine Experten-Warnung, desto größer die Chance, dass eine Meldung daraus wird. Der frühere US-Präsident Donald Trump, ein übler Demagoge, hat diese Mechanismen konsequent genutzt: Er hat permanent gelogen und gepöbelt – und damit die Schlagzeilen dominiert. Sein früherer Berater Steve Bannon nannte diese Taktik „Flood the zone with shit“. Und weil die Medien es zuließen, dass Trump sie mit seiner Scheiße überschüttete, blieb kein Platz mehr für alle Themen, die nicht destruktiv, sondern konstruktiv waren.
Ich möchte mit diesem Text für die Idee des konstruktiven Journalismus werben. Keine Angst, jetzt kommt kein medientheoretisches Kurzseminar. Nur ein paar Gedanken, die helfen könnten, die Welt etwas besser zu verstehen – und die Art, wie wir über sie hören, denken, sprechen, zu verändern.
Die Autorin von Wurmb-Seibel bringt die Idee des konstruktiven Journalismus in ihrem Buch auf die knackige Kurzform „Scheiße plus X“. Scheiße, so schreibt sie, steht für alles, was uns nicht gefällt – im Großen wie im Kleinen. Also für Krisen und Katastrophen, Kriege, Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit. Aber auch für private Sorgen, Stress im Beruf, Krankheiten, Streit und Nächte ohne Schlaf. Und das X steht für Wege, die helfen könnten, die Probleme kleiner werden zu lassen oder vielleicht sogar ganz loszuwerden.
Probleme und Lösungen
Wer konstruktiv berichtet, sagt also nicht nur, was schiefgelaufen ist. Sondern auch, wie es künftig besser laufen könnte. Konstruktiver Journalismus heißt nicht, Probleme zu verschweigen, zu verharmlosen, schönzureden. Sondern: sie zu benennen – und nach Lösungen zu suchen. Und Schritte aufzuzeigen, die auf dem Weg zu dieser Lösung ganz konkret passieren müssen.
In diesem Newsletter versuche ich genau das. Ich möchte aufzeigen, wie Veränderung eine Chance sein kann – im Kampf gegen die Erderhitzung, im Leben mit dem Krieg, im Umgang mit einer ungewissen Welt. Und ich interviewe Menschen, die mit ihrem Mut, ihrer Tatkraft und ihrem Engagement beweisen, wie Veränderung gelingen und was sie bewirken kann.
Konstruktiv auf die Welt zu schauen, verändert viel. Es weitet den Blick. Schenkt Hoffnung und Perspektiven. Motiviert dazu, sich einzubringen. Das ist wichtig. Denn um gigantische Probleme wie beispielsweise die Klimakrise zu lösen, müssen sehr viele Menschen ihr Denken und Handeln verändern. Sie müssen aktiv werden und mitmachen. Das passiert aber nur, wenn sie das Gefühl haben, sie könnten etwas bewirken. Und nicht, wenn sie sich ohnmächtig fühlen, weil sie denken, es sei eh alles nur furchtbar und hoffnungslos.
Und jetzt?
Die Kernfrage, die der konstruktive Journalismus stellt, ist ganz einfach. Sie lautet: Und jetzt? Konstruktive Geschichten fragen: Wer hat ein Problem, wie wir es gerade haben, früher schon mal gelöst – und wie? Wer löst es gerade in einem anderen Land – und was können wir von ihm lernen? Wo gibt es Fortschritte, die Mut machen?
Langsam werden solche konstruktiven Geschichten in deutschen Medien häufiger. Ich möchte dazu ermutigen, sie zu suchen. Und dazu, die herkömmlichen, auf die alte Art erzählten Nachrichten mit einem veränderten Blick zu betrachten.
Übrigens: Der konstruktive Blick hilft nicht nur beim Medienkonsum – und die Überbetonung des Negativen ist keineswegs nur ein Problem des Journalismus. Es steckt tief in uns: dass wir eher die schlechten Neuigkeiten als die guten erzählen.
Es gibt auch Gutes
Ronja von Wurmb-Seibel erklärt das in ihrem Buch anhand einer hübschen Anekdote. Sie erzählt, dass sie als Kind ihre Oma nur alle paar Monate gesehen hat, denn sie selbst wohnte in der Nähe von München und die Oma in Haltern am See, acht Stunden entfernt. Jedes Mal, wenn sie die Oma besuchte, berichtete die von schrecklichen Neuigkeiten: „Jemand war ausgeraubt worden, an Krebs erkrankt, hatte eine Fehlgeburt erlitten, einen Job verloren, war spielsüchtig geworden oder viel zu früh gestorben.“ Von Wurmb-Seibel erinnert sich noch heute an den Tag, an dem sie dachte: „Die armen Menschen in Haltern. Ständig passiert irgendein Unglück! Das Leben dort ist viel gefährlicher als bei uns zu Hause. Was haben die nur für ein Pech!“
Erst Jahre später begriff sie, dass das nicht stimmte. Dass es zwischen all den schlechten Nachrichten natürlich auch viel Gutes gab. Und dass ihrer Oma das Gute nur nicht spannend, nicht außergewöhnlich genug erschien – und sie es deshalb nicht erzählte.
Sind wir nicht alle ein bisschen wie diese Oma? Und: Was würde es verändern, wenn wir versuchten, konstruktiver auf die Welt zu schauen als sie? Wie wäre es, wenn wir künftig Gespräche beginnen mit der Frage: Na, was gibt’s gutes Neues?
So, liebe Leute: Zwei Bitten habe ich jetzt noch.
Bitte Nr. 1: Helft mir, die Idee des konstruktiven Denkens zu verbreiten. Teilt diesen Text auf Whatsapp und Facebook, Instagram und Twitter. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
Bitte Nr. 2: Falls Ihr meinen Newsletter noch nicht abonniert habt, holt das schnell nach. Tragt einfach hier Eure Mailadresse ein, dann bekommt Ihr automatisch alle zwei Wochen meinen neuesten Text. Immer über die Frage, wie Veränderung eine Chance sein kann:
Mein nächster Text über Veränderung kommt in zwei Wochen.
Bis dahin: alles Gute!
Andreas
Zuerst: Ich bin kein Journalist. Bin eben in einer Recherche auf Ihren newsletter gestoßen und habe ihn verschlungen, da er genau in die Richtung zeigt wie ich es auch fühle. Danke für Ihre Arbeit. sie ist für mich sehr inspirierend!
Ich bin auch auf der Suche wie wir das Miteinander fördern können. Gerade im "Kleinen", in der Nachbarschaft, im Quartier, in der Gemeinde im Kreis....
Darin sehe ich das "X", eine Möglichkeit sich über die "Scheiße" zu erheben.