Heute geht’s hier, pünktlich zum Ende der Winterpause, zur Abwechslung mal um Fußball. Und um die Menschen, die den Fußball lieben. Die Fans. Besonders um die von Werder Bremen – und von denen habe ich einige in meinem Freundeskreis. In den vergangenen Jahren, in denen sich Werder mit immer größerem Schwung von der Ersten in Richtung Zweite Liga bewegt hat, haben diese Kumpels arg gelitten. Nach jeder Niederlage haben sie beteuert, jetzt hätten sie endgültig genug von diesem Verein; kein Spiel würden sie mehr schauen – und ihr Sky-Abo, das hätten sie spätestens übermorgen gekündigt.
Aber dann konnten sie doch nicht loslassen. Saßen am nächsten Wochenende wieder vor dem Fernseher. Sahen das nächste 1:3. Und das 0:5 danach dann auch. Klagten lauter. Litten heftiger. Schimpften, fluchten, hätten am liebsten den Fernseher aus dem Fenster geworfen. Forderten Wochenende für Wochenende, dass jetzt aber wirklich der Trainer entlassen werden müsse – und der Geschäftsführer samt Aufsichtsrat am besten gleich mit. Wollten sich abwenden und wandten sich doch immer wieder zu. Waren gefangen in ihrer Liebe zum Verein.
Was die Kumpels so quälte, war im Kern: die Angst vor Veränderung.
Sie hatten die guten, alten Zeiten im Kopf: die Wunder von der Weser, die Triumphe gegen Maradonas SSC Neapel und gegen Real Madrid, die Spitzenspiele gegen den FC Bayern, den Gewinn des Doubles aus Deutscher Meisterschaft und DFB-Pokal 2004. Und die glänzenden Namen, die Werder immer geprägt hatten: Bratseth und Rufer, Riedle und Völler, Herzog und Basler. Mertesacker und Micoud, Özil, Diego und Ailton.
Die bedrohte Gewissheit
Jetzt fürchteten sie, dass das einst so große, stolze Werder zu einem traurigen Zweitligaklübchen verkümmert. Und dass sie montags im Büro nicht mehr über das dramatische Wochenendduell gegen Dortmund oder Leipzig plaudern können, sondern nur über Gruselkicks gegen Sandhausen oder Paderborn. Sie fürchteten, dass eine ewige Gewissheit zerbricht. Dass Werder, das seit 1981 immer erstklassig war, jetzt abstürzt – vielleicht für immer. Und dass die nostalgische Hoffnung, die guten, alten Zeiten könnten vielleicht doch noch mal wiederkommen, endgültig zerstört wird. Die Fans fürchteten, dass nach einem Abstieg nichts mehr so sein wird, wie es mal war.
Dann, im Mai vergangenen Jahres, wurde die Befürchtung zur Realität. Werder stieg ab. Die Veränderung, die die Fans immer gefürchtet hatten, war nun da. Aber das Erstaunliche war: Sie schien sie von Woche zu Woche weniger zu schmerzen. Sie verlor ihren Schrecken. Sie war offenbar gar nicht so schlimm wie gedacht.
Am Anfang redeten sich die Fans das natürlich auch noch ein bisschen ein: Hier unten ist’s viel cooler! Endlich keine Bayern mehr – die nerven doch eh, diese Geldsäcke! Hier, in der Zweiten Liga, da wird noch ehrlicher Fußball gespielt und nicht alles zugeschüttet mit Millionen aus der Champions League.
Anfang am Ende, hihi!
Aber nach und nach merkten sie: Das stimmt sogar fast alles wirklich. Das neue, veränderte Leben ist nicht nur ganz okay. Es ist manchmal sogar besser als das alte.
In der Zweiten Liga war Werder schließlich immer noch ein Klub für Schlagzeilen. Erst die Sache mit dem Trainer Markus Anfang und seinem gefälschten Impfpass. Polizeieinsatz! Skandal! Und dann die herrlichen Wortspiele: Anfang am Ende, hihi, haha, höhö! Da hat ganz Deutschland gelacht.
Dann der Nachfolger, der fast heißt wie sein Verein: Werner coacht Werder – das muss doch was werden! So gut hat ja ewig kein Trainer zu seinem Klub gepasst (okay, einen gab’s, damals, vor Ewigkeiten: Wolfgang Wolf in Wolfsburg, der wird niemals zu toppen sein).
Plötzlich tut es nicht mehr weh
Auch sonst schmeckte die Zweite Liga bald erste Sahne. Es gab viel mehr Nordderbys als in der Ersten Liga – und es gab nicht den Gurkenklub Greuther Fürth, der einem in seiner Schwäche ja schon fast peinlich sein muss. Außerdem gab es viel mehr Spannung als in der Ersten Liga, und es gab nicht den unendlich langweilenden Dauermeister FC Bayern – sondern einen Aufstiegskampf, bei dem zehn Mannschaften mitmachen.
Es stand auch nicht schon vor der Saison fest, wer Torschützenkönig wird. Und niemand musste rumjammern, dass er sich am Wochenende in der Liga überanstrengt fühlt, weil ihm noch ein sinnfreies Europa-League-Spiel vom Donnerstagabend gegen Lokomotive Moskau, Ludogorez Rasgrad oder den FC Midtjylland in den Knochen steckte.
In der Zweiten Liga tat es plötzlich auch nicht mehr weh, wenn die eigene Mannschaft nicht zauberte. Weil das da keiner macht. In der Zweiten Liga, das wissen wir doch alle, da wird gerannt, gekämpft, gegrätscht. Da geht’s halt rauer zu. Und Werder, das in der Ersten Liga so oft frustriert aus dem Wochenende gekommen war, lernte plötzlich wieder, ein Siegerteam zu sein. Und sogar mal deutlich zu gewinnen: gegen Ingolstadt und Heidenheim, Hannover und Aue.
Die Betriebsunfälle des Lebens
Klar, wie die Sache ausgeht, ist noch offen. Aber fest steht schon jetzt: Von den Werder-Fans können wir alle was lernen. Nämlich: mit den kleinen Betriebsunfällen des Lebens entspannter umzugehen. Das Leben, das durch diese Betriebsunfälle plötzlich anders ist, so zu nehmen, wie es dann nun mal ist. Das Gute im Schlechten zu sehen. Und, ja: sich auch mal das Unschöne schönzureden, wenn’s gar nicht anders geht.
Wir kennen diese Betriebsunfälle doch alle: Da ist die Tochter, die in Mathe immer eine Drei hatte und plötzlich lauter Fünfen nach Hause bringt; das Auto, das immer so zuverlässig funktioniert hat und nun schon das dritte Mal in einem Jahr teuer repariert werden muss; der Kick mit den Jungs in der Einfahrt, den man jahrelang souverän gewonnen hat – und der nun zunehmend in Blamagen endet (auch weil sie älter werden, aber eben leider nicht nur).
Es gab mal einen Fußballtrainer, der hat den Satz geprägt: „Lebbe geht weiter.“ Er hieß Dragoslav Stepanovic. Er war zwar nie bei Werder – aber trotzdem, auf seine Art, ein Großer.
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Bis dahin: alles Gute!
Andreas