Luisa Galli ist eine beeindruckende junge Frau. Sie war die jüngste Schülersprecherin Kiels – und engagiert sich im Jungen Rat der Stadt, im Bundesfamilienministerium und auf vielen Bühnen für die Interessen von Kindern und Jugendlichen. Im Interview hat mir die 17-Jährige erzählt, was sie antreibt und was sie durch ihre Arbeit verändern will.
Du bist mit 13 Jahren die jüngste Schülersprecherin von Kiel geworden. Wie kam es dazu?
Ich war schon immer ein sehr wütendes Mädchen. Ich habe mich schon immer schwergetan damit, Umstände einfach auszuhalten. Und ich hatte schon früh den Willen zur Veränderung. Also bin ich angetreten, als Achtklässlerin gegen drei Jungs aus der Oberstufe. Und ich habe gewonnen – obwohl es viel Widerstand gegen meine Bewerbung gab.
Was für Widerstand?
Ich bin in den sozialen Netzwerken sehr vulgär beleidigt worden – teilweise von Leuten, die sich extra dafür Fake-Profile gemacht haben. Mir wurde meine Kompetenz abgesprochen. Aber mein Wille und mein Selbstvertrauen waren stärker als die Pöbeleien. Also habe ich die Sache durchgezogen.
Hast du nie überlegt, deine Bewerbung zurückzuziehen?
Nee. Der Widerstand war zwar nervig. Aber er hat mir auch gezeigt, dass es auf der Welt immer jemanden geben wird, der das nicht feiert, was ich möchte. Und am Ende wurde ich halt gewählt. Ich hatte also die Mehrheit hinter mir. Und die, die gegen mich waren, waren nur eine sehr laute Minderheit.
Warum waren überhaupt Leute gegen dich?
Ich glaube, viel Widerstand kam von Jungs – wegen meines Fokus auf Feminismus. Ich habe mich schon früh für Menstruationsprodukte auf unseren Schulklos eingesetzt. Weil ich es unfair fand, für etwas Selbstverständliches Geld ausgeben zu müssen.
Was hast du als Schülersprecherin bewirkt?
Ich habe eine große Umfrage zum Thema Menstruation gestartet, um dafür zu sensibilisieren. Und ich habe Plakate aufgehängt. Jetzt sind die Menstruationsprodukte tatsächlich da. Ich bin immer auch eine Ansprechpartnerin für die jüngeren Kids. Wenn sie Sorgen haben oder Streit in der Klasse oder Ärger mit einem Lehrer, dann wissen sie, sie können zu mir kommen. Ich helfe ihnen. Wenn ich merke, dass eine Lehrkraft nicht angemessen handelt, suche ich das Gespräch mit ihr und sage auch schon mal: „Wenn Sie Ihr Verhalten nicht ändern, werde ich weitere Schritte einleiten.“ Ich kenne mich mit Rechten sehr gut aus.
Du hast eben gesagt, du warst schon immer ein wütendes Mädchen. Woher kam deine Wut?
Ich habe schon früh in meiner Kindheit gemerkt, dass Frauen nicht so laut sein dürfen wie Männer. Ich habe erlebt, wie patriarchale Strukturen wirken. Und mir wurde oft wegen meines Alters meine Kompetenz abgesprochen. Das hat mich total genervt.
Welche Rolle hat deine Migrationsgeschichte gespielt?
Ich habe eine ukrainische Mutter und einen italienischen Vater und bin in Deutschland geboren. In meiner ganzen Kindheit bin ich zwischen drei Ländern und drei Welten gependelt. Das war und ist eine große Bereicherung, aber es hat immer auch Schwierigkeiten mit sich gebracht. Meine Muttersprache ist nicht Deutsch, sondern Russisch. Ich musste also schon als kleines Kind kämpfen, um sprachlich mit den anderen mithalten zu können.
Wann hast du dann gemerkt, dass du deine Wut in Mut verwandeln kannst?
Ich habe nie versucht, die Wut in mir zu behalten. Sondern ich wollte aktiv werden. Ich glaube, Wut wird destruktiv, wenn man sie nicht nutzt. Aber sie kann eben auch sehr viel Kraft geben – und ein guter Wegweiser dafür sein, was die Themen sind, für die ich kämpfen sollte.
Wie meinst du das?
Ganz viele junge Menschen sagen mir: „Luisa, du machst so viel. Ich will auch was machen. Ich weiß aber nicht, wo ich anfangen soll.“ Ich frage dann immer: „Was macht dich denn wütend?“ Dann kommen Themen wie Rechtsruck oder Klimawandel. Und ich sage: „Super, dann kannst du eine Demo organisieren. Oder du kannst überlegen, was du in deinem Mikrokosmos, in deiner Familie gegen das Problem tun kannst.“ So wird immer aus dem Frust direkt die Motivation, etwas zu verändern. Wenn man Wut bewusst nutzt, kann sie viel Positives bewirken.
Mit 13 Jahren bist du nicht nur Schülersprecherin geworden, sondern auch in den Jungen Rat Kiel gewählt worden, den Kinder- und Jugendbeirat der Stadt.
Genau. Ich hatte einfach Bock auf mehr. Ich wurde im Jungen Rat direkt stellvertretende Vorsitzende und habe mit 15 den Vorsitz übernommen. Ich wollte nie groß rauskommen. Ich wollte nur die Themen sichtbar machen, die mir wichtig sind.
Was genau bewirkst du im Jungen Rat für Kinder und Jugendliche?
Mit einem Antrag habe ich beispielsweise dafür gesorgt, dass jeder Stadtteil hier in Kiel mindestens einmal im Jahr eine Ortsbeiratssitzung nur für junge Menschen abhalten muss. Diese Sitzung muss zu einer jugendgerechten Zeit stattfinden – und an einem Ort, an dem sich junge Menschen wohlfühlen. Das soll ihnen helfen, in ihrer direkten Umgebung mitzureden. Mein Antrag ist in der Politik nicht gerade auf Begeisterung gestoßen, weil er natürlich zusätzliche Arbeit macht.
Wie bist du damit umgegangen?
Ich habe klargemacht: Wir haben hier in Schleswig-Holstein eine Gemeindeordnung und die besagt, dass Kinder und Jugendliche beteiligt werden müssen. Ansonsten habe ich noch den Instagram-Account des Jungen Rats aufgebaut, um junge Menschen besser über unsere Arbeit zu informieren. Und aktuell beschäftige ich mich mit dem Stadtteil Gaarden, in dem es große Drogenprobleme gibt. Ich möchte die Menschen dort nicht stigmatisieren, sondern ich überlege, wie wir jungen Menschen ein Sicherheitsgefühl geben können. Ich nehme Probleme ernst und versuche immer, Lösungen zu finden.
Später bist du auch ins Bündnis für die junge Generation beim Bundesfamilienministerium berufen worden.
Ja, wegen meiner Arbeit im Jungen Rat wurde ich gefragt, ob ich nicht Teil des Bündnisses werden möchte. In diesem Bündnis sind fast 200 Persönlichkeiten aus dem ganzen Land vertreten. Als ich da reinkam, war ich 15 – und die Jüngste von allen. Wir treffen uns regelmäßig in Berlin mit der Bundesfamilienministerin – erst Lisa Paus, jetzt Karin Prien. Ich setze mich dort dafür ein, dass Jugendbeiräte stärker etabliert werden und dass Kinderrechte ins Grundgesetz kommen. Wir brauchen verbindliche Paragrafen, die festschreiben, dass Jugendliche beteiligt werden müssen.
Warum wäre es wichtig, dass Kinderrechte ins Grundgesetz kommen?
Weil wir durch den demografischen Wandel viel zu wenige junge Menschen sind. Und weil Kinder besonderen Schutz brauchen – und Sichtbarkeit. Es darf nicht länger sein, dass junge Menschen als klein und süß abgestempelt werden, aber nicht wirksam sein können.
Und warum wäre es wichtig, Jugendbeiräte stärker zu etablieren?
Weil Jugendliche dadurch spüren, dass sie etwas bewirken und in ihrer Umgebung etwas verändern können. Ich glaube, Selbstwirksamkeit ist der zentrale Begriff für meine Generation. Denn viele von uns haben den Eindruck, die großen Probleme auf der Welt sind fast unlösbar. Sie könnten schnell denken: Die da oben, die Politiker, die machen doch eh, was sie wollen. Viel besser aber wäre doch, wenn sie merken: Ich kann auch was tun. Ich habe eine Stimme und die kann ich einsetzen. Ich kann viel erreichen in der Welt, und ich kann dabei klein anfangen. Jugendparlamente sind ein perfektes Mittel gegen Ohnmacht, und sie stärken die Demokratie.
Wie müssten sie gestaltetet sein, damit sie wirklich etwas bewirken und nicht nur ein Alibi bleiben?
Sie müssten pädagogisch gut begleitet werden. Den Jugendlichen müsste zum Beispiel altersgerecht erklärt werden, wie sie einen Antrag stellen können. Und sie müssten die gleichen Rechte besitzen wie die Fraktionen im Rat. Mir geht es um Antragsrecht, um Stimmrecht, um eine Verbindlichkeit. Wenn die Jugendlichen Termine abmachen mit den erwachsenen Politikern, müssten diese auch eingehalten werden. Ich bin überzeugt davon, dass die Jugendlichen dadurch enorm viel lernen und schnell auf Augenhöhe kommen können. Schließlich habe ich das selbst erlebt.
Was, glaubst du, sind gerade die größten Sorgen junger Menschen?
Problematisch ist, wenn Politiker sagen, Deutschland ist ein sicheres Land und alles läuft super – und die Lebensrealität junger Menschen aber oft geprägt ist von Armut und Angst. Dieser Widerspruch kann schnell dazu führen, dass Menschen anfällig werden für Hass, Lügen und einfache Antworten auf komplexe Fragen. Die beiden Sorgen, die mir am häufigsten zugetragen werden, sind die Klimakrise und der Aufstieg der AfD. Ich mache dann Workshops in Schulen und überlege mit den Leuten: Was könnt ihr konkret für die Lösung dieser Probleme tun? Viele Jugendliche sind frustriert, weil sie erst ab 18 wählen dürfen – und sie fragen sich: Was kann ich denn schon machen? Ich sage ihnen: „Klar, Wahlen sind extrem wichtig, aber alles zwischen den Wahlen ist fast noch wichtiger. Du kannst jeden Tag etwas aus deinem Leben machen und helfen, die Demokratie zu stärken.“
Du hast den Satz geprägt: Politik beginnt auf dem Schulklo. Was meinst du damit?
Ich glaube, es ist kein Wunder, dass jedes Schulklo in Deutschland voll ist mit Stickern. Das Schulklo ist der einzige Raum in der Schule, wo man ungestört ist von Lehrkräften und so ein bisschen machen kann, was man will. Wenn junge Menschen Sticker dahinkleben, dann ist das für mich kein Vandalismus, sondern ein Ausdruck davon, dass sie selbstwirksam sein wollen. Ich habe das mit 13 auch gemacht.
Was für Sticker hast du geklebt?
Zum Beispiel Sticker mit Hilfsangeboten für Jugendliche und Nummern, die sie anrufen können, wenn sie Sorgen haben. Und Sprüche gegen die AfD.
Gab es bei euch an der Schule oft Ärger deswegen?
Es wurde geklebt, abgemacht, geklebt, abgemacht. Aber es kam nie zum Dialog über die Frage: Warum klebt ihr das denn eigentlich? Stattdessen wurden wir schnell abgestempelt: Die jungen Menschen, die wollen eh nur zerstören! Da habe ich irgendwann gedacht: Moment mal, das kann es doch nicht sein! Das ist doch ein Problem, mit dem sich viele identifizieren können. Also habe ich es bei einem Talk auf dem Reeperbahn-Festival zum ersten Mal öffentlich thematisiert. Ich war die jüngste Speakerin, der Raum war überfüllt, und ich hatte das Gefühl, einen Punkt getroffen zu haben, der ganz viele junge Menschen berührt.
Du trittst oft öffentlich auf, oder?
Ja. Ich reise viel durch Deutschland und spreche bei Festivals und Talks, um die Anliegen junger Menschen sichtbar zu machen. Toll ist, wenn danach gerade so 13- bis 15-jährige Mädels zu mir kommen und sagen: „Boah, es ist so cool, was du machst! Ich habe schon länger überlegt, mich zu engagieren, und wegen dir fange ich das jetzt an.“ Solche Sätze treiben mich an.
Wie viele Stunden investierst du für dein Engagement?
Im Schnitt so zwei bis drei Stunden pro Tag. Politik ist mein Hobby, meine Leidenschaft. So wie andere Leute Sport oder Musik machen, mache ich Politik. Es gibt Tage, da arbeite ich bis Mitternacht an etwas rum. Aber es macht mir Spaß.
Wie hat dich dein Engagement selbst verändert?
Ich merke, was ich auslösen kann durch meine Worte. Und ich sehe, wie unglaublich energiegeladen viele junge Menschen sind. Ich kann schon lange über den Vorwurf lachen, wir jungen Leute seien alle unpolitisch und faul und wollten nicht arbeiten. Denn ich treffe ganz viele junge Menschen, die Probleme zu lösen versuchen, die die vergangenen Generationen verursacht haben – zum Beispiel die Klimakrise.
Kannst du dir vorstellen, nach dem Abitur die Politik zum Beruf zu machen?
Ich würde erst mal gerne studieren – und mein politisches Engagement nebenbei weiter durchziehen. Ich liebe es, ganz viel gleichzeitig zu machen. Mal sehen, wohin mich das führt.
Am Ende wirst du noch Bundeskanzlerin.
Kann sein, ja. Dann wäre ich die erste parteilose Bundeskanzlerin. Denn ich bin in keiner Partei, und das soll auch so bleiben. Ich engagiere mich ganz frei, ohne jede Ideologie – für die Themen, die mir wichtig sind.
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Andreas