„Wir wollen Hoffnung schenken“
Katharina Wiegmann erklärt, was konstruktiver Journalismus verändert
Viele Medien berichten vor allem über Probleme. Die Redaktion von Perspective Daily nicht. Sie arbeitet konsequent konstruktiv, zeigt Lösungen auf, beleuchtet Themen aus verschiedenen Perspektiven. Redaktionsleiterin Katharina Wiegmann (38) hat mir erzählt, was das bewirkt – bei ihrem Publikum und bei ihr selbst.
Mit welcher Idee ist Perspective Daily 2015 gegründet worden?
Die Idee war, Lösungen für die großen Probleme unserer Zeit anzubieten. Lösungen, die in den meisten anderen Medien nicht genügend vorkommen. Und die Idee war, den Journalismus besser zu machen – durch einen konstruktiven, lösungsorientierten Ansatz. Das Gründungsteam Maren Urner und Han Langeslag hat sich damals ganz bewusst dafür entschieden, dass Perspective Daily nur einen Artikel pro Tag veröffentlichen wird. Sie wollten die Menschen nicht mit noch mehr Informationen überfordern, sondern gezielt ermutigen und inspirieren.
Heißt: Ihr bringt lieber einen tiefgründigen Artikel als ständig Breaking News?
Genau. Wir nehmen uns lieber erst mal Zeit. Wenn es eine große Nachrichtenlage gibt, dann spüren natürlich auch wir den journalistischen Reflex: Oh, dazu müssen wir jetzt auch was machen. Sehr aktuelle Themen werden immer gut geklickt. Wir versuchen aber, diesen Reflex zu unterdrücken und zu überlegen: Müssen wir dazu wirklich auch noch etwas sagen? Und, wenn ja: Was können wir sinnvoll beitragen? Was ist ein konstruktiver Aspekt, der in anderen Medien noch nicht dargestellt worden ist?
Das ist wahrscheinlich nicht einfach: den journalistischen Reflex immer zu unterdrücken, oder?
Nein, wirklich nicht. Es ist eine große Herausforderung, nicht der schnellen Emotion zu erliegen.
Hast Du ein Beispiel im Kopf, wo Du den Reflex gespürt hast und Ihr dann aber eine langsamere, nachhaltigere Idee gefunden habt?
Das prominenteste Beispiel aus jüngster Zeit ist wahrscheinlich Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Als der losging, haben wir zwar schnell reagiert – aber nicht mit einem nachrichtlichen Stück über die neusten Entwicklungen, sondern mit einem Überblicksartikel über zuverlässige Quellen, mit deren Hilfe die Leute sich über Hintergründe informieren können: Was ist die Geschichte der Ukraine? In welcher Beziehung steht sie zu Russland? Welchen Bezug zu Europa hat das Land? Wir wollten dabei helfen, das einzuordnen, was gerade auf allen Kanälen über die Menschen hereinbricht. Damit haben wir uns natürlich auch ein bisschen Zeit gekauft, um zu überlegen: Wie können weitere Artikel aussehen, die konstruktiv sind und einen Mehrwert bieten?
Was waren das dann für Artikel?
Es war uns wichtig, viele verschiedene Perspektiven abzubilden. Wir hatten einen sehr bewegenden Artikel von einer Gastautorin, die in Berlin lebt und in den ersten Kriegstagen versucht hat, ihre Mutter aus der Ukraine rauszuholen und nach Deutschland zu bringen. Wir haben uns aber auch bemüht, Perspektiven aus Russland zu bringen. Wir wollten nicht alle Menschen dort pauschal verurteilen – sondern auch von jenen berichten, die sich in Russland weiterhin für Menschenrechte und gegen den Krieg engagieren. Und wir haben immer wieder versucht, eine Meta-Perspektive auf die laufenden Debatten einzunehmen.
Wie meinst Du das?
Die Diskussion um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine polarisierte. Wir sind einen Schritt zurückgegangen und haben zum Beispiel folgende Fragen thematisiert: Verändert sich Deutschlands Identität durch den Krieg? Und was bedeutet eigentlich der Begriff Pazifismus, von dem zeitweise so viel die Rede war?
Was macht Ihr anders als andere Medien?
Wir sind eines der sehr wenigen Medien, die ausschließlich konstruktiv arbeiten. Wir begreifen konstruktiven Journalismus nicht als Feel-good-Format, das nur gute Nachrichten verbreitet – sondern als ganzheitlichen Ansatz, der nicht nur unsere journalistische Herangehensweise prägt, sondern auch unsere Unternehmenskultur. Bei uns gibt es sehr viel Raum für Selbstreflexion. In Konferenzen und bei Diskussionen über Themenvorschläge versuchen wir immer, unsere eigenen blinden Flecken zu reflektieren.
Was genau heißt für Dich: konstruktiv?
Viele Medien haben Polarisierung als Geschäftsmodell für sich entdeckt und finden es vollkommen legitim, mit emotionalisierenden Zuspitzungen möglichst viele Klicks abzugreifen. Wir dagegen wollen die Gesellschaft nicht weiter spalten, sondern zusammenhalten. Wir fragen uns: Wie können wir miteinander im Gespräch bleiben? Wir bringen Kontext und Zusammenhänge statt schneller Schlagzeilen und kurzer Nachrichtenschnipsel, die die wenigsten Leute richtig einordnen können. Und wir stellen Lösungen für Probleme vor und beleuchten sie kritisch.
Wie macht Ihr das konkret: konstruktiv an Themen heranzugehen – etwa bei der Klimakrise? Da bewegt sich die Politik ja quälend langsam, und auch in der Bevölkerung haben viele Angst vor Veränderung.
Wenn in Medien keine Lösungen präsentiert werden, kann leicht der Eindruck entstehen: Klimaschutz macht keinen Sinn mehr, es ist eh alles zu spät. Gerade deshalb beleuchten wir Klimathemen oft auch psychologisch, etwa durch Interviews mit den Psychologists for Future. Wir fragen: Warum kommen wir nicht ins Handeln? Warum fällt es uns so schwer, Gewohnheiten zu verändern? Und wie gehen wir mit der Angst vor Veränderung und vor der Klimakrise um?
Was verändert Ihr durch Eure konstruktive Berichterstattung im Leben Eurer Leserinnen und Leser?
Viele sagen, dass sie durch unsere Berichte stärker auf nachhaltigen Konsum achten und beispielsweise zu einer pflanzenbasierten Ernährung gewechselt sind. Manche berichten auch, dass sie politisch aktiv geworden sind – in einer Partei oder einer zivilgesellschaftlichen Initiative, die etwas zum Besseren verändern will. Ich bin ja Politikwissenschaftlerin, deshalb sind das für mich die schönsten Rückmeldungen.
Und was verändern Eure Text in den Haltungen der Leserinnen und Leser?
In einer schon etwas älteren Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2018 haben uns Leute geschrieben, dass ihre Einstellung zu vielen Themen positiver und lösungsorientierter geworden ist. Und dass ihre Bereitschaft, auch mal eine andere Perspektive einzunehmen, die sie eigentlich ablehnen, gewachsen ist. In einer Rückmeldung stand: „Ich erkenne an, dass viele Probleme komplex sind und verschiedene Sichtweisen darauf möglich sind.“
Hast Du bei den Kommentaren unter Euren Artikeln den Eindruck, dass die Leute konstruktiv reagieren und andere Meinungen gelten lassen?
Ja, auf jeden Fall. Der Ton ist sehr respektvoll. Unser Diskussionsbereich ist schon so ein kleiner Safe Space im Internet. Dazu trägt auch bei, dass die Leute unter ihrem echten Namen diskutieren müssen. Wenn doch mal etwas entgleist, dann intervenieren wir – aber das passiert wirklich selten. Wir mussten in sieben Jahren nur wenige Male jemanden sperren, das kann ich an einer Hand abzählen.
Das ist wirklich wenig.
Absolut, ja. Vieles fängt die Community auch selbst auf. Die Leute lassen sich nicht so leicht provozieren. Sie nehmen das, was geschrieben wird, ernst und fragen nach: Wie meinst Du denn das? Und dann widersprechen sie respektvoll, wenn sie eine andere Meinung haben. So bietet unsere Seite vielen Leuten einen echten Mehrwert. Ich merke das auch in unserer wöchentlichen Blattkritik.
Inwiefern?
Da erzählen uns Leserinnen und Leser, wie sie uns finden – und sprechen oft auch darüber, was unsere Texte in ihrem Leben verändern. Die, die uns regelmäßig lesen, sagen, sie bekommen durch uns einen optimistischeren, hoffnungsvolleren Blick auf die Welt. Und sie bekommen das Gefühl: Es ist noch nicht alles verloren. Klar, die Herausforderungen sind komplex. Aber es gibt Stellschrauben, an denen man drehen kann.
Warum ist es wichtig, dass mehr Menschen zu so einer Haltung kommen – gerade, wenn Probleme wie die Erderhitzung so groß und bedrohlich sind?
Ich habe vor kurzem von einer Umfrage gelesen, die besagt, dass immer mehr Menschen sich ins Private zurückziehen, nur noch dort ihr Glück suchen. Sie engagieren sich seltener in der Gesellschaft und erwarten von ihr kaum noch etwas. Das fand ich schlimm. Denn es ist ja verheerend für eine Demokratie, wenn Menschen gegenüber den Herausforderungen dieser Zeit resignieren, sich ins Private zurückziehen und das Gefühl haben, ihre Handlungen machen eh keinen Unterschied mehr. Dann trocknet die Demokratie aus.
Genau dagegen wollt Ihr etwas tun, oder?
Ja. Ich bin überzeugt: Wenn Menschen nur mit negativer Berichterstattung konfrontiert sind, mit schlimm klingenden Nachrichtenschnipseln, die sie nicht einordnen können, dann werden sie zynisch, hoffnungslos, vielleicht sogar depressiv. Dem wollen wir etwas entgegensetzen. Wir wollen Menschen Kraft und Hoffnung schenken. Wir wollen, dass sie sich darüber im Klaren sind, welche Probleme und Herausforderungen es gibt. Aber dass sie auch das Gefühl haben: Ich kann mithelfen, diese Probleme zu lösen. Mein Handeln kann einen Unterschied machen.
Ich habe das Gefühl, die Tendenz zum Rückzug ins Private und zum Augenverschließen vor den großen Problemen ist gerade bei vielen Menschen stark.
Ich spüre diesen Reflex auch manchmal. Aber ich habe das große Glück, dass ich durch meine Arbeit täglich gezwungen bin, mich dann doch wieder in die Probleme reinzudenken und nach Lösungen zu suchen.
Wie verändert Dich der tägliche Zwang zum konstruktiven Denken?
Er verändert mich positiv und negativ.
Fangen wir mit dem Positiven an.
Das konstruktive Denken überträgt sich bei mir auf alle Bereiche des Lebens. Ich sage mir auch privat mittlerweile immer: Ja, okay, wir haben da ein Problem – aber was machen wir jetzt damit? Wenn die U-Bahn ausfällt, halte ich mich zum Beispiel nicht lange auf mit dem Gedanken: „Ach, das ist jetzt aber Scheiße gelaufen!“ Sondern ich schaue gleich, mit welchem Ersatzverkehr ich am schnellsten zum Ziel komme. Ich bin sofort im Lösungsmodus. Das fühlt sich gut an. Für mich.
Und für andere?
Das ist vielleicht der negative Effekt: Nicht alle Leute mögen es, wenn sie mir von einem Problem erzählen und ich sofort in diesen Lösungsmodus switche. Manche fühlen sich dann nicht so ernstgenommen. Dabei ist die Voraussetzung dafür, dass man nach einer Lösung suchen kann, ja gerade, dass man das Problem verstanden und ernstgenommen hat. Aber ich glaube, dieser Reflex ist manchen Leuten im Privatleben zu schnell. Ich muss vielleicht noch sensibler dafür werden, dass Leute manchmal auch einfach nur jammern wollen. Und dass das auch in Ordnung ist.
So, liebe Leute, drei Bitten habe ich jetzt noch.
Die erste: Empfehlt dieses Interview weiter! Teilt es auf Instagram, in Eurem Whatsapp-Status, auf LinkedIn und Facebook. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
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Die dritte: Wenn Ihr den konstruktiven Ansatz der Redaktion von Perspective Daily spannend findet, dann überlegt doch mal, ob Ihr ihre Arbeit nicht unterstützen wollt. Alle Infos dazu findet Ihr hier.
Bis zum nächsten Mal: alles Gute!
Andreas