Kürzlich waren wir mit unseren Kindern bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg. Der Abend war ein wenig skurril (wir hatten nicht geahnt, dass so viele Erwachsene sich jenseits des Karnevals gern als Cowboys und Indianer verkleiden). Er bot ein bisschen Geballer, ein bisschen Witz und am Ende natürlich eine große Portion Gerechtigkeit. Aber insgesamt war er, für drei Stunden Anfahrt, doch eher mittelprächtig – weil die Story ziemlich flach und vorhersehbar war. Es war ein Abend, den wir bald vergessen haben würden. Dachte ich erst.
Jetzt habe ich gelernt: Es war offenbar eine Skandalshow, die wir da gesehen haben. Seit Wochen jedenfalls berichten mittlerweile zahlreiche Medien großflächig von einer Winnetou-Debatte. Losgegangen ist das öffentliche Geschwurbel nach einer Entscheidung des Ravensburger Verlags, zwei Kinderbücher, ein Sticker-Buch und ein Puzzle aus dem Verkehr zu ziehen. Der Verlag reagierte damit auf Proteste vor allem in den sozialen Netzwerken, der Karl-May-Stoff sei rassistisch.
Täglich werden seitdem neue Menschen dazu befragt – gern solche, die bisher zwar selten als Rassismus-Bekämpfer oder Schutzpatrone indigener Völker aufgefallen sind, dafür aber eine umso größere Meinungsfreude besitzen. Zuletzt zitierte die Bild-Zeitung den viel zu lange Bundesverkehrsminister gewesenen CSU-Politiker Andreas Scheuer sowie den unvermeidlichen Wolfgang Kubicki von der FDP. Da ahnte man, auf welchem Niveau die Debatte angekommen ist.
Moralisch überlegen
Die einen sagen, die Winnetou-Werke seien zutiefst verdorben und gehörten dringend verbannt. Die anderen sehen deshalb gleich die Meinungsfreiheit und Demokratie in Gefahr. Ich möchte für einen veränderten Blick auf solche medial aufgebauschten Diskussionen werben. Für mehr gesunden Menschenverstand. Für mehr Mut, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden – und im richtigen Moment eine ausgewachsene Scheißegal-Haltung zu entwickeln.
Klar, es ist sehr einfach, zu der Winnetou-Debatte eine Meinung zu haben, so oder so. Da muss man nicht groß nachdenken, da kann jeder mitreden und Dampf ablassen. Das macht sie attraktiv in einer ach so komplizierten Welt. Es löst in der Wirklichkeit nur kein einziges Problem. Debatten wie diese sind Scheingefechte. Sie geben den einen ein gutes Gefühl, weil sie sich moralisch überlegen wähnen; sie bekämpfen schließlich ganz besonders entschlossen auch das kleinste Fitzelchen Rassismus, nicht wahr? Den anderen schenken sie stolze, verbitterte Entschlossenheit; sie sind schließlich die letzten aufrechten Kämpfer gegen die links-grün-versiffte Cancel Culture, nicht wahr?
Es gibt drängendere Themen
Das Problem ist, dass durch all das Palaver unendlich viel Zeit, Nerven und Aufmerksamkeit vergeudet werden, die man für Wichtigeres gebrauchen könnte. Um nur mal ein paar der drängendsten Themen zu nennen: Europa hat in diesem Hitze-Dürre-Waldbrand-Sommer erlebt, wie verheerend die fortschreitende Erderhitzung jetzt schon wirkt. In der Ukraine führt Russlands Diktator Wladimir Putin nach wie vor einen Vernichtungskrieg. In Afrika breitet sich der Hunger aus. Und wir wollen statt über Lösungsansätze für diese Probleme über Bücher von vor über 100 Jahren diskutieren? Ernsthaft?
Wer sich von den Pseudo-Diskussionen nicht ablenken lässt, spart nicht nur Nerven. Er hat auch mehr Zeit, wirklich etwas gegen Rassismus und für die Meinungsfreiheit zu tun. Das könnte zum Beispiel gehen, indem man sich in demokratischen Parteien engagiert und gegen die rechtsextreme Truppe, die niemals eine Alternative für Deutschland sein wird.
Zum Schluss nun noch eine gute Nachricht und eine schlechte. Zuerst die schlechte: Die nächste Gaga-Debatte kommt bestimmt. Die letzten sind schließlich gar nicht lange her. Erinnert sei nur an die Frage, ob der Ballermann-Hit „Layla“ sexistisch ist. Oder an die Frage, ob Michael Endes „Jim Knopf“ rassistisch ist. Jetzt die gute: Jede Debatte geht auch wieder vorüber – oder gleich in die ewigen Jagdgründe ein. Am allerschönsten, wenn wir uns trauen, sie tiefenentspannt zu ignorieren. In diesem Sinne: Howgh!
So, liebe Leute: Zwei Bitten habe ich jetzt noch.
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Andreas
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