Kürzlich ist ein Polizist aus Münster im Internet berühmt geworden. Er hatte einem Impfgegner die Meinung gesagt – und das kam so: An einem Montagabend Anfang Januar trafen sich Gegner der Corona-Politik zu einer Demonstration. Weil die Demonstration nicht angemeldet war, schritt die Polizei ein. Ein Impfgegner diskutierte mit dem Polizisten und beharrte darauf, dass diese Menschenansammlung keine genehmigungspflichtige Versammlung sei und man nur spazieren gehen wolle. Der Polizist konterte: „Sie wollen nicht spazieren gehen. Sie wollen uns verarschen.“ Das Video mit dem Wortgefecht ging viral.
Der Polizist hat etwas sehr Wichtiges getan: Er hat die Dinge beim Namen genannt. Das mag banal klingen, aber es ist nicht banal. Denn Sprache prägt unsere Wahrnehmung und unseren Blick auf die Welt – oft ohne dass wir es merken. In den Krisenzeiten einer Pandemie verändert sich die Welt in rasendem Tempo; da fällt es schwer, den Überblick zu behalten. Zuweilen nutzen bösartige Kräfte diese Verwirrung und versuchen, die Wirklichkeit in ihrem Sinne umzudeuten.
Aufmärsche voller Hass
Genau das ist in den vergangenen Wochen in Deutschland passiert. An etlichen Orten haben Menschen gegen die Corona-Politik demonstriert – und diese Demonstrationen als angebliche „Spaziergänge“ verharmlost. In Wahrheit waren viele der Demonstrationen Aufmärsche, auf denen Verschwörungsmythen und Lügen verbreitet, Wissenschaftler und Politikerinnen beleidigt, Hassparolen gegrölt, Holocaust-Opfer verhöhnt, Journalistinnen und Polizisten angegriffen wurden – und die von Rechtsextremisten und anderen demokratiefeindlichen Kräften gesteuert waren, denen es nicht um Corona geht, sondern um Aufruhr und Krawall. Diese Radikalen wollten mit dem Begriff „Spaziergang“ den Eindruck erwecken, hier gehe es um eine unpolitische, friedliche, spontane und zutiefst bürgerliche Freizeitaktivität. Aber das ist falsch.
Wir kennen alle den Satz, man solle aus einer Mücke keinen Elefanten machen. Der Satz ist wahr. Aber genauso wichtig ist es, aus einem Elefanten keine Mücke zu machen.
Ich möchte für einen veränderten, aufmerksameren, kritischeren Blick auf die Wörter werben, die uns tagtäglich um die Ohren fliegen. Passen sie zur Wirklichkeit? Machen sie Großes zu klein oder Kleines zu groß? Übertreiben oder untertreiben sie?
Wörter prägen, wie wir denken
Ich möchte dafür werben, gerade jetzt einmal mehr nachzudenken bei all den Wörtern, die auf uns einströmen – durch die Nachrichten im Internet, in den Zeitungen, im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken. Die Aufmerksamkeit ist anstrengend, weil uns in der Corona-Zeit so viele Begriffe begegnen, die wir vorher kaum je gehört haben: Mutante und Booster, Lockdown und Superspreader, Wellenbrecher, Wand und Inzidenz. Aber sie lohnt sich.
Denn Wörter verändern was. Sie verändern uns. Sie prägen, wie wir denken, was wir fühlen, was wir tun. Das Gute ist: Wir können selbst entscheiden, welche Wörter wir benutzen und welche nicht. Welchen wir widersprechen und welche wir akzeptieren. In der Mittagspause am Arbeitsplatz, beim Plausch am Rande des Fußballspiels der Kinder, beim Bier mit Freunden.
Das gilt in der Pandemie, wo eine Demonstration nun mal kein Spaziergang ist, ein Anstieg der Infektionszahlen nicht zwangsläufig eine Katastrophe – und die Gesellschaft nicht gespalten, nur weil sich eine impfverweigernde Minderheit jeder Vernunft und allen wissenschaftlich eindeutigen Fakten widersetzt. Aber es gilt auch in allen anderen Krisen- und Ausnahmesituationen. Erinnern wir uns nur an den früheren US-Präsidenten Donald Trump, der gern von „alternativen Fakten“ sprach, die in Wahrheit nichts als Lügen waren. Die Menschen, die vor einem Jahr das Kapitol in Washington gestürmt haben, bezeichnete er fälschlich als „Patrioten“, dabei waren sie ein gewalttätiger, rechtsradikaler Mob.
Die verharmloste Erderhitzung
Der Kampf um die Wörter, der Kampf zwischen Wahrheit und Lüge wird weitergehen, in all den großen und kleinen Krisen, die noch kommen. Wichtig wird er besonders beim drängendsten Problem unserer Zeit, der menschengemachten Erderhitzung. Die Erderhitzung ist ein Beispiel für einen Elefanten, aus dem viel zu oft eine Mücke gemacht wird.
Jahrzehntelang haben große Erdölkonzerne wie Exxon die Folgen der von fossilen Energien getriebenen Erderhitzung gekannt – und aus ökonomischen Interessen verharmlost. Jüngst bewies eine Studie im Wissenschaftsjournal „Global Environmental Change“, wie strategisch und wie systematisch die Konzerne bei dieser bewussten Irreführung der Öffentlichkeit vorgegangen sind.
Die Studie belegt, dass die französische Erdölindustrie ab 1971 wusste, dass die Erderhitzung „katastrophale Konsequenzen“ haben musste. Doch sie säte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Warnungen. So erklärte der Erdölkonzern Total zum Erdgipfel von Rio 1992, es bestehe „keine Gewissheit zu den Konsequenzen der menschlichen Aktivitäten und namentlich der Verbrennung fossiler Energien“.
Notstand statt Wandel
Wie Sprache nicht zur Vernebelung, sondern zur Wahrheitsfindung eingesetzt werden kann, zeigt dagegen die international renommierte englische Zeitung „The Guardian“. Sie hat schon 2019 entschieden, bei der Berichterstattung über die Erderhitzung ihre Wortwahl zu verändern. Statt Begriffen wie „Klimawandel“ oder „globale Erwärmung“ schreiben die Reporter dort jetzt „Klimanotstand“, „Klimakrise“ oder „Klimakatastrophe“.
Die Worte, in denen wir von der Erderhitzung hören, über sie nachdenken und sprechen, sind wichtig. Denn sie beeinflussen, was wir tun – und was wir lassen.
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Diesen Text habe ich aus aktuellem Anlass mal eben dazwischengeschoben. Mein nächster Text über Veränderung kommt nun wieder wie gewohnt in zwei Wochen.
Bis dahin: alles Gute!
Andreas
Wieder mal ein sehr guter Text, der zum Denken anregt. Ich habe meiner Mutter vor über 35 Jahren ein Gedicht abgeschrieben und geschenkt, welches von der Bedeutung der Wahl der richtigen Worte handelt. Kennst Du das? Das geht ungefähr so:
„Worte haben den Sinn verdreht,
Gedanken, Gefühle entstellt
Erst Missverständnisse, dann Streit
nur wegen einiger Worte, die falsch ankamen und nichts verständlich machten
Wir müssen lernen, die richtigen Worte zu finden….“
Ich finde das so richtig.. Worte haben so eine Macht und es ist toll, wenn es Menschen wie Dich gibt, die so tolle und passende Worte finden können…