Seit anderthalb Wochen wohnt Stephen King in Lohne. Der Meister des Horrors. Mit seinem wohl verstörendsten Werk: Carrie. Die Musical-AG des Gymnasiums bringt es auf die Bühne. Bei der Premiere saß in der ersten Reihe ein Mann mit einem Carrie-T-Shirt. Ein Hardcore-Fan. Er erzählte, er reise um die ganze Welt, um Inszenierungen dieses Stücks zu sehen – in die USA, nach England und nun eben nach Lohne. 300 Kilometer weit ist er gefahren. Vermutlich hat er eine Schüleraufführung erwartet, nicht schlecht, ganz nett, bestimmt bemüht. Gesehen hat er ein Spektakel auf Spitzenniveau. Eines, das mithalten konnte mit den besten Aufführungen der Welt.
Vielleicht, liebe Leute, wundert Ihr Euch, warum dieser Text mitten in der Woche kommt – und nicht am Sonntag, so wie sonst. Ganz einfach: Er ist eine Liebeserklärung, die nicht mehr warten kann.
Sonst ist dieser Newsletter werbefrei, da könnt Ihr mir hoffentlich verzeihen, dass dieser Text ein bisschen auch Werbung in eigener Sache ist – weil ich seit ein paar Wochen im Trägerverein des Musicals mitwirken darf. Aber es geht hier nicht um mich. Es geht darum, was die Schülerinnen und Schüler da auf die Bühne zaubern – und was ihre Leistung über die Kraft der Veränderung erzählt.
Seit fast drei Jahrzehnten gibt es die Musical-AG mittlerweile. Sie hat klein angefangen und ist immer größer geworden. Sie hat sich an prominente Stoffe gewagt, an Jesus Christ Superstar, Mozart und Titanic. Im vergangenen Jahr hat sie „Bring it on“ gespielt – ein Highschool-Stück um zwei konkurrierende Tanzcrews. Exzellent gemacht, die Zuschauer haben gelacht, geklatscht und sind mit einem gut gelaunten Lächeln im Gesicht nach Hause gegangen.
Talent und Teamwork
Carrie ist anders. Da geht es nicht um Tanzwettbewerbe und Pokale, um Zickenkrieg und ausgespannte Freunde. Sondern um Mobbing und religiösen Wahn, um Leben und Tod. Die Verantwortlichen haben gegrübelt, ob so ein harter Stoff funktionieren würde. Alle wussten: Da müssten jedes Wort und jeder Blick, jede Geste und jeder Ton sitzen, damit das Ganze wirkt.
Das Ergebnis beweist: Wenn Menschen Mut haben und was wagen, dann verändert das etwas. Wenn ein Lehrerteam seinen Schülerinnen und Schülern etwas zutraut und manches abverlangt, dann wachsen die manchmal über sich hinaus. Und wenn eine Gruppe mit Talent und Teamwork, Liebe, Leidenschaft und Durchhaltevermögen ans Werk geht, dann gelingt ihr zuweilen eine Leistung, die kaum zu fassen ist. Wenn alle zusammen sich ein Ziel setzen, dann finden sie auch einen Weg dahin.
Carrie ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem man kaum weiß, wo man anfangen soll zu staunen.
Zigtausende Schlüsselringe
Vielleicht beim Vorhang. Sie haben ihn selbst gebastelt, extra für dieses Stück, aus zigtausenden Schlüsselringen, in wochenlanger Kleinstarbeit. Manchmal ist der Vorhang so beleuchtet, dass man durchschauen kann – dann wird davor und dahinter gespielt. Manchmal lässt er keinen Blick durch. Auf die Idee muss man erst mal kommen.
Dann ist da die Bühne, die schräg ist, zum Publikum hin. So sieht man in jeder Szene alles, was auf der Bühne passiert. Auf die Idee muss man auch erst mal kommen. Und diese Bühne muss man erst mal bauen.
Schließlich die Spezialeffekte: die Gegenstände, die Carrie durch Telekinese schweben lässt. Die Pyrotechnik, die explodiert, wenn ihre Kräfte stärker werden. Und schließlich, im dramatischen Finale: Carrie als blutverschmierter Racheengel, der über allen anderen schwebt und niemanden entkommen lässt.
Hoffnung auf Veränderung
Und vor allem natürlich: die Künstlerinnen und Künstler. Das Orchester: ein Traum. Die Schauspielerinnen und Schauspieler: ein Wahnsinn. Besonders die Szenen, in denen Carrie und ihre Mutter sich ansingen und anschreien, aus kürzester Distanz. Carrie: die Außenseiterin, einsam, verzweifelt und plötzlich doch voller Hoffnung, dass ihr Leben sich verändern kann. Die Mutter: gefangen in ihrer tragischen Geschichte und ihrem religiösen Fanatismus, auch einsam, auch verzweifelt und unfähig, Carrie loszulassen.
In jeder Sekunde sieht man, wie die Schauspielerinnen es lieben, sich auf der Bühne zu verwandeln. Geschminkt und verkleidet zu sein und für zweieinhalb Stunden in eine Rolle zu schlüpfen. Und sie zu leben. So intensiv, als hätten sie vergessen, wer sie wirklich sind.
Ungläubiges Staunen
Nach den Aufführungen sieht man viele ungläubig staunende Gesichter. Man hört Zuschauer, die sagen, sie könnten nicht fassen, was für einen Auftritt sie da gesehen haben. Und andere, die von Sitznachbarinnen erzählen, die geweint haben, berührt von solch einer Leistung.
Im Stück wird am Ende nicht alles gut, wirklich überhaupt gar nicht. Gerade das gibt Stoff zum Denken. Carrie verändert was, auch in den Köpfen des Publikums.
Also, liebe Leute, aus Lohne und von weiter weg: Falls Ihr dieses Stück noch nicht gesehen habt, schaut’s Euch an! Ein paar Karten gibt’s noch für die letzten Aufführungen – und zwar hier.
Und falls Euch dieser Text gefallen hat, teilt ihn auf allen Kanälen! Geht ganz einfach – mit diesem Link:
Seid Ihr neu hier und habt meinen Newsletter noch nicht abonniert? Dann tragt hier Eure Mailadresse ein – und Ihr bekommt automatisch alle zwei Wochen kostenlos meinen neuesten Text. Immer über die Frage, wie Veränderung eine Chance sein kann:
Bis zum nächsten Mal: alles Gute!
Andreas