Ein paar Tage nur noch, dann ist 2021 vorbei. Hier und dort bringen sie jetzt Jahresrückblicke, im Fernsehen, im Internet, in den Zeitungen. Aber eigentlich brauchen wir sie nicht. Wir spüren auch so: Die Welt da draußen ist gerade ganz schön finster. Corona wütet und wütet und nimmt kein Ende. So viele Tote. So viel Leid. So viel Frust und Hoffnungslosigkeit.
Ich möchte heute für einen veränderten Blick auf dieses Jahr werben. Für einen Blick voller Dankbarkeit.
Das mag absurd klingen, aber es ist ernst gemeint. Gerade in schweren Zeiten hilft Dankbarkeit, alles etwas leichter zu nehmen. Dankbar sein, das heißt nicht: die Welt durch die rosarote Brille sehen. Es heißt nicht, Schlimmes schönreden – und Katastrophen wie den Corona-Notstand mit esoterischem Achtsamkeitsgesäusel weichspülen. Sondern: den Blick weiten. Mal nicht nur auf Inzidenzzahlen, Eilmeldungen und Schreckensnachrichten starren. Sondern daneben genauso das sehen, was auch noch da ist. Das Gute, das es weiterhin gibt. Das uns leben lässt. Halt gibt. Und ein bisschen Freude in der Tristesse.
Der großartigste Lehrer der Welt
Der Jesuitenpater Martin Stark hat mir in einem Interview zum Thema Dankbarkeit mal gesagt, der Perspektivwechsel helfe, „krisenresistenter zu werden und gut durch diese schwierige Zeit zu kommen“. Das Interview ist jetzt gut ein Jahr her, aber es ist noch immer aktuell; denn die Situation heute ist noch düsterer als die damals. Stark hat gesagt: „Wir erleben eine klassische Zeit der Trostlosigkeit. Und gerade in einer solchen sollte man sich auf die Dinge konzentrieren, für die man eben doch dankbar sein kann. Es ist nicht alles nur schlecht und schwer und dunkel – auch wenn wir das meinen.“
Was das sein könnte, dieses Gute des vergangenen Jahres, das Dankbarkeit verdient hat? Das weiß jede und jeder am besten selbst. Hier nur ein paar Ideen:
Alle in der Familie sind gesund durch die Pandemie gekommen, keiner musste ins Krankenhaus, keiner ist gestorben, keiner leidet an Langzeitfolgen des Virus.
Die Kinder sind trotz monatelanger Schulschließungen nicht zusammengebrochen, nicht magersüchtig, nicht spielsüchtig, nicht depressiv geworden.
Sie haben (um mal kurz aus eigener Erfahrung zu sprechen) den garantiert großartigsten Musikschullehrer der Welt.
Der Job ist noch da, vielleicht sogar ohne Kurzarbeit.
Wir können viel aushalten
Und wir haben so viel Neues entdeckt: Wie zuverlässig die Nachbarschaft zusammenhält, wenn’s drauf ankommt. Wie cool Urlaub in Deutschland sein kann. Welche Vorteile das Home Office hat. Wie spannend Wissenschaft sein kann. Wie wunderbar schnell rettende Impfstoffe entwickelt worden sind. Und, auch das: wie viel wir aushalten können, wenn wir müssen.
Besonders diese Erkenntnis könnte noch wichtig werden – weil niemand weiß, wie die Pandemie weitergeht und welche neuen, teuflischen Virus-Varianten demnächst alle vermeintlichen Sicherheiten durchkreuzen. Corona verändert unsere Welt immer wieder in blitzartigem Tempo. Dankbarkeit hilft, mit dieser Veränderung klarzukommen.
Gerade in schlechten Zeiten ist es wichtig, das Gute zu sehen. Es gibt nicht nur ein besseres Gefühl, es schenkt auch einen realistischeren Blick auf die Wirklichkeit. Unser Blick wird ja heutzutage, ohne dass wir es merken, durch mediale Dauerbeschallung schnell verzerrt: Auf allen Kanälen stürzen massenweise Informationen auf uns ein, jederzeit. Die Algorithmen auf Facebook und Twitter spülen Hass, Wut und Hetze nach oben, die Nachrichtenseiten vieler Medien bewegen sich permanent am Rande der Hysterie; bei manchen hat man den Eindruck, einmal am Tag sei mindestens Weltuntergang. Viele Überschriften schreien uns an: KRISE! KATASTROPHE!! HORROR!!! Und am nächsten Tag: ALLES NOCH VIEL SCHLIMMER!!!!
Die Kraft der kleinsten Dinge
Die Dankbarkeit setzt was dagegen. Das Schöne, das Erfreuliche, das Nichtkatastrophale. Und je trister die Zeiten sind, desto wertvoller wird sie. Das Praktische an der Dankbarkeit ist: Sie funktioniert immer. Im Großen beim Rückblick auf das vergangene Jahr. Aber auch im Kleinen, am Abend, beim Rückblick auf den Tag. Geht ganz leicht: jeden Tag vor dem Schlafengehen drei Dinge des Tages überlegen, für die man dankbar ist. Spannend, was sich da entdecken lässt.
Dankbar sein können wir für die kleinsten Dinge – egal, wie banal und unscheinbar sie erst mal wirken. Für den Kalauer, den ein Kumpel per Whatsapp schickt. Für die Großzügigkeit der Verkäuferin, die uns beim Bäcker das Brot mitgegeben hat, obwohl wir fünf Cent zu wenig dabeihatten. Für den ersten Sonnentag nach zehn Tagen Regen. Für den Anruf der Studienfreundin, die sich vorher so lange nicht gemeldet hatte.
Ich bin nicht ausgeliefert
Klar, die Dankbarkeit verändert nicht die Welt da draußen. Tod bleibt Tod, Leid bleibt Leid, Corona bleibt Corona. Aber die Dankbarkeit verändert unseren Umgang mit all dem. Sie kann helfen, weniger traurig, frustriert, resigniert zu sein. Trägt dazu bei, nicht mit einer Opferhaltung durch die Welt zu laufen – sondern aufrecht und in dem Bewusstsein: Ich bin der Welt nicht ausgeliefert. Wie ich auf das da draußen reagiere, das entscheide ich immer noch selbst.
Und wenn ich will, kann ich die Dankbarkeit nicht nur spüren, sondern auch mal zeigen. Und „Danke“ sagen, wenn’s gerade passt. Haben wir doch alle schon mal erlebt: was dieses kleine Wort mit den fünf Buchstaben im richtigen Moment bewirken kann.
Ich möchte Euch heute mal danken. Dafür, dass Ihr meine Texte lest. Und teilt. Und weiterempfehlt. Und mir so viel Lob schickt – und auch mal kritische Gedanken. Macht weiter so! Veränderung funktioniert am besten gemeinsam.
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Mein nächster Text über Veränderung kommt in zwei Wochen.
Bis dahin: einen schönen zweiten Weihnachtstag, einen guten Rutsch ins neue Jahr – und ein glückliches und gesundes 2022!
Andreas
Sehr gut, Andreas! Danke, frohe Weihnachten und einen guten Rutsch 🍀☀️🎅🏻🎄