Fällt es Euch auch auf, dieses Wort, das in den Medien inflationär zugenommen hat? Es ist kaum noch möglich, ihm zu entkommen. Das Wort heißt: spalten. Tag für Tag lesen wir, irgendwas habe irgendwen gespalten. Das klingt finster. Es klingt nach Zoff, nach Zorn, nach fast schon gezückten Waffen.
Nur mal ein paar willkürlich rausgegriffene Schlagzeilen der vergangenen Woche, gefunden mit dem Suchbegriff „spaltet“ bei Google News:
Eberl-Wechsel spaltet Fußball-Welt
Vegane Weißwurst spaltet Wiesn-Gemeinde
Trauer um Queen Elizabeth II. spaltet Australien
Nachhaltige Energie? Holzverbrennung spaltet die Gemüter
„Du bist nicht komplett verpeilt?“: Skurrile Edeka-Stellenanzeige spaltet das Netz
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Ich möchte dafür werben, mit einem veränderten, einem kritischeren Blick auf dieses Wort spalten zu schauen. Und es nicht einfach als Wahrheit zu akzeptieren. Das ist gar nicht so leicht. Denn das Wort hat sich so still und heimlich in unsere Nachrichtenwelt geschlichen und so hartnäckig dort breitgemacht, dass wir geneigt sein könnten, es für ganz normal zu halten. Und zu denken: Wir sind nun mal eine gespaltene Gesellschaft. Ist halt so. Weiß man doch.
Mediale Überspitzung
Dieser Gedanke ist gefährlich. Er kann zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden und unser Denken verändern: Wenn wir oft genug gehört und gelesen haben, wie irrsinnig gespalten wir in allen möglichen und unmöglichen Fragen sind, dann verlieren wir womöglich den Blick dafür, was uns verbindet. Und mühen uns vielleicht nicht mehr so sehr, über eine Meinungsverschiedenheit auch mal hinwegzusehen – oder fair darüber zu streiten.
Mit der Wirklichkeit haben all die Nachrichten von gespaltenen Gemeinden, Gemütern und Gesellschaften wenig zu tun. Sie sind eine mediale Überspitzung, die oft dem Wunsch entspringt, möglichst viele Klicks, möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen.
Klar gibt es in vielen Cliquen CDU-, SPD- und Grünen-Wähler – aber ist die Clique deshalb gespalten? Klar gibt es in manchen Nachbarschaften Werder-, Dortmund- und sogar Bayern-Fans – na und? Klar gibt es in Unternehmen Volksfestfans und Sofasitzer – ist das ein Drama? Eben.
DIE gegen DIE
Der Mythos der Spaltung suggeriert, dass es klar abgrenzbare, in sich homogene Gruppen gebe: DIE Alten gegen DIE Jungen, DIE Wessis gegen DIE Ossis, DIE Akademiker gegen DIE Handwerker, DIE Städter gegen DIE Landbevölkerung. Die Wahrheit ist meistens komplizierter als dieses Schubladendenken. Und ein 74 Jahre alter Dorfbewohner aus Brandenburg kann Klimaschutz für genauso wichtig halten wie eine 19 Jahre junge Akademikerin aus Hamburg – nur mal so als Beispiel.
Dass die Behauptung der gespaltenen, polarisierten, von Gräben durchzogenen Gesellschaft falsch ist, ist jetzt auch wissenschaftlich belegt. Die Berliner Soziologen Steffen Mau und Thomas Lux haben bei einer Befragung von 2530 Menschen herausgefunden:
Der Aussage „Ich bin sehr besorgt über den Klimawandel“ stimmen 75 Prozent zu, 13 Prozent nicht.
Der Aussage „Die Einkommens- und Vermögensunterschiede in Deutschland sind zu groß“ stimmen 79 Prozent zu, 6 Prozent nicht.
Der Aussage „Personen, die ihr Geschlecht geändert haben, sollten als normal anerkannt werden“ stimmen 84 Prozent zu, 9 Prozent nicht.
Die USA sind anders
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat diese Ergebnisse gerade veröffentlicht, und im dazugehörigen Interview sagt Mau interessante Sätze. Zum Beispiel: „Wir haben radikale Ränder. Aber deshalb ist unsere Gesellschaft noch nicht gespalten. Die meisten Leute gruppieren sich in der breiten Mitte.“ In den USA sei das anders, dort sei die Gesellschaft tatsächlich gespalten, und die extreme Polarisierung erzeuge Gefühle von Hass, Abscheu und Ekel gegenüber der Gegenseite: „Die Spaltung ist also auch ein Angstszenario.“
Wer eine Spaltung herbeiredet, die es nicht gibt, der hilft nur den radikalen Kräften, die unsere demokratische Gesellschaft wirklich spalten, aufhetzen, zerstören wollen – den Rechtsextremisten, die niemals eine Alternative für Deutschland sein werden. Der Soziologe Mau sagt im „Zeit“-Interview, natürlich gebe es keine Garantie dafür, dass bei uns nicht auch mal amerikanische Verhältnisse kommen: „Aber dank des Föderalismus und des Verhältniswahlrechts haben wir viele unterschiedliche Koalitionen, Freund-Feind-Schemata funktionieren nicht so gut. Der wichtigste Spaltpilz ist die AfD, aber ihr Einfluss ist bislang begrenzt.“
Medial wird die Behauptung einer vermeintlichen Spaltung oft auch dadurch belegt, dass kleine, aber sehr lautstarke und radikale Minderheiten größer gemacht werden, als sie sind – in den vergangenen Jahren war das besonders bei den Corona-Leugnern auffällig. In Wahrheit wäre Deutschland niemals so weitgehend glimpflich durch die Pandemie gekommen, wenn sich nicht die überwältigende Mehrheit der Menschen vernünftig, solidarisch und ganz und gar unspalterisch verhalten hätte.
Maximales Krawallpotenzial
Aber besonders, wer öfter Talkshows im Fernsehen schaut, kann leicht denken, Spaltung sei überall. Denn diese Laberrunden werden gern mit maximalem Krawallpotenzial besetzt, mit Gästen, deren Meinungen möglichst weit auseinanderliegen und schön extrem sind. Das bringt zwar keine Debatte auch nur einen Millimeter weiter, aber die Leute haben ordentlich was zum Aufregen – was wiederum die Quote nach oben treibt.
Ist das mit der Spaltung also alles Quatsch? Nicht ganz. Einige Orte in Deutschland gibt es dann doch, wo gerade ziemlich viel gespalten ist: die Häuser, die einen Kachelofen haben. Da liegt das gespaltene Zeug aber relativ friedlich rum – als Holz vor der Hütte.
So, liebe Leute: Zwei Bitten habe ich jetzt noch.
Bitte Nr. 1: Helft mit, den Mythos von der Spaltung zu entlarven. Teilt dieses Interview in allen sozialen Netzwerken. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
Bitte Nr. 2: Falls Ihr meinen Newsletter noch nicht abonniert habt, holt das schnell nach. Tragt einfach hier Eure Mailadresse ein, dann bekommt Ihr automatisch alle zwei Wochen meinen neuesten Text. Immer über die Frage, wie Veränderung eine Chance sein kann:
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Bis dahin: alles Gute!
Andreas