Leider, leider, liebe Leute, muss ich euch heute mal mit einer Portion schlechter Laune begrüßen. Doof, oder? Geht aber nicht anders. Steigt nicht gleich aus! Da würdet ihr was verpassen. Denn in diesem Text geht’s nicht nur ums Aussteigen, sondern auch ums Einsteigen, Umsteigen, Absteigen. Es geht, vielleicht ahnt ihr es, um die Deutsche Bahn.
Zur Rechtfertigung meiner schlechten Laune muss ich sagen, dass ich ein leidenschaftlicher Bahnfreund bin. Ich pendele seit zehn Jahren mit dem Zug zur Arbeit. Ich fahre auch lange Strecken, aus unserer norddeutschen Kleinstadt zu Seminaren nach München, immer mit der Bahn; das Flugzeug ist für mich wegen der Klimakrise keine Alternative. Und ich lache über Leute, die sich schon bei fünf Minuten Bahnverspätung herzgefährdend aufregen, eine halbe Stunde Stau auf der Autobahn aber als gottgegebene Selbstverständlichkeit hinnehmen.
Diebstahl von Lebenszeit
Doch in letzter Zeit hat sich das Bahnfahren zu einem Abenteuer entwickelt, das ich definitiv so nicht gebucht hatte. Bei 54 Minuten Fahrzeit von meinem Wohnort Lohne bis zu meinem Arbeitsort Osnabrück hat die Bahn fast immer mindestens 20, oft 30, manchmal mehr als 50 Minuten Verspätung. Mal wegen einer Signal- oder Stellwerksstörung, mal wegen des Wartens auf einen verspäteten Gegenzug, mal weil ein Gleis noch besetzt ist.
Die Gegenzugwarterei treibt die Verspätungen besonders heftig hoch – die Strecke ist eingleisig und die Züge können sich nur an wenigen Bahnhöfen begegnen. Kürzlich endete die Fahrt an einigen Tagen plötzlich und unangekündigt irgendwo unterwegs. Ich hatte Glück, wenn auf dem Nebengleis später ein anderer Zug kam.
In der App werden die Verspätungen vorher nie angezeigt. Da steht: pünktlich. Also fahre ich zum Bahnhof, warte, warte, warte – und frage mich, ob ich die Bahn nicht langsam mal wegen Diebstahls von Lebenszeit verklagen sollte. Manchmal zeigt die App an, dass der Zug an meinem Bahnhof schon abgefahren sein müsste, obwohl er in Wirklichkeit noch nicht mal angekommen ist – was dann schon wieder abgefahren wirkt.
Fahrpläne werden geschätzt
Ich würde die Bahn wirklich gern ernstnehmen, aber sie ist mittlerweile eine rollende Realsatire. Und das ist nicht nur meine gefühlte Privatwahrheit. Die Süddeutsche Zeitung zitierte kürzlich ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn mit dem Satz: „Fahrpläne werden nicht mehr gerechnet, sondern nur noch geschätzt.“ Nach Recherchen der Zeitung machen Signalstörungen, Stellwerksausfälle und kaputte Weichen einen geordneten Ablauf des Zugverkehrs mittlerweile fast unmöglich und die Fahrpläne mussten in diesem Jahr zwischen zwei und drei Millionen Mal geändert werden. Das Aufsichtsratsmitglied sprach von einem „Kontrollverlust“.
Warum ich euch das erzähle? Weil ich glaube, dass wir von der Bahn etwas lernen können. Wir können lernen, wie Veränderung nicht funktioniert. Und: was sich tun müsste, damit sie doch funktioniert.
Begeisterung wäre wichtig
Denn das ist wichtig. Wenn wir den Kampf gegen die Erderhitzung gewinnen und eine lebenswerte Zukunft haben wollen, müssen die CO2-Emissionen weltweit schnell und drastisch sinken. Auch im Verkehr. Bisher aber versagt der Verkehrssektor in Deutschland bei der Energiewende. Im Jahr 2023 war er laut Umweltbundesamt für rund 146 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortlich und trug damit rund 22 Prozent zu den Treibhausgasemissionen Deutschlands bei. Sein Anteil an den Gesamtemissionen stieg gegenüber 1990 um neun Prozentpunkte. Hier geht also nix voran.
Damit sich das ändert, müssen sehr viele Menschen vom Auto oder vom Flugzeug auf den Zug umsteigen – und das in einem Land, das sich jahrzehntelang als Autofahrerland definiert hat und in dem persönliche Freiheit oft als höchstes Gut gefeiert wird. Um die Menschen zu Veränderung zu bewegen, muss man sie überzeugen, gewinnen, idealerweise begeistern. Man muss ihnen ein gutes Gefühl geben und ihnen klarmachen, dass sie von der Veränderung etwas haben.
Viele könnten profitieren
So viele Menschen könnten von einer flächendeckend ausgebauten, zuverlässig funktionierenden Bahn profitieren: Pendler, die sich zurzeit mit dem Auto durch Staus quälen; Geringverdiener, die sich ihr Auto kaum leisten können, aber darauf angewiesen sind; Fußballfans auf dem Weg ins Stadion; Familien auf dem Weg in den Urlaub; Rentner, die Enkel am anderen Ende Deutschlands besuchen wollen; Städter, deren Straßen nicht mehr so vollgeparkt wären; Kinder, die mehr Platz zum Spielen hätten. Aber wenn die Bahn immer teurer und immer peinlicher wird, werden viele Menschen nicht zu ihr wechseln.
Die Bahn zeigt wirklich exzellent, wann Veränderung nicht funktioniert.
Sie funktioniert nicht, wenn die Politik notwendige Investitionen über Jahrzehnte verweigert und eine zentrale Infrastruktur verkommen lässt.
Sie funktioniert nicht, wenn die zuständigen Verkehrsminister ihre Verantwortung ignorieren und die Fehlentscheidungen von Bahnmanagern einfach hinnehmen.
Sie funktioniert nicht, wenn sich ein Land beharrlich weigert, vom Vorbild vieler anderer Länder zu lernen, in denen die Bahn reibungslos fährt.
Sie funktioniert nicht, wenn die Politik ein neues, sinnvolles System wie das Deutschlandticket einführt, dann aber ständig streitet, wer es finanziert.
Und irgendwann funktioniert die Veränderung dann gar nicht mehr – weil so viele Menschen Geschichten über verstopfte Toiletten und verpasste Umstiege, geschlossene Bordbistros und Störungen im Betriebsablauf erzählen können, dass alle nur noch mit den Augen rollen, sobald jemand mit dem nächsten Bahnerlebnis um die Ecke kommt.
Druck auf die Politik
Wenn die Bahn so weitermacht, droht sie in meiner persönlichen Verkehrsmittelbeliebtheitsliste weiter abzusteigen – auf einen Platz irgendwo zwischen einem platten Fahrrad und einem Auto mit Motorschaden. Das kann’s aber doch nicht sein, oder?
Was meint ihr: Wäre es nicht eine gute Idee, Druck auf die Politik zu machen, damit sie sich endlich ernsthaft um das Thema kümmert? Wäre es nicht ein schönes Ziel, dass die Bahn ihren Stammgästen künftig keine genervte Grimasse mehr entlockt, sondern ein gut gelauntes, tiefenentspanntes Lächeln?
So, liebe Leute, eine Bitte habe ich jetzt noch: Helft mit, für eine bessere Bahn zu kämpfen! Teilt diesen Text! Empfehlt ihn in eurem Whatsapp-Status, auf Instagram, Facebook und LinkedIn! Geht ganz einfach – mit diesem Link:
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Bis zum nächsten Mal: alles Gute!
Andreas