Kürzlich hatte ich eine großartige Idee. Dachte ich. Unser jüngerer Sohn spielte was auf seinem Handy, und ich fragte ihn: „Wollen wir nicht mal was anderes probieren? Ein Spiel von früher?“ Ich bat ihn, Pacman zu installieren. Er sagte: „Nie gehört.“ Dann lud er es trotzdem runter, vermutlich aus Mitleid, und los ging’s.
Gleich steuerte ich den Pacman, den gelben Ball mit dem Mund, los und mampfte Punkte. Passte auf, dass ich keine Monster berührte, die mich fressen wollen. Schluckte Kraftpillen, damit ich die Monster auch mal jagen durfte. Spürte, dass ich es noch konnte. Schaffte das erste Level. Also weiter, zweites Level. Aber dann: erstes Leben weg, zweites Leben weg, Mist. Schnell weiter, mampf, mampf, Achtung, Monster!, mampf, mampf, geschafft. Puh. Diese Spannung! Dieser herrlich einfache Sound! Alles wie damals, in den späten 80ern. Wie wunderbar!
Mein Sohn müsste jetzt doch auch begeistert sein, dachte ich. Er müsste zumindest ein klitzekleines bisschen von der Faszination spüren, die dieses Spiel auf mich damals ausgeübt hat – und die nun plötzlich zurückgekehrt war. Er müsste rufen: „Hey Papa, lass mich auch mal!“
Damals cool, heute nicht cool
Aber da kam nichts. Da war nur: Entsetzen. Fassungslosigkeit. Ein Stöhnen. Dann platzte es aus ihm heraus: „Wie kann ein Spiel so schlecht sein! Das ist sooo unfassbar langweilig! Die Grafik ist grottig. Der Sound ist unterirdisch. Es gibt nur einen Charakter, den man spielen kann. Einen!!! DA PASSIERT ÜBERHAUPT GAR NICHTS!!!!!“ Pause. Und dann: „Wer sich das ausgedacht hat, der hat sich doch gefragt: Wie kann ich Kinder mit einem Spiel möglichst doll quälen?“
So also kann Veränderung klingen. So kann es sich anhören, wenn die Gegenwart über die Vergangenheit spricht. Wenn die Jungen von heute den Jungen von gestern klarmachen, dass sie jetzt die Alten sind. Und dass ihre Welt, die damals cool war, heute, nun ja: halt nicht mehr cool ist.
Schmerzte diese Erkenntnis? Klar schmerzte sie. Aber nur ein bisschen. Unsere Kinder denken eh, dass meine Frau und ich aus der späten Bronzezeit kommen. Angesichts meiner, wie soll ich sagen: deutlich nachlassenden Frisur ist dieser Gedanke auch nicht allzu weit hergeholt. (Meine Frau spottet, ich lasse mir die paar Haare nur deshalb noch vom Friseur meines Vertrauens kürzen, weil ich mit ihm über Fußball quatschen wolle. „Schnibbeln und schnabbeln“, sagt sie. Und sie hat recht – aber das ist ein anderes Thema.)
Irrsinnige Verdichtung
Zurück zum Smartphone. Mit dem Sohn über Sounds und Grafiken zu diskutieren, hätte jetzt, im Moment seiner maximalen Entgeisterung, wenig Sinn gehabt. Zu beklagen, dass die Jugend von heute durch ihre vogelwilden Düdel-Blink-Crash-Boom-Bang-Zockereien so verdorben ist, dass sie die Qualitätsware aus der guten alten Zeit nicht mehr versteht – erschien mir auch nicht zielführend.
Er und ich, wir sind nun mal in sehr verschiedenen Computerspielwelten aufgewachsen: Ich sehe seine Welt mit den Augen von damals – und erkenne eine irrsinnige Verdichtung. Wahnsinn, wie sich Pixel, Informationen und Spielmöglichkeiten vervielfältigt haben. Und klar, dass mir da die Klassiker aus den frühen 90ern einfacher und übersichtlicher vorkommen. Er aber ist in dieser neuen Welt aufgewachsen. Für ihn ist die Veränderung, die ich spüre, gar nicht da. Er kennt’s nicht anders, als es ist.
Was nun? Tja: Was man empfiehlt, muss man ja auch selbst tun. Also habe ich mir vorgenommen, die Veränderung des Bildschirmgezockes als Chance zu verstehen. So, dass die Jungen von der alten Welt lernen – und die Alten von der jungen.
Handgelenk aus Stahl
Ich erzählte meinem Sohn also von damals. Von Computern, die C64 hießen und Amiga 500. Von Datasetten-Laufwerken, die eine Dreiviertelstunde brauchten, um unter Ächz- und Krächzgeräuschen ein Spiel zu laden – so lange, dass wir in der Zwischenzeit noch eine Runde draußen kicken konnten, bevor es losging. Von daumengroßen Bildschirm-Pixeln. Vom großartigen Spiel „Summer Games“, bei dem man den 1500-Meter-Lauf nur mit einem Handgelenk aus Stahl gewinnen konnte – weil man den Joystick so oft und schnell und heftig hin- und herbewegen musste, dass spätestens nach der zweiten Runde die Schmerzen kaum noch auszuhalten waren. Und vom Klassiker „Kick off“ – einem legendären Fußballspiel, bei dem es uns ein Mal, ein einziges Mal gelang, einen Gegner so artistisch umzugrätschen, dass er von zwei Sanitätern mit einer Trage abtransportiert werden musste. Der Sohn hörte zu und staunte.
Im Gegenzug bringt er mir jetzt ab und zu ein paar von seinen Spielen bei. Ich bin ziemlich schlecht; meistens habe ich alle Leben verloren, bevor ich verstanden habe, worum es überhaupt geht. Aber ein klitzekleines bisschen habe ich mich schon gesteigert. Und zum Glück ist mein Sohn ein geduldiger Lehrer (was allerdings auch daran liegen könnte, dass er mich meistens im Trainingsmodus spielen lässt, damit ich seine Bilanz nicht versaue). Manchmal, schätze ich, genießt er seine Überlegenheit.
Bald treffen wir uns zum ultimativen Duell. Ein Freund hat sich einen Amiga 500 Mini bestellt, eine Retro-Ausgabe des Computers aus unserer Jugend. Mit „Kick off 2“, dem Nachfolger des legendären Spiels von damals. Er hat uns schon zum Zocken eingeladen. Da werde ich dann also gegen meinen Sohn antreten. Mit Grätschen und allem, was geht. Und dann wollen wir doch mal sehen, ob die alte Welt die neue nicht doch noch manchmal bezwingen kann.
Kennt Ihr Leute, die auch gern an C64 und Amiga 500 zurückdenken? Dann schickt ihnen diesen Text – auf Facebook, Whatsapp oder wo immer Ihr mögt:
Gefällt Euch mein Newsletter? Dann empfehlt ihn weiter – mit diesem Link:
Seid Ihr neu hier und habt meinen Newsletter noch nicht abonniert? Dann tragt hier Eure Mailadresse ein – und Ihr bekommt automatisch alle zwei Wochen meinen neuesten Text:
Alle Texte, die bisher in meinem Newsletter erschienen sind, findet Ihr hier.
Mein nächster Text über Veränderung kommt in zwei Wochen.
Bis dahin: alles Gute!
Andreas