Erinnert Ihr Euch, wie es war, als Eure Kinder laufen gelernt haben? Oder Eure Nichten, Nachbarbabys, Cousins? Sie stehen da, torkeln los, wanken, plumpsen auf den Po. Stehen gleich wieder auf. Probieren es nochmal. Spüren, was plötzlich geht, wenn sie laufen können. Diese ersten Schritte sind der Weg in eine neue Welt.
Haben die Babys nach dem ersten Schritt auch den zweiten und dritten gemacht, kommen sie bald viel schneller als vorher zum extrem attraktiven Süßigkeitenschrank. Oder zur Haustür, wenn das geliebte Müllauto um die Ecke biegt. Sie liegen und krabbeln nicht mehr nur rum. Sie gehen jetzt aufrecht. Das ist eine große Nummer für diese kleinen Menschen.
Ich möchte mit diesem Text dafür werben, von den Babys zu lernen. Von ihrem Mut. Von ihrer Neugier. Von ihrer Entschlossenheit, die ersten Schritte zu wagen.
Der Kuss im Kino
Erste Schritte zu machen, kann unendlich viel verändern, auch später im Leben. Jeder Mensch hat das schon mal gespürt – ob einst, beim ersten Kuss im Kino und beim ersten Sprung vom Fünf-Meter-Turm im Freibad, oder heute, beim ersten versöhnlichen Wort nach einem viel zu langen Streit. Immer hat es Auswirkungen, wenn jemand mit etwas anfängt. Immer bringt es Dinge in Bewegung. Oft viel stärker, als wir uns vorstellen können. Wir neigen dazu, die Kraft der ersten Schritte zu unterschätzen. Verharren regungslos. Trauen uns nicht. Und denken, dass wir kleinen Lichter doch eh nichts bewirken können.
Dabei verändern erste Schritte, wenn wir sie wagen, in Wahrheit nicht nur für uns selbst etwas. Sie können auch andere motivieren, sich zu bewegen – und mitzugehen. Nicht nur bei den kleinen privaten Themen, sondern auch bei den großen politischen Problemen, die uns alle betreffen. Zum Beispiel bei der wichtigsten Frage unserer Zeit: der Frage, wie wir die Erderhitzung bremsen und daran arbeiten können, dass unsere Welt auch in Zukunft lebenswert bleibt.
Die Transformationsforscherin Maja Göpel schreibt dazu in ihrem spannenden neuen Buch „Wir können auch anders“: „Ich habe das Gefühl, dass uns für den Aufbruch in die Welt von morgen weniger die Ideen fehlen als vielmehr die Überzeugung, dass wir sie auch umsetzen können. Womöglich fehlt das Vertrauen, die ersten Schritte zu wagen, und die Zuversicht, dass viele bereit sind, sie mitzugehen.“ Und: „Wir unterschätzen uns selbst. Und übersehen, dass die Dinge längst begonnen haben, sich zu drehen, und wir uns einmischen sollten.“
Auf einmal ist alles möglich
Unsere Gesellschaften, so analysiert Göpel, stünden schon „inmitten von Veränderungen, wie sie in der Geschichte der Menschheit bisher wohl nur die Erfindung des Ackerbaus oder die Entstehung von Feudalismus, Industrialisierung und Kapitalismus mit sich brachten“. Sie betont: „Zu keinem Zeitpunkt ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Dinge unaufhaltsam ins Rollen kommen, größer als jetzt. Auf einmal ist möglich, was kurz davor noch undenkbar zu sein schien.“
Ein Beispiel für einen politischen ersten Schritt, der etwas unaufhaltsam in Bewegung gebracht hat, ist das Neun-Euro-Ticket. Anfangs haben viele es belächelt. Dann aber haben viele Menschen gemerkt, wie sinnvoll es ist, dass öffentlicher Nahverkehr für alle günstig und bezahlbar ist – und nun soll es ein ähnliches Ticket bald dauerhaft geben, wenn auch etwas teurer.
Wenn unsere Gesellschaft so schnell klimafreundlich werden soll, wie die Dramatik der Klimakrise es erfordert, dann muss die Politik viele solche ersten Schritte machen – und Menschen motivieren mitzugehen. Aber auch jede und jeder Einzelne kann vorangehen. Zum Beispiel durch die bewusste Entscheidung, wegen der Klimakrise nicht mehr in den Urlaub zu fliegen. Und dadurch, dass er danach anderen davon erzählt, wie wunderschön näherliegende Urlaubsziele sind – und dass man durch diesen freiwilligen Verzicht nichts verlieren muss, sondern sogar vieles gewinnen kann.
Im Nu entsteht ein Trend
Im besten Falle kann ein Mensch, der etwas verändert, andere mitreißen. Und auf einmal fühlt sich der Mensch, der den ersten Schritt gewagt hat, nicht mehr wie ein einsamer Freak, sondern er ist der, der einen Trend gesetzt hat. Winzige Anfänge können also einen riesigen Wandel auslösen. Und aus dem Nichts kann ein Trend entstehen. Etwa wenn ein gerade eröffnetes Restaurant im Nu zum Geheimtipp wird und über Wochen ausgebucht ist. Oder wenn die schwedische Schülerin Greta Thunberg immer freitags für Klimaschutz demonstriert – und daraus ratzfatz die weltweite Fridays-for-Future-Bewegung wird.
„Kein Wandel kommt aus dem Nichts. Keiner von uns handelt isoliert von dem, was davor war oder was andere tun“, schreibt Göpel. „Behalten Sie das im Hinterkopf, wenn Ihnen jemand erzählen will, dass das, was Sie tun, am Großen und Ganzen nichts ändern wird, weil Sie zu klein, zu unbedeutend oder zu wenige sind.“
Das größte Abenteuer
Die Transformationsforscherin schärft ihren Leserinnen und Lesern ein: „Sie haben das Vermögen, einen Unterschied zu machen. Zum Beispiel Energie einzusparen und damit zu zeigen, dass Sie naturwissenschaftliche und technische Grundlagen unserer Existenz akzeptieren. Und die Politik zu ermutigen, dass solche Aufforderungen keine ökodiktatorischen Zumutungen sind, sondern schlicht Realpolitik.“
Diese Sätze machen Mut zu ersten Schritten. Göpel schreibt, die riesige Veränderung, die wir gerade erleben, sei das „größte Abenteuer der Menschheit“. Und: „Sie wird aus lauter kleinen Schritten bestehen.“ Wer geht alles mit?
Hat Euch dieser Text gefallen? Dann teilt ihn in allen sozialen Netzwerken. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
Seid Ihr neu hier und habt meinen Newsletter noch nicht abonniert? Dann tragt hier Eure Mailadresse ein – und Ihr bekommt automatisch alle ein bis zwei Wochen meinen neuesten Text. Immer über die Frage, wie Veränderung eine Chance sein kann:
Mein nächster Text über Veränderung kommt schon in einer Woche.
Bis dahin: alles Gute!
Andreas