„Natürlich hatte ich auch Angst“
Wie Sophia Eastman die Veränderung ihres Lebens gemeistert hat


Sophia Eastman (früher: Saller) hat als Triathletin schnell Karriere gemacht. Sie wurde U23-Weltmeisterin und träumte von den Olympischen Spielen. Aber dann hat sie mit 25 Jahren eine radikale Veränderung gewagt: Sie hat ihre Karriere beendet – und ist KI-Forscherin geworden. Im Interview hat die heute 31-Jährige mir erzählt, warum sie das getan hat und wie es ihr damit geht.
Du bist im Triathlon ziemlich schnell ziemlich gut geworden.
Stimmt, ja. An meinem 16. Geburtstag hab ich meine erste Laufeinheit gemacht, mit 20 war ich U23-Weltmeisterin.
Ganz okay, oder?
Irgendwie überwältigend, wie schnell das alles ging und wie früh der Erfolg kam. Klar war das cool. Aber der Erfolg war für mich nicht alles. Mich hat mehr der Spaß am Sport angetrieben.
Was genau war es, das dir Spaß am Sport gemacht hat?
Ich weiß, für manche Leute ist das ein Albtraum, aber ich fand es cool, eine harte Laufeinheit zu machen, mich völlig auszupowern und am nächsten Morgen mit schweren Beinen aufzuwachen. Ich hab extrem gern lange Läufe gemacht: Kopf durchblasen, dem Alltag entfliehen. Ich wollte schauen: Wo liegen meine Grenzen? Wie weit kann ich sie verschieben? Oft hat sich das Laufen schwerelos angefühlt.
Schwerelos?
Ja, das war einfach geil. Ich habe gepusht, bin schneller geworden und in einen Flow reingekommen. Es war, als würde ich nicht gegen den Boden arbeiten, sondern mit dem Boden. Dieses Gefühl, das vermisse ich am Sport am meisten.
Du schwärmst immer noch, wenn du vom Sport erzählst.
Es war ja auch eine tolle Zeit. Meine Teamkollegen aus dem Nationalkader haben sich immer darüber lustig gemacht, dass ich es geschafft habe, im Trainingslager morgens um sieben vor der Tür zu stehen mit einem Lachen auf dem Gesicht, ready to run, als alle anderen noch so im Halbschlaf rumgetorkelt sind. Ich hab nie gedacht: Ich muss trainieren. Sondern: Ich will trainieren, ich will besser werden, ich will mich auspowern. Aber irgendwann ist dieses Gefühl verloren gegangen – und das Training immer mehr zur Belastung geworden.
Woran hast du das gemerkt?
Ich hab angefangen, beim Training darüber nachzudenken, was ich jetzt alles machen könnte, statt vier Stunden auf dem Rad zu sitzen.
Wie kam das?
Ich hatte viele Verletzungen. Los ging das 2015, da hab ich bei einem WM-Serienrennen in London beim Schwimmen einen Kick in den Kiefer bekommen. In den Jahren danach hatte ich immer wieder Verletzungen und Schmerzen, immer links: in der Hüfte, in der Schulter, im Bein. 2016 hatte ich meinen ersten Ermüdungsbruch. Erst zweieinhalb Jahre nach dem Kick ist einem Physiotherapeuten aufgefallen, dass die Kieferverletzung die Ursache für alles ist. Noch heftiger waren aber meine Darmprobleme.
Woher kamen die?
Wahrscheinlich von dem Wasser, in dem man als Triathletin schwimmt – das hat ja manchmal nicht die beste Qualität. Die Darmprobleme wurden immer schlimmer. Ich hab sogar eine Darmsanierung gemacht. Ich hatte gar keine Energie mehr. Einmal hatte ich beim Radfahren im Trainingslager das Gefühl: „Scheiße, ich weiß nicht, ob ich überhaupt wieder nach Hause zurückkomme – so fertig war ich.“ Da habe ich gemerkt: Irgendwas ist mit mir falsch. Mein Körper reagiert nicht mehr so, wie er soll.
Wie war das für dich?
Das war mental viel härter als jeder Ermüdungsbruch, bei dem ich wusste: Okay, da ist jetzt was gebrochen, du wartest ab, bewegst dich anderweitig, dann wird das schon wieder. Hier wusste ich nicht, was ich tun kann und wie lange das alles dauern wird.
Du hast dich ganz schön gequält für den Sport, oder?
Definitiv, ja. Und ich hatte den Eindruck, dass der Verband mich oft nur als Athletin gesehen hat: Solange ich funktioniert habe, war alles toll. Aber als es dann mal nicht so lief, wurde ich schnell fallengelassen. Meine Mama hat früh gesagt: „Hör auf!“ Sie hat früher auch Leistungssport gemacht, Skilanglauf und Marathon, und sie hat mit 25 ihre Karriere beendet. Ich hatte immer gedacht: Länger als meine Mama mache ich definitiv. Das war dann doch nicht so.
Dabei wolltest du so gern einmal Olympia erleben.
Ja, ich wollte unbedingt zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio. Ende 2015 war ich drittbeste Deutsche, wir hatten drei Startplätze. Ich war in der wahrscheinlich besten Form meiner Karriere.
Und dann?
Dann habe ich durch eine Verletzung Anfang 2016 Wettkämpfe verpasst und nicht die Leistungen gezeigt, die ich zeigen wollte. So fehlten mir die Punkte in der Weltrangliste und es wurde immer klarer, dass es mit der Olympia-Quali nicht klappen würde. Dann ist auch noch mein Papa schwerkrank geworden und im August 2016 gestorben. Dadurch, dass ich nicht zu Olympia gefahren bin, konnte ich die letzten Wochen seines Lebens mit ihm verbringen.
Wie hat das deinen Blick auf den Sport verändert?
Ich dachte plötzlich: All das, wo ich so viel Energie, so viel Zeit, so viele Emotionen reingesteckt habe, was bringt das eigentlich? Ich habe so viel dafür aufgegeben, die Beste zu sein. Aber warum? Ist es nicht viel wichtiger, Zeit mit lieben Menschen zu verbringen, als im Sport noch eine halbe Sekunde schneller zu laufen?
Trotzdem hast du dir Olympia 2020 in Tokio als neues Ziel gesetzt.
Ja, ich wollte es nochmal probieren. Aber auf dem Weg dorthin hatte ich jedes Jahr mit neuen Problemen zu kämpfen, mit Verletzungen und meinen Darmproblemen.
Wie hat es sich angefühlt, als du entschieden hast, mit 25 Jahren deine Triathlon-Karriere zu beenden?
Einerseits habe ich mich gefreut auf das, was alles kommen kann. Darauf, mich mal nicht körperlich, sondern mental komplett zu verausgaben. Und darauf, die Herausforderungen zu meistern, die auf mich warten. Andererseits: Natürlich hatte ich auch Angst.
Warum?
Mein Freund und ich sind damals zusammen mit der Uni fertig geworden und von Oxford ins Saarland gezogen. Der gemeinsame Neuanfang war aufregend und toll. Aber da waren auch so viele Fragen: Wo genau landen wir? Kriegen wir das alles so hin, wie wir uns das vorstellen? Finden wir die passenden Jobs – auch er, der Engländer ist und damals einen Job brauchte, bei dem man Englisch sprechen kann?
Hast du gedacht: Wenn ich mit dem Leistungssport aufhöre, dann fehlt mir ein Teil meiner Identität?
Ja, auf jeden Fall. An der Uni in Oxford …
… wo du Mathematik studiert und später promoviert hast …
… war ich immer die Sportlerin, im Sport immer die Studentin. Mit dieser Kombination hab ich mich identifiziert. Die hat mir eine Bedeutung gegeben, die fanden viele spannend. Ich hatte Angst, dass ich diese Besonderheit verliere, wenn ich mit dem Sport aufhöre. Ich hatte Angst, dass ich einen Teil von mir aufgebe.
Und, war das so?
Ja, ich habe wirklich einen Teil meiner Identität aufgegeben. Geholfen hat mir, dass ich einen klaren Schnitt gemacht habe. Mir war klar: Ich werde nicht Trainerin. Ich gehe in eine ganz andere Welt, die mit Leistungssport nichts zu tun hat. Ich gehe so weit weg, wie ich nur kann.
Wie haben dein Freund und deine Familie dich auf dem Weg zu deiner Entscheidung beeinflusst?
Eigentlich war ich die, die am längsten am Leistungssport festgehalten hat.
Ach, wirklich?
Ja. Mein Papa hat, bevor er gestorben ist, gesagt: „Vor den nächsten Olympischen Spielen wirst du das alles satthaben.“ Meine Mama hat gesehen, wie schwer die Zeit mit den Verletzungen und Darmproblemen für mich war und wie sehr ich gekämpft habe. Mein Freund hat auch gesehen, was mir die Vision Olympia bedeutet hat. Aber irgendwann wurde mir klar, dass ich das nicht mehr will. Als ich meinem damaligen Trainer von meiner Entscheidung erzählt habe, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Alles, was mich vorher belastet hatte, war plötzlich weg.
Der große Veränderungsschritt war also richtig?
Auf jeden Fall. Ich hatte neben dem Sport ja immer auch mein Studium und meine Promotion durchgezogen. Und jetzt hab ich mir gesagt: Okay, es steht eh ein Umbruch an mit dem Ende des Studiums und der Promotion, dann mache ich halt einen richtigen Umbruch daraus – und höre mit dem Leistungssport auf.
Viele Menschen haben Angst vor Veränderungen. Hast du einen Tipp für sie?
Ich glaube, Veränderung muss Angst machen. Angst ist ganz normal. Aber die coolsten Dinge passieren, wenn man sich aus seiner Komfortzone raustraut und den Veränderungsschritt wagt. Dadurch macht man Erfahrungen, die man sich so vorher gar nicht vorzustellen getraut hat. Klar, man hat keine Sicherheit, dass alles so läuft, wie man sich das wünscht. Aber es kann eben auch sein, dass alles besser wird, als man denkt.
Du siehst Veränderung also eher als Chance?
Genau, ja. Ich hatte eine Weile mal als Hintergrund auf dem Laptop den Spruch: „What if I fall? Oh but my darling: What if you fly?“ Und selbst wenn ich gefallen wäre und gemerkt hätte, der Schritt war doch falsch: Dann hätte ich nach einem halben Jahr immer noch zurück in den Leistungssport gehen können. Der Weg war ja nicht zu.
Du hast damals am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz angefangen. Wie war der Start ins neue Leben?
Ich hab mich mit voller Kraft in dieses neue Leben gestürzt. Und es war schon alles sehr anders als im Sport. Zumal nach neun Tagen im Büro auch noch Corona kam. Plötzlich saßen wir im Home Office. Ich hab extrem viel gelernt in der Zeit, ich hab viele neue Leute kennengelernt, ich hatte viel mehr Verantwortung als vorher – das hat richtig Spaß gemacht. Einfach eine neue Welt: was Neues kennenlernen, was Neues aufbauen. Und nicht mehr täglich zum Training müssen. Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung für mich.
Später bist du dann noch mal gewechselt.
Ja, vom Forschungszentrum zu einem Start-up, mit dem wir KI in Unternehmen bringen. Das war nochmal ein großer Schritt für mich. Vorher hatte ich mehr Sicherheit. Beim Start-up wusste ich: Es könnte morgen vorbei sein. Aber der Wechsel war gut für mich. Ich hab so viel Spaß an dem, was ich jetzt mache. Und ein bisschen ist es wie früher im Leistungssport: Ich arbeite Tag für Tag extrem hart für den nächsten Erfolg, für das nächste große Ziel. Ich weiß, ich werde das Ziel nicht an einem Tag, in einer Woche, in einem Monat erreichen, aber ich bleibe dran. Früher war das Ziel ein guter Wettkampf – heute ein erfolgreiches Projekt bei einem Kunden.
Gibt es noch mehr Parallelen zwischen deinem alten und deinem neuen Leben?
Manches ist eher genau umgedreht. Damals dachte ich nach langen Trainingstagen: Ich muss noch irgendwas für meinen Kopf machen. Heute merke ich nach langen Arbeitstagen: Ich muss unbedingt noch Sport machen.
Machst du noch viel Sport?
Ja. Ich gehe zweimal die Woche schwimmen, zweimal laufen und mache zweimal Stabilitäts- und Krafttraining. Wenn ich das der Sophia von vor fünf Jahren erzählen würde, würde die mich auslachen: „Was, so wenig machst du nur?“ Wenn jeder Tag mehr Stunden hätte, würde ich mehr machen. Aber auch so tut es gut – gerade, wenn ich den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen habe.
Du klingst, als ob du im Reinen bist mit dir und dem Sport.
Das stimmt. Und ich genieße es, dass der Sport jetzt nur noch ein Hobby ist. Als Leistungssportlerin konnte ich nie aufhören, Sportlerin zu sein. Wochenenden waren irgendwie auch nur andere Trainingstage. Und sogar, wenn ich nicht trainiert habe, musste ich schauen: Wie regeneriere ich mich? Was esse ich? Was trinke ich? Jetzt ist das vorbei. Ich kann am Wochenende einfach mal meine Familie in München besuchen fahren, wenn ich will. Ich kann eigene Prioritäten setzen und auch mal komplett abschalten. Das ist sehr befreiend.
Hat euch dieses Interview gefallen? Dann teilt es in allen sozialen Netzwerken. Empfehlt es in eurem Whatsapp-Status, auf Instagram, Facebook und LinkedIn. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
Seid ihr neu hier und habt meinen Newsletter noch nicht abonniert? Dann tragt hier eure Mailadresse ein – und ihr bekommt automatisch alle zwei Wochen kostenlos meinen neuesten Text. Immer über die Frage, wie Veränderung eine Chance sein kann:
Bis zum nächsten Mal: alles Gute!
Andreas
What a story. Thank you, Sophia, for the clarity, the grace—and that kind of quiet strength that so few ever speak aloud.
Reading this, I remembered a message I once sent you many years ago. It was just after you’d lost your father. I don’t know if you ever saw it, but it came from a sense I had, an ache I couldn’t quite explain… and perhaps still can’t.
This piece touches on something many never name: how invisible certain forces can be when we’re pushing toward excellence—whether on the track, in the lab, or through life. I resonated deeply with the way you described what it’s like when the body no longer wants to keep chasing something the soul has outgrown. How the weight of systems—sometimes even well-meaning ones—can become unbearable when the deeper ‘yes’ has shifted somewhere else.
You’ve always moved with both fire and clarity. And now, even more so. This was beautiful to read. Thank you again for speaking it.
—Alex K.