Seit Tagen wird in Deutschland über ein Böllerverbot diskutiert. Der Grund: die gezielten Angriffe mit Feuerwerkskörpern auf Polizisten und Feuerwehrleute in der Silvesternacht. Etliche Politiker haben Bestürzung geäußert über das, was in vielen Städten passiert ist, am schlimmsten in Berlin. Aber wie es aussieht, folgen ihren vielen Worten wenige Taten. So ändert sich nichts. Es muss sich aber etwas ändern.
Ich möchte mit diesem Text für einen neuen Blick auf die aktuelle Debatte werben. Ich möchte dazu ermutigen, die Böllerverbotsdiskussion nicht mehr nur als abstrakte politische Frage zu verstehen – sondern persönlich zu nehmen. Und zu überlegen, was sie mit den Menschen zu tun hat, die mir wichtig sind.
Polizisten in der Clique
Vielleicht habe ich in meiner Clique Polizistinnen und Polizisten. Und denke, dass sie nicht nur meine Helfer, sondern auch meine Freunde sind. Dann wünsche ich mir, dass ihre Partner, Kinder, Eltern und Kumpels sie nach Silvester unverletzt wiedersehen. Ich wünsche mir, dass ihr Leben an Silvester nicht noch mehr in Gefahr gerät als sowieso schon – und dass ein asozialer Mob sich in Zukunft nicht mehr völlig legal zusätzliche Waffen besorgen kann, um sie gezielt zu attackieren.
Vielleicht engagieren sich Bekannte von mir bei der Freiwilligen Feuerwehr. Sie löschen Brände und retten Leben, ehrenamtlich, in ihrer Freizeit. Dann wünsche ich mir, dass der Staat alles, wirklich absolut alles unternimmt, um sie bestmöglich zu schützen. Und ich wünsche mir, dass sie an Silvester nicht wieder mitten in Einsätzen angegriffen werden – auch mit Munition, die man nach geltender Gesetzeslage in jedem Supermarkt bekommen kann.
Überlastete Ärztinnen
Vielleicht weiß ich von Ärztinnen und Krankenpflegern, die dauerhaft überlastet sind, an Silvester sowieso. Dann wünsche ich mir, dass sie in ihrem Krankenhaus nicht noch zusätzlich Menschen mit zerfetzten Händen, abgesprengten Ohren oder verbrannten Gesichtern versorgen müssen – sondern ihre Kraft den Patienten widmen können, die eh schon da sind.
Vielleicht kenne ich alte Menschen, die schreckhaft sind und nicht mehr so gut zu Fuß. Dann wünsche ich mir, dass sie sich künftig vor, an und nach Silvester wieder bedenkenlos vor die Tür trauen – und nicht aus Angst zu Hause verharren. Ich finde, dass die Freiheit dieser schwachen Alten mehr wiegt als die der starken Jungen, die meinen, Knallerei sei ein Menschenrecht.
Nachbarn mit Kleinkindern
Vielleicht haben meine Nachbarn kleine Kinder. Ich wünsche mir, dass sie an Silvester abends gegen zehn mit ihnen problemlos eine Runde um den Block gehen können – ohne fürchten zu müssen, mit Böllern beworfen zu werden. Und ich erinnere mich daran, dass wir nach Corona doch gesagt hatten, wir dürften die Kinder in Debatten nie wieder vergessen.
Vielleicht weiß ich von Hundebesitzern, deren Tiere wegen der Knallerei vor Angst Türen zerkratzen, jedes Jahr aufs Neue. Dann frage ich mich: Muss das wirklich sein?
Vielleicht habe ich lange in Berlin gewohnt und am eigenen Leib erlebt, wie Silvesterfeuerwerk als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird. Habe bei Freunden gefeiert, bis nachts um halb vier, und bin dann mit der U-Bahn nach Hause gefahren, ins gutbürgerliche Pankow. Bin dort vorsichtig über den Gehweg geschlittert, weil überall Glatteis war und mal wieder nichts geräumt. Bin dann, aus dem ersten Stock eines Hauses, von mehreren Männern gezielt mit Böllern beworfen und mit Raketen beschossen worden. Konnte wegen der Glätte nicht weglaufen. Und hatte nur Glück, dass die Angreifer zu besoffen oder zu dumm waren, um zu treffen.
Flüchtlinge aus der Ukraine
Vielleicht kenne ich Flüchtlinge aus Syrien oder der Ukraine, für die Bum-Bum-Geräusche nicht nach Spaß klingen, sondern nach Horror und Tod. Dann wünsche ich mir, dass an Silvester ihre Traumata nicht wieder hochkommen, weil Menschen es hier krachen lassen.
Vielleicht habe ich die Bilder des russischen Vernichtungskriegs im Kopf, des Kriegs, der gerade mitten in Europa tobt, in unserer Nachbarschaft. Und wünsche mir im sonst so friedlichen Deutschland etwas mehr Stille, als passendes Zeichen in dieser Zeit.
Ein neues Silvester
Vielleicht fallen mir sogar noch viel mehr Gründe für ein Böllerverbot ein. Und ich frage mich: Wollen wir Zustände wie an diesem Silvester wirklich weiter schulterzuckend hinnehmen, aus falsch verstandener Toleranz? Wollen wir auch die längst bekannten guten Argumente, die für ein Böllerverbot sprechen, weiter ignorieren, etwa die Feinstaubbelastung und den Müll? Oder wollen wir Silvester neu denken? Das könnte doch eine Chance sein.
Und mal ernsthaft: Wer zum Jahreswechsel zwingend einen Knall haben muss, um den Abend zu genießen, der sollte vielleicht mal die Party wechseln.
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Bis dahin: alles Gute!
Andreas
Sorry, weil manch einem das nicht gefällt soll es verboten werden? Es gibt viele Dinge die mir nicht gefallen aber dennoch erdreiste ich mich nicht über ein Verbot nachzudenken oder sogar dafür zu kämpfen. Leben und Leben lassen!
Guten Abend Herr Lesch, ich teile komplett ihre Meinung. Eine Freundin musste miterleben, wie in einem nahegelegenen kleinen Park die dort schlafenden Vögel durch die Silvesterknallerei aufgeschreckt wurden, sich verflogen und sich dadurch das Genick brachen. Am anderen Morgen war die Wiese übersäht mit toten Vögeln.
Auch Wildtiere leiden stark an dieser hirnrissigen Knallerei. Für Tiere ist es insgesamt ein traumatisches Erlebnis.
Das wollte ich noch hinzufügen.
Auch habe ich den Eindruck, dass die Politik jetzt vor einem allgemeinen Böllerverbot ablenken will und die nicht immer geglückte Integration in den Vordergrund der Diskussion schieben will. Es sind also wieder die Ausländer schuld, oder wie!
Wir sollten uns an unserem Nachbarn Frankreich orientieren. Dort herrscht ein allgemeines privates Böllerverbot und nur in großen Städten gibt es ein von Feuerwehr und Polizei gesichertes Feuerwerk, was professionelle Pyrotechniker abbrennen. Dies würde viele Probleme lösen.