Steffen Otten hat ein Start-up namens Runamics gegründet. Er verkauft Kleidung, mit der Sportlerinnen und Sportler kein schlechtes Gewissen mehr zu haben brauchen. Wie das geht, was ihn dabei antreibt und was er dadurch verändert, hat der 36 Jahre alte Hamburger mir im Interview erzählt.
Wie bist Du auf die Idee gekommen, umweltfreundliche Sportkleidung zu produzieren?
Durch ein persönliches Problem: Ich bin selbst seit langer Zeit Freizeitläufer, und vor ein paar Jahren habe ich in einem Video davon gehört, dass das Mikroplastik in herkömmlicher Sportkleidung ein Problem ist. Das war ein Kippmoment bei mir im Kopf. Das habe ich irgendwie nicht mehr vergessen. Immer, wenn ich laufen war, habe ich daran denken müssen, dass ich gerade einen Umweltschaden verursache, weil ich die Kleidung später in die Waschmaschine stecke und dann das Mikroplastik im Wasser landet.
Und dann?
Dann habe ich geschaut, ob es Alternativen gibt. Ich habe aber keine gefunden. Da habe ich gedacht: Okay, da ist eine Nische.
Also hast Du mal eben eine neue Firma gegründet?
Ganz so einfach ging es nicht. Ich dachte damals, ich könnte beruflich gerade eine Veränderung vertragen. Mein Job war nicht mehr so richtig erfüllend. Ich wurde den Gedanken nicht los, ob ich mit meiner Arbeit nicht irgendeinen höheren Sinn verfolgen sollte. Also habe ich Runamics gestartet. Gar nicht als Firma, mehr so als Projekt.
Wie ging das konkret?
Ich habe die Hamburger Modedesignerin Lena Rix bei Xing angeschrieben und sie gefragt, ob sie Lust hätte, für mich ein kleines Set zu designen. Das hat sie gemacht. Dann war ich bei zig Messen und habe mit Herstellern und Wissenschaftlerinnen zu dem Thema Textilien und Mikroplastik gesprochen. Dann habe ich daraus einen kleinen Entwurf gemacht und den bei einer Crowdfunding-Kampagne vorgestellt, um das Projekt zu finanzieren. Das hat gut geklappt – und bald haben Leute unser erstes Produkt vorbestellt, das es noch gar nicht gab. So wurde aus dem Projekt ein Start-up. Und das hat dann Fahrt aufgenommen.
Was genau ist an Eurer Sportkleidung überhaupt umweltfreundlicher als an herkömmlicher Sportkleidung?
Herkömmliche Sportkleidung wird aus herkömmlichem Plastik gefertigt, und dafür werden Chemikalien verwendet, die man eigentlich nicht auf seiner Haut haben möchte – auch nicht in kleinsten Mengen. Das ist das eine Problem. Das andere Problem ist, dass sie nur bis zum Tragen gedacht und konzipiert ist. Diese Kleidung ist einfach nicht dafür gedacht, so entsorgt zu werden, wie sie heute oft entsorgt wird, nämlich über Altkleider-Container, und dann zu 60 Prozent nach Afrika zu gehen, wo sie oft in der Umwelt landet. Und sie ist auch nicht dafür konzipiert, in Deutschland in der Verbrennung zu landen.
Was genau ist beim Entsorgen in Afrika das Problem?
In Afrika werden die Altkleider oft in Flüsse oder Wälder geworfen und verschmutzen sie. Diese Materialien zersetzen sich in der Umwelt nicht. Der Export von Alttextilien ist ein massives Umweltproblem. Und es ist ethisch völlig absurd, dass wir es uns erlauben, dieses Problem mit unserem Erste-Welt-Abfall zu verursachen.
Und was ist beim Verbrennen in Deutschland das Problem?
Wenn man Kleidung aus Polyester verbrennt, entstehen in der Ascheschlacke, die am Ende übrigbleibt, Nebenprodukte – und die sind schädlich und toxisch. Die müssten eigentlich in Endlagern gelagert werden, wie Atommüll. Aber in Deutschland wird das einfach in den Straßenbelag gekippt. Andere Länder lachen über uns, weil wir das noch immer machen.
Euer Ziel ist, dass Eure Produkte am Ende wieder zurück in den biologischen Kreislauf kommen können. Wie kann ich mir das konkret vorstellen: Kommt das Laufshirt, wenn es kaputt ist, in den Bio-Müll?
Wir orientieren uns an einem Kreislaufkonzept, das heißt Cradle to Cradle. In diesem Konzept gibt es zwei Kreisläufe: den biologischen und den technischen. Der biologische besagt, dass man nur biologisch abbaubare Materialien verwendet, die am Ende kompostierbar sind. Der technische heißt: Man nimmt Materialien, aus denen man später wieder ein gleichwertiges neues Produkt fertigen kann.
Das heißt: Shirt in den Biomüll, das geht?
Ja, unser Baumwoll-Shirt kannst Du durchaus kleinschneiden und im Garten auf Deinen Komposthaufen schmeißen. Andere unserer Produkte kannst Du an uns zurückschicken oder beim Händler abgeben und wir kümmern uns darum, dass sie industriell kompostiert werden. So richten sie in der Umwelt keinen Schaden an.
Du hast vorhin von dem Mikroplastik gesprochen, das beim Waschen herkömmlicher Sportkleidung im Abwasser landet. Warum ist das ein Problem?
Wenn man ein Textil in der Waschmaschine wäscht, waschen sich kleinste Partikel aus dem Kleidungsstück raus. Von den heutigen Waschmaschinen können die nicht gefiltert werden – und auch nicht von den Filtern in der Kläranlage. Wenn das frisch geklärte Wasser wieder in den Umlauf kommt, ist darin also immer noch dieses Mikroplastik enthalten. Mittlerweile ist in allen Ozeanen Mikroplastik textilen Ursprungs zu finden.
Ja, und?
Man kann noch nicht absehen, welche langfristigen Konsequenzen das für uns haben wird. Aber klar ist: Man kann schon heute keine Auster mehr essen, in der kein Mikroplastik ist. Und wir Menschen haben das schon im Körper, es ist im Blut und im Stuhl nachgewiesen worden. Ich glaube, es ist eine gute Idee, dieses Problem nicht noch größer werden zu lassen.
Deshalb setzt Ihr auf Euer Kreislaufkonzept?
Genau. Und allmählich setzen immer mehr Unternehmen auf das Cradle-to-Cradle-Prinzip. Der Modekonzern C&A etwa. Und BMW will das erste Cradle-to-Cradle-Auto bauen. Peu à peu kommen auch die Großen auf die Reise mit. Es sind nicht mehr nur die Kleinen, die mühsam versuchen, das nach vorne zu bringen.
Mühsam scheint es wirklich zu sein. Auf Eurer Homepage schreibt Ihr: „Es ist ein langer Weg, Schweiß und Tränen inklusive.“ Was sind die größten Herausforderungen bei der Veränderung, für die Ihr kämpft?
Die größten Herausforderungen liegen gar nicht unbedingt in der Produktentwicklung, sondern eher darin, die Menschen zu erreichen, ihnen das Problem an herkömmlicher Sportkleidung zu erklären, ohne zu negativ zu klingen und gleich die Moralkeule rauszuholen. Und wenn sie dieses Problem verstanden haben, müssen wir sie dann noch davon überzeugen, ein Produkt zu kaufen, das im Grunde einen nicht sichtbaren Vorteil transportiert.
Wie meinst Du das?
Naja, die Konsumenten sehen unserer Kleidung ja nicht an, dass sie umweltfreundlich ist. Und wir Menschen tun uns nun mal sehr, sehr schwer damit, plötzlich für etwas Geld auszugeben, bei dem wir den direkten Nutzen für uns nicht erkennen. Viele denken: Dann kaufe ich doch weiter die Nike-Hose. Wir arbeiten hart daran, die Leute aufzuklären. Denn am Ende geht’s auch bei uns ganz klar um Verkaufszahlen. Wenn wir nicht genug verkaufen, sind wir nicht mehr lange da.
Ihr versucht in den Köpfen der Sportler eine große Veränderung zu bewirken. Wie ticken die, bei denen es gelingt?
Die Leute, die wir überzeugen können, bei uns zu kaufen, die sind oft Fans. Die feiern es, dass wir umweltfreundliche Sportkleidung anbieten, kaufen regelmäßig und empfehlen uns weiter. Das ist für uns sehr befriedigend. Aber wir brauchen mehr Reichweite.
Ist es realistisch, dass Eure Produkte mal mehr werden können als Nischenprodukte? Billig sind sie ja nicht gerade, wenn etwa ein T-Shirt 39 Euro kostet.
Spannend, dass Du das sagst. Wir sind eigentlich eher so im gesunden Mittelfeld der Sportszene. Es gibt viele Anbieter, die teurer sind als wir – und die Shirts für 150 Euro verkaufen. Ich bin überzeugt davon, dass es auf jeden Fall einen Markt für unsere Produkte gibt. Wir müssen nur die Menschen erreichen, die für sich einen Mehrwert darin sehen.
Ihr versucht das durch einen Newsletter und auf mehreren Social-Media-Kanälen. Was ist Eure Kernbotschaft, die die Veränderung bei den Leuten anstoßen soll?
Ich würde sagen: das gute Gefühl beim Sport. Im Kern geht es bei unseren Klamotten darum, das Problem, das ich damals hatte, zu lösen: dieses ungute Gefühl, das man im Kopf hat, wenn man Sport macht. Diese Ungewissheit: Ist da etwas mit den Sportklamotten? Richte ich damit jetzt einen Schaden an, bei mir selbst oder der Umwelt? Dieses Gefühl, das gibt’s bei uns halt nicht mehr. Bei uns gibt’s den klaren Kopf und das gute Gefühl beim Sport.
Und wie veränderungsbereit sind Sportler?
Meine Erfahrung ist: Triathleten sind zu mehr Veränderung und zu mehr Experimenten bereit als Läufer.
Tatsächlich?
Ja. Witzigerweise sind Triathleten irgendwie munterer dabei, Neues auszuprobieren. Vielleicht liegt’s daran, dass sie sich immer mit drei Sportarten beschäftigen müssen – und Läuferinnen eher so dieses monotone Links-rechts-Muster kennen, seit dreißig Jahren dieselbe Strecke. Aber die Läuferszene insgesamt ist eine sehr angenehme Szene: Man ist sich wohlgesonnen, jeder kennt die Leiden des Sports und weiß, wie schwer es ist, voranzukommen. Mit so einer Community kann man arbeiten. Aber wir wollen diese Nische auch ein bisschen verlassen.
Warum?
Weil wir merken, dass diese Nische einfach eine Nische ist und bleiben wird. Wir sprechen Läuferinnen und Läufer an – und dann auch noch die Umweltbewussten unter ihnen.
Eure Zielgruppe ist also begrenzt.
Genau. Und um unsere Idee größer werden zu lassen, wollen wir in andere Sportarten rein. Wir suchen gerade Investoren, um dafür neue Produktgruppen aufzubauen. Wir denken in Richtung Fitness und Yoga, aber auch in Richtung Tennis und Golf. Das sind Sportarten, in denen die Leute vielleicht offen gegenüber unserem Thema sind und auch die Zahlungskraft haben, Sachen auszuprobieren.
Was habt Ihr in der Branche schon verändert dadurch, dass es Euch gibt?
Wir sind noch zu klein, um für die Konkurrenz eine Bedeutung zu haben und denen Marktanteile wegzunehmen. Unser Umsatz bewegt sich erst im sechsstelligen Bereich. Ich weiß zwar, dass wir bei dem einen oder anderen Unternehmen auf dem Radar sind. Aber wir werden da eher noch belächelt. Ich glaube, die denken: Lass uns mal gucken, wie sich das bei denen entwickelt – und wenn es da funktioniert, dann machen wir das auch.
Wie gut kannst Du von Runamics leben?
Gar nicht. Ohne die Leidenschaft, die ich dafür habe, und die Zeit, die ich mir dafür nehme, würde das nicht funktionieren. Ich muss nebenbei andere Projekte machen, um meine Familie zu ernähren. Ich komme aus der Beratung und unterstütze Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit. Und ich mache Webinare zum Thema Online-Marketing. Aber ich will überhaupt nicht klagen: Meinem Mitgründer Henning Heide geht es genauso. Auch er steckt irrsinnig viel Herz und Energie in unser kleines Unternehmen – wie das ganze Team.
Was hat die Arbeit für Runamics bei Dir verändert?
Sie hat ganz viel verändert, im Positiven wie im Negativen.
Fangen wir mit dem Negativen an.
Negativ ist, dass Runamics mein Leben schon stark vereinnahmt. Das ist ein großes Projekt, das ich mir da aufgebaut habe. Es frisst viel Energie und Zeit. Ich bin gedanklich sehr intensiv dabei und vernachlässige dadurch natürlich andere Dinge. Ich habe zwei kleine Kinder. In der Familie ist dieser Konflikt oft ein Thema.
Und das Positive?
Es ist einfach krass, was ich durch das Projekt lerne und wie es meine Sicht auf sehr viele Dinge im Leben verändert hat. Ich habe ein bisschen verstanden, wie die ganze Produktionswelt funktioniert, die uns umgibt, wie schräg sie ist und wie wir sie verändern müssten. Wir dürfen nicht mehr linear denken, nur von der Herstellung eines Produkts bis zur Benutzung. Sondern wir müssen in Kreisläufen denken. Das würde viele Probleme auf der Welt lösen.
Was verändert es für Dich, wenn Du jetzt in umweltfreundlichen Klamotten Sport machst?
Wenn ich darin Sport mache, dann freue ich mich. Weil ich dann weiß, dass ich gutes Zeug trage, in das ich schwitzen kann. Das ist einfach ein gutes Gefühl. Und wenn ich mir zu Hause nach dem Laufen die Sachen ausziehe, denke ich nicht mehr: „Ah, scheiße, jetzt schmeiße ich hier was Schädliches in die Waschmaschine.“ Sondern ich denke: „Alles klar, ist umweltsicher. Also: Let’s go for it!“
So, liebe Leute: Zwei Bitten habe ich jetzt noch.
Bitte Nr. 1: Teilt dieses Interview in allen sozialen Netzwerken. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
Bitte Nr. 2: Falls Ihr meinen Newsletter noch nicht abonniert habt, holt das schnell nach. Tragt einfach hier Eure Mailadresse ein, dann bekommt Ihr automatisch alle zwei Wochen meinen neuesten Text. Immer über die Frage, wie Veränderung eine Chance sein kann:
Bitte Nr. 3: Schaut doch mal rein bei Runamics – hier geht’s entlang.
Mein nächster Text über Veränderung kommt in spätestens zwei Wochen.
Bis dahin: alles Gute!
Andreas