„Krass, wir schaffen richtig viel“
Miranda Wilson erzählt, warum sie sich für Klimaschutz engagiert
Viele Menschen fragen beim Klimaschutz: Wieso soll ich denn anfangen? Miranda Wilson nicht. Die 23 Jahre alte Badminton-Nationalspielerin hat angefangen – und die Initiative Badminton Earth gegründet. Im Interview hat sie mir erzählt, was sie damit verändert, in ihrem Sport und bei sich selbst.
Warum habt Ihr Badminton Earth gegründet?
Die Idee dazu haben mein Trainingspartner Kai Schäfer und ich 2020 gehabt. Wir spielen schon sehr lange hier zusammen am Badminton-Bundesstützpunkt und in der Nationalmannschaft – und haben uns dann halt gesagt: „Hey, wir müssen jetzt schleunigst was tun für den Klimaschutz. Denn wenn wir nichts tun, passiert da nichts in unserem Sport.“
Warum habt Ihr gesagt: „Wir müssen was tun“? Viele Menschen sagen eher: „Ich muss gar nichts tun. Sollen doch erst mal die anderen anfangen.“
Ich war schon in den Jahren davor sehr aktiv in Klima- und Umweltschutzthemen. Als ich 16 war, habe ich mich gefragt: Warum produzieren wir so viel Müll? Mit 17 habe ich mit dem Zero-Waste-Lifestyle angefangen. Meine ersten Schritte waren: mehr wiederverwenden, bewusst einkaufen, Müll einsparen. Ich habe immer mehr Second-Hand- und Fair-trade-Klamotten gekauft. Bald wurde mir klar: Okay, krass, die Sportwelt, die ist noch längst nicht so weit.
Inwiefern?
Wir kriegen jedes Jahr eine neue Kollektion, die wir tragen müssen. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist in der Sportwelt überhaupt nicht präsent. Ich habe gemerkt: Privat verhalte mich sehr bewusst – und im Sport verbrauche ich haufenweise Material und fliege zu so vielen Turnieren. Da lebe ich genau umgekehrt.
Also habt Ihr 2021 Badminton Earth gegründet. Was macht Ihr da?
Angefangen haben wir mit dem Klimaprojekt. Jeder kann dafür spenden, und die Spenden fließen zu hundert Prozent in ein von uns kreiertes Klimaprojekt im Kongo. Mit diesem Projekt unterstützen wir Baumpflanzungen für den Klimaschutz, aber auch viele soziale Projekte, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen. Im Moment bauen wir zum Beispiel eine Schule.
Dann habt Ihr auch noch mit einem Recyclingprojekt angefangen. Warum?
Weil wir gemerkt haben: Das Ausgleichen der CO2-Emissionen ist bei weitem nicht alles, was wir tun sollten. Denn unser Sport hat nun mal auch ein Müllproblem, und zwar ein gigantisches. Pro Jahr landen in Deutschland etwa 35 Tonnen an Federbällen im Müll, dazu 4,7 Tonnen Ballrollendeckel aus den Ballrollen, in denen die Bälle verpackt sind – und 11500 Kilometer gerissene Saite.
Krass.
Ja, und die Hersteller haben damals kein Interesse daran gehabt, dieses Müllproblem anzugehen. Also haben wir damit angefangen. Wir sammeln gebrochene Schläger, gerissene Saiten und Ballrollendeckel und suchen nach kreislauffähigen Lösungen.
Wie funktioniert das konkret?
Auf unserer Webseite kann sich jeder Verein registrieren. Wir schicken ihm dann Schilder zum Download, er kann die ausdrucken und an mehreren Boxen in der Halle anbringen. Die Spielerinnen und Spieler können dann ihre gerissenen Saiten und Ballrollenkappen in die Box werfen und auch gebrochene Schläger dort hineinlegen. Die Federbälle landen leider noch im Müll. Und sobald die Box voll ist, melden sich die Vereine bei uns und senden das Material entweder zu uns oder zu unserem Upcycling-Partner Relix. Er stellt daraus hochwertige Schlüsselanhänger und Armbänder her.
Warum nicht neue Schläger?
Es gibt leider noch keine Möglichkeit, Schläger effektiv zu recyceln – Karbon ist da als Material echt kompliziert. Aber das Upcycling ist zumindest ein Anfang. Nach und nach wollen wir mit unseren Partnern für alle Materialien aus dem Badminton eine kreislauffähige Lösung finden.
Was war Euer Ziel bei Badminton Earth, als Ihr angefangen habt?
Wir sind an das Projekt sehr idealistisch rangegangen. Wir haben einfach angefangen – und gar nicht groß darüber nachgedacht, was alles daraus werden wird. Ich glaube, das ist das Beste, was man machen kann: einfach anfangen, wenn man von einer Idee überzeugt ist. Klar sagen manche: „Was bringt es, wenn ich mich engagiere? Ich bin doch nur eine Person, ich habe doch gar nicht so große Auswirkungen auf die ganze Welt.“
Das Argument höre ich auch oft. Warum denkst Du da anders?
Ich bin ein sehr idealistischer Mensch. Ich kann mir gut eine Welt ausmalen, wo ich mal hinwill, und dann kann ich sehr konsequent dafür leben, dass sie so wird. Natürlich macht mein Verhalten weltweit nur einen ganz kleinen Anteil aus. Aber wenn viele kleine Veränderungen zusammenkommen, kann etwas Großes entstehen. Dafür muss ich die kleinen Veränderungsschritte, die ich machen kann, nur halt auch wirklich machen.
Was hast Du durch Dein Engagement bisher schon bewirkt?
Badminton Earth wird größer und größer. Im Team sind wir mittlerweile schon drei Leute: Kai, ich – und Anne Portscheller, eine unfassbare Expertin für Klima und Nachhaltigkeit. Und wir haben eine Community aufgebaut, die immer weiter wächst. Mittlerweile machen über 80 Vereine bei unserem Recyclingprojekt mit.
Das ist ja schon mal was.
Ja, und fast wöchentlich schreiben uns neue Vereine an: „Hey, wir wollen auch Teil des Projekts sein.“ Wir drücken das niemandem auf. Alle kommen von sich aus auf uns zu. Da ist sehr viel Energie entstanden. Es gibt so viele Leute mit guten Ideen – und durch uns sind sie jetzt vernetzt, können an einem Strang ziehen und sich gegenseitig stärken und motivieren. An vielen Orten ist jemand bereit, etwas zu verändern – und wir verknüpfen diese vielen Potenziale und gehen zusammen auf Lösungssuche.
Wie unterstützt Ihr die, die gern was tun wollen, aber noch nicht recht wissen, wie?
Im Laufe unserer Arbeit haben wir gemerkt: Manche Leute wissen nicht genau, was die Klimakrise ist oder wie sie aktiv werden sollen. Deswegen machen wir ganz viel Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit. Wir haben einen Leitfaden geschrieben, mit dem Ausrichter ihre Badminton-Turniere nachhaltiger gestalten können. Der ist leicht umsetzbar und hat einen großen Effekt.
Was steht in dem Leitfaden?
Wir erklären darin, wie man in einer Turnier-Ausschreibung Anreize schaffen kann, dass die Leute eher mit dem Zug als mit dem Auto anreisen. Wir erklären, wie man weniger Müll beim Catering produziert. Und wir fragen: Muss es für jeden einzelnen Spielaufruf einen Spielzettel geben oder kann man das papierlos gestalten? Jemand hat dazu mal gesagt: „Das ist ja eigentlich alles voll logisch.“ Klar ist das logisch, aber vorher wurde es nicht umgesetzt. Wir haben auch ein Modul entwickelt, das das Thema Klimaschutz in die Trainerausbildung integriert. Und wir haben angefangen, im Deutschen Badminton-Verband etwas fürs Klima zu bewegen.
Was denn?
Lange ist das Thema Nachhaltigkeit vom Verband eher stiefmütterlich behandelt worden. Da kam kaum Initiative von den Funktionären, häufig hieß es: „Macht Ihr mal!“ Aber mittlerweile hat es ein paar personelle Veränderungen gegeben, und die neuen Verantwortlichen sagen: „Das Thema ist wirklich wichtig.“ Sie geben uns Wertschätzung und ermöglichen uns vieles.
Was zum Beispiel?
Kai Schäfer und ich sind seit über einem Jahr Präsidiumsbeauftragte für Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Deutschen Badminton-Verband. Im vergangenen Jahr haben wir mit dem Verband und der Organisation KATE Umwelt und Entwicklung e. V., die fürs Klima sensibilisiert, ein großes Förderprojekt gewonnen. Es heißt „Play – Aufschlag fürs Klima“. Das ist ein riesiger Baustein für die Klimaschutzarbeit im deutschen Badminton. Wir hoffen, dass wir nun die Förderung für ein Folgeprojekt erhalten, damit wir auch im nächsten Jahr damit weitermachen können.
Was macht Ihr bei „Play“?
KATE hat zum Beispiel mit uns und dem Verband eine Umfrage gemacht, um herauszufinden: Wie ist der Wissensstand zum Klimaschutz? Wissen die Leute, dass es Klimaschutzprojekte gibt im deutschen Badminton? Und: Wie groß ist der Bedarf? Wir haben 660 Rückmeldungen bekommen, und total spannend war: Das Interesse am Thema Klima ist sehr groß bei den Menschen. Die meisten wissen aber nichts von einer Klimaschutzinitiative in ihrem Landesverband oder es gibt gar keine. Das ist natürlich eine großartige Basis für unsere Arbeit.
Inwiefern?
Weil wir dadurch sehen: Die Leute wollen Veränderung, aber es passiert zu wenig. Mit „Play“ setzen wir Wissensimpulse zum Thema Klimaschutz. Wir planen Expertenvorträge – bei großen Turnieren und auch online. Wir haben einen Ideenwettbewerb gestartet, bei dem jede Spielerin und jeder Spieler aus jedem Verein oder Stützpunkt sich mit einer Idee zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit bewerben konnte. Die besten drei Ideen haben dann 1000 Euro Unterstützung bekommen.
Was hast Du in Deinem Umfeld dadurch verändert, dass Du so konsequent für den Klimaschutz kämpfst?
Ich merke an vielen Rückmeldungen: Das bleibt nicht spurenlos. Am Stützpunkt ist tief ins Bewusstsein gekommen: Wenn’s um Klimafragen geht – frag Miranda! Auch die Leute, die selbst noch nichts verändern, sind sich des Themas auf einmal mehr bewusst und setzen sich damit auseinander.
Wie hast Du selbst Dich durch Dein Engagement verändert?
Ich habe gelernt, zu etwas zu stehen, von dem ich überzeugt bin – auch auf die Gefahr hin, dass andere Leute vielleicht belächeln, was ich tue oder sage. Ich will es nicht mehr jedem recht machen. Und manchmal denke ich: Boah, krass, wir schaffen richtig viel mit Badminton Earth. Aber es reicht mir immer noch nicht. Die Klimakrise ist ein so entscheidendes Thema, aber das ist in den Köpfen vieler Leute gar nicht präsent. Es wird viel, viel zu wenig getan. Das kann einen total runterziehen und deprimieren, so dass man denkt: Ich schmeiß alles hin. Ich mach gar nichts mehr. Aber von dieser Angst lasse ich mich nicht runterdrücken.
Wie schaffst Du das: Dich von der Angst nicht unterkriegen zu lassen?
Wenn ich merke, dass mir die Klimakrise gerade zu nahegeht, dann mache ich ein paar Tage auch mal nichts für Badminton Earth. Die Klimakrise ist sehr, sehr wichtig. Aber ich habe gelernt, an allererste Stelle meine Gesundheit zu setzen. Ich glaube, viele Aktivisten neigen dazu, sich auszubrennen. Das bringt nichts. Und es ist auch nicht egoistisch, wenn man manchmal aufs eigene Wohlergehen guckt – denn man kann ja nur dann was für den Klimaschutz leisten, wenn man gesund bleibt.
Wir haben darüber gesprochen, dass Du als Badminton-Nationalspielerin Teil des Klima- und Umweltproblems bist – durch Eure Flugreisen und den Müll, den Ihr produziert. Wie ist das für Dich?
Es ist kein gutes Gefühl. Ich habe große sportliche Träume, ich will unter die Top 100 der Weltrangliste kommen und ich würde sehr gerne 2028 in Los Angeles Olympia spielen. Ich habe den Ehrgeiz, in meinem Sport mit meinem Potenzial alles rauszuholen, was geht. Aber ich weiß, das bedeutet, dass ich viele Dinge tue, die fürs Klima nicht gut sind.
Wo sind die Turniere, zu denen Du fliegen musst?
Je besser man wird, desto häufiger in Asien. Manchmal auch in Nord- und Südamerika. Und oft in Europa. Wenn ich Turniere in Nachbarländern habe und es machbar ist, dann fliege ich nicht, sondern fahre Zug. Im vergangenen Jahr bin ich zu Turnieren in Nantes und in Dänemark mit dem Zug gefahren. Das hat so neun, zehn Stunden gedauert. Wenn man eine gute Verbindung hat, ist das ganz angenehm – und dauert nicht mal unbedingt länger als das Fliegen.
Hast Du je daran gedacht, wegen der oft unvermeidlichen Fliegerei mit Badminton aufzuhören?
Nein. Wenn ich mit Badminton aufhöre zugunsten des Klimas, fliegt halt eine andere Spielerin statt mir – und ich kann mich aber nicht mehr als Nationalspielerin fürs Klima einsetzen. Da bleibe ich lieber eine Sportlerin, die aktiv ihre Stimme nutzt. So kann ich mehr verändern.
Hat Euch dieses Interview gefallen? Dann teilt es in allen sozialen Netzwerken. Empfehlt es in Eurem Whatsapp-Status, auf Instagram, Facebook und LinkedIn. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
Seid Ihr neu hier und habt meinen Newsletter noch nicht abonniert? Dann tragt hier Eure Mailadresse ein – und Ihr bekommt automatisch alle zwei Wochen kostenlos meinen neuesten Text. Immer über die Frage, wie Veränderung eine Chance sein kann:
Bis zum nächsten Mal: alles Gute!
Andreas