Ein paar Wochen sind es nur noch bis zur Bundestagswahl, und von Woche zu Woche wird klarer, wie unklar es ist, was dabei herauskommen wird. Und wer danach im Kanzleramt regiert. Das ist ungewohnt, nach 16 Jahren Angela Merkel. Nach 16 Jahren unter einer Regierungschefin, die von manchen „Mutti“ genannt wurde und vielen den Eindruck vermittelte: Sorgt euch nicht! Ihr kennt mich. Ich regele das schon. Alles wird gut.
Man kann diskutieren, ob diese bequeme Botschaft angemessen war. Spannender aber als der Blick zurück ist jener nach vorn: Wen wollen wir jetzt? Welche Botschaft passt in unsere Zeit? Was ist künftig unser Halt?
Diese Fragen sind kompliziert. Manche Menschen wollen sie nicht hören. Ihnen war schon die ewige Merkel zu wankelmütig – weil in ihrer Regierungszeit erst der Atomausstieg beschlossen wurde und dann die Ehe für alle; Entscheidungen, die in der CDU jahrzehntelang undenkbar gewesen waren. Ja, war denn jetzt gar nichts mehr sicher? Wurde einem als konservativer Wähler die Heimat geraubt?
Schwindelig von der Gegenwart
Jetzt bekommen die Sorgen der Konservativen eine neue Brisanz – weil die Ära Merkel zu Ende ist und die Welt um uns herum sich immer schneller verändert. Da könnte man, als tendenziell linksliberal eingestellter Mensch, fragen: Ja, und? Sind die Konservativen nicht eh von gestern? Sind sie nicht selbst schuld, dass ihnen von der Gegenwart schwindelig wird, wenn sie stur in die Vergangenheit stieren?
Aber das wäre gefährlich. Denn wer sich abgehängt und missverstanden fühlt, der droht abzudriften – und macht vielleicht sein Kreuz bei der AfD, die nun wirklich keine Lösung für irgendein Problem hat. Zielführender wäre es zu überlegen: Was heißt das heute eigentlich – konservativ zu sein? Wie könnte man diesen alten, angestaubten Begriff neu und modern definieren? Und wo haben die Konservativen mit den Linksliberalen vielleicht mehr gemeinsam, als alle denken?
An dieser Stelle würde es nun helfen, wenn man sich als Autor noch ein wenig an den guten alten Latein-Unterricht aus Klasse 12 erinnern könnte. Ist aber nicht mehr viel da von damals. Also schnell googeln – und zack, da steht es schon: conservare (lat.) = erhalten, bewahren.
Kleine Schritte funktionieren nicht mehr
In diesem Sinn des Wortes schlummert der Weg zur Lösung des Problems. Wer ein konstruktiver Konservativer sein will, dem könnte es helfen zu fragen: Was genau ist es denn, was ich erhalten und bewahren will? Warum ist es mir wichtig? Und was bin ich bereit, dazu beizutragen, dass es bleibt, wie es ist?
Fies sind diese Fragen vor allem, weil sie so ungewohnt sind. Jahrzehntelang haben wir uns an eine Politik der kleinen Schritte gewöhnt, an die Kunst des Kompromisses, an den Gedanken, dass Maß und Mitte gut sind und radikale Veränderung schlecht. Hier ein bisschen was Neues, da ein bisschen – das musste reichen. Im Großen und Ganzen sollte alles so bleiben, wie es ist. Bloß keine Experimente!
Das funktioniert nicht mehr. Wer heute konservativ sein will, also erhaltend und bewahrend, der muss vieles umstürzen. Weil es sonst noch viel heftiger umgestürzt wird – von Kräften, die stärker sind als wir. Am klarsten lässt sich das an der Klimakrise beobachten, dem drängendsten Problem unserer Zeit. Diese Krise stellt alles infrage. Wirklich alles: unseren Wohlstand, unsere Sicherheit, unser Leben. Das Leid, das die Flut in Deutschland jüngst gebracht hat, lässt erahnen, was da noch kommen kann.
Wie wir die Macht der Gewohnheit bezwingen
Was aber, wenn wir das Problem zwar sehen, aber die Macht der Gewohnheit zu stark ist? Wie können wir sie bezwingen und lernen, neu zu denken? Vielleicht helfen ein paar Fragen, die die Klimakrise mit sich bringt:
Fürchten wir, dass die Aufnahme von sehr vielen Flüchtlingen unsere Gesellschaft überfordert? Dann sollten wir verhindern, dass die Heimat von Hunderten Millionen Menschen durch immer extremere Dürren und Überflutungen unbewohnbar wird – und sie gar nicht anders können als zu fliehen.
Lieben wir unseren so schön gepflegten Garten? Dann sollten wir mithelfen, dass künftig nicht immer heftigere Hitzewellen ihn verdorren lassen – und das Gießen wegen Wasserknappheit unmöglich wird.
Mögen wir die Urlaubssonne in Italien, Griechenland und der Türkei? Dann sollten wir daran denken, dass die Sommer in Südeuropa bald unerträglich heiß sein könnten, auch für den härtesten Touristen. Und dass dort jetzt schon Waldbrände wüten und vieles verwüsten.
Wenn wir bewahren wollen, was uns wichtig ist, können wir aber nicht nur neu denken. Wir können auch was tun. Um Menschen in ärmeren, schon jetzt dramatisch klimakrisengeplagten Ländern zu unterstützen, können wir spenden – etwa bei der Klima-Kollekte, die Entwicklungshilfe und Klimaschutz in ihren Projekten effizient verknüpft. Um unseren geliebten Garten in heißeren Zeiten vor dem Vertrocknen zu schützen, können wir Regenwasser sammeln, in Regentonnen oder Zisternen – und beim örtlichen Gärtner nach hitzeresistenten Pflanzen fragen. Bei der Urlaubsplanung können wir überlegen, ob es nicht auch an Nord- und Ostsee charmante Ecken gibt. Und wenn wir doch in den Süden fliegen, können wir den Hotelbesitzer und die Kellnerin im Café ja mal fragen, wie es sich auf ihre Heimat und ihr Leben auswirkt, wenn die Erde sich weiter erhitzt.
Je radikaler, desto besser
Natürlich kann keiner allein die Welt retten. Aber wer bewusster lebt, der spürt vielleicht: Ein bisschen was geht immer. Und dass was gehen muss, ist klar.
Fest steht: Je wichtiger es uns ist, unsere Welt zu erhalten, desto radikaler müssen wir jetzt unseren CO2-Ausstoß verringern. Je länger wir so tun, als müsse sich nichts verändern, desto heftiger verändert es sich dann doch. Je offener die Politik den Wählerinnen und Wählern sagt, wo Veränderung notwendig ist, desto besser. Je mehr die Menschen an der Urne diese Offenheit belohnen, desto klüger.
Mal ehrlich: Wir kriegen das doch hin. Aus dem Alter, in dem wir alle Probleme von der Mutti lösen lassen wollten, sind wir doch mittlerweile wirklich raus.
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Beste Grüße,
Andreas