Erinnert Ihr Euch noch an den Satz? „Unsere Kinder sollen es mal besser haben als wir.“ So viele Eltern haben ihn in Deutschland jahrzehntelang gesagt. Gemeint haben sie: Unsere Kinder sollen mal mehr Geld haben als wir, größere Sicherheit, einen besseren Job. Der Satz ließ die Sehnsucht durchscheinen, die die Menschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs angetrieben hat: dass es aufwärts geht. Er zeigte, dass Wohlstand die Währung war, in der das Wohlergehen der Kinder gemessen wurde.
Und heute? Wenn nicht alles täuscht, ist der Satz seltener geworden. Weil vielen Eltern dämmert, dass unser Wohlstand nicht ewig weiterwachsen wird. Und dass schon der Überfluss, den es heute vielerorts gibt, kaum zu halten sein wird. Schade aber wäre, wenn der Satz nun verschwände. Denn in ihm steckt ja nicht nur die Sehnsucht nach materiellem Wohlstand. Sondern auch ein sehr liebevoller Gedanke: dass die Alten alles geben für die Jungen; dass sie sich für sie abrackern, und zwar gern.
Ein Testlauf für krassere Krisen
Dieser Gedanke ist auch heute wichtig. Denn die Zukunft der Kinder ist gefährdet wie nie zuvor – durch die Erderhitzung, die unsere Lebensgrundlagen zu zerstören droht; die aktuelle Flutkatastrophe in Deutschland ist ein furchtbarer Beweis dafür. Kramen wir den alten Satz also wieder hervor und denken wir ihn neu. „Unsere Kinder sollen es mal besser haben als wir“: Was könnte das heute heißen?
Wie weit die Gesellschaft von Antworten auf diese Frage entfernt ist, zeigt die Corona-Pandemie, die ja eine Art Testlauf ist für die viel krasseren Krisen, die die Erderhitzung uns noch bringen wird. Die Kinder in Deutschland sind in der Pandemie von sehr vielen Politikern in einer Konsequenz ignoriert worden, die den Atem raubt.
Ein besonders übles Beispiel für diese Ignoranz lieferte kürzlich Bundesaußenminister Heiko Maas, als er für ein baldiges Ende der Corona-Einschränkungen mit den Worten warb: „Wenn alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot haben, gibt es rechtlich und politisch keine Rechtfertigung mehr für irgendeine Einschränkung.“ Maas fügte an, damit sei „im Laufe des August zu rechnen“. Die Millionen ungeimpften Kinder scheinen für ihn nicht zur Kategorie Mensch zu gehören.
Verlierer könnten Gewinner werden
Heinz Hilgers, der Präsident des Kinderschutzbundes, bilanzierte jüngst, die Corona-Politik sei mit Blick auf die Kinder „ein einziges Trauerspiel“. Auch nach einem Jahr Corona gehen die meisten Schulen ohne Konzept in den nächsten Herbst. Es drohen hohe Infektionszahlen und Langzeitschäden durch das Virus, und es droht schon wieder Homeschooling. Hilgers fürchtet: „Die Kinder werden erneut die Verlierer der Pandemie sein.“
Doch wie könnten sie zu Gewinnern werden? Was müssten wir verändern, damit sie im Mittelpunkt stehen? Und wie könnte das heute gehen: dass die Alten alles geben für die Jungen?
Am Beispiel Corona lassen sich Antworten erahnen: Die Politiker müssten es in einer Pandemie zur obersten Priorität erheben, dass die Schulen offen bleiben. Und sie müssten alles dafür tun, dass die Infektionsgefahr dort gering ist. Sie müssten Kinderschutz von Anfang an zur Chefsache erhoben und mehr als ein Jahr nach Pandemiebeginn längst jede Schule mit Luftfiltern ausgestattet haben – und mit großen Fenstern zum Querlüften sowieso.
Sie müssten, wenn es Einschränkungen braucht, immer zuerst die Erwachsenen treffen, nie die Kinder. Sie würden keinesfalls Baumärkte, Friseursalons und Buchläden öffnen, solange Schüler im Homeschooling verkümmern und nicht mal zu dritt auf dem Bolzplatz kicken dürfen. Sie würden niemals über eine Abschaffung der Maskenpflicht diskutieren, solange Millionen Kinder ungeimpft sind und dem Virus und seinen Langzeitfolgen ungeschützt ausgeliefert.
Kinder brauchen lautere Lobbyisten
Und wenn sie es doch täten? Wenn sie die Kinder doch ignorierten – nur weil manche Egoisten von der Maske genervt sind und wieder uneingeschränkt Party machen wollen? Würden die Erwachsenen protestieren. Und Druck auf die Politiker machen. Heftigen Druck. Bis sich was ändert. Die Alten wiederum würden wertschätzen, auf was die Kinder verzichtet haben, um sie vor Corona zu schützen. Und sie würden sich auf ihre Art bedanken: Rumhören, wo jemand Hausaufgabenhilfe braucht. Nachfragen, ob dem Sportverein eine Spende hilft, damit er auch in der nächsten Saison seine Jugendtrainer bezahlen kann. Briefe an den Landrat schreiben, wenn die Bestellung der Luftfilter stockt. Und natürlich: sich möglichst schnell impfen lassen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen und damit auch die Kinder zu schützen.
Die Kinder, das hat Corona gezeigt, brauchen lautere Lobbyisten. Dass es ihnen mal besser gehen soll als uns, das müsste bedeuten: Wir sehen sie. Wir nehmen ihre Sorgen ernst. Wir geben ihnen, was sie brauchen, um in eine Welt hineinzuwachsen, die sich rasend verändert. Wir fragen bei jedem Thema, was es für sie bedeutet: beim Klimaproblem, beim Schuldenberg, bei der Digitalisierung. Und wir lassen die Kinder viel häufiger mitreden. Senken das Wahlalter ab. Geben Kindern und Jugendlichen vor wichtigen Entscheidungen in Parlamenten das Wort. Vertrauen darauf, dass sie politisch klüger sind als viele von uns. Und erinnern uns kurz daran, dass es Jugendliche waren, die angefangen haben, mit der „Fridays for Future“-Bewegung für die Rettung der Welt zu kämpfen.
„Kinder an die Macht“ hat der großartige Herbert Grönemeyer im Jahr 1986 gesungen. Diese Forderung war schon damals gut. Heute ist sie noch viel besser.
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Andreas