„Ich kann Teil der Lösung sein“
Gabriel Baunach erklärt, wie persönlicher Klimaschutz effektiver geht
Willst Du was für den Klimaschutz tun, musst Du Deinen CO2-Fußabdruck verkleinern – das hat jeder schon mal gehört. Der Klimaexperte Gabriel Baunach (30) sagt: Viel mehr bewirkt es, seinen Klima-Handabdruck zu vergrößern. Über diese spannende These hat er gerade ein Buch geschrieben: „Hoch die Hände, Klimawende!“ Im Interview hat er mir erklärt, was er mit seiner These meint.
Was findest Du an der Idee des CO2-Fußabdrucks problematisch?
Durch den CO2-Fußabdruck wird das globale, komplexe und politische Thema Klimakrise individualisiert und entpolitisiert. Die Verantwortung wird auf die einzelnen Menschen abgewälzt.
Was ist daran falsch?
Natürlich tragen wir alle eine Verantwortung für die Konsumentscheidungen, die wir treffen. Aber die Klimakrise eskaliert immer schneller – weil zu lange zu wenig dagegen getan worden ist, vor allem von der Politik. Da reicht es längst nicht mehr aus, sonntags mit dem Fahrrad zur Bäckerei zu fahren und zu Hause öfter das Licht auszuschalten. Und wenn ich mich nur mit meinem individuellen Konsum beschäftige, bekomme ich einen Tunnelblick …
… und sehe was nicht?
Meine Einflussmöglichkeiten als Bürgerin oder Bürger in der Demokratie – und die Hauptverantwortlichen für das Problem. Wenn ich ständig mit dem Finger auf meine Nachbarin zeige, die SUV fährt, auf den Onkel, der viel fliegt, und auf mich selber, weil ich noch Fleisch esse, dann verliere ich die Politikerinnen, Politiker und Ölkonzerne aus dem Blick – dabei sind sie es, die entscheidende Veränderungen herbeiführen können, um die Klimakrise zu stoppen.
Der Ölkonzern BP hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Konzept des CO2-Fußabdrucks weltweit bekannt geworden ist.
Genau. In den 2000er Jahren hat die Ölindustrie gemerkt, dass das dauernde Leugnen der wissenschaftlichen Einigkeit des menschengemachten Klimawandels nicht mehr funktioniert, weil die wissenschaftlichen Beweise dafür sich einfach getürmt haben. BP hat deshalb auf seiner Webseite einen der weltweit ersten CO2-Fußabdruckrechner installiert und massiv beworben. So hat der Konzern den Begriff des CO2-Fußabdrucks in die Köpfe der Menschen gebracht und von seiner eigenen Verantwortung für das Problem abgelenkt.
In Deinem Buch plädierst Du dafür, weniger auf die Verkleinerung des CO2-Fußabdrucks zu achten und mehr auf die Vergrößerung des Klima-Handabdrucks. Was meinst Du damit?
Beim Fußabdruck geht’s ja um die Frage: Wie kann ich die Treibhausgas-Emissionen, die ich durch meinen Lebensstil verursache, reduzieren? Beim Handabdruck geht’s um die Frage: Wie kann ich dazu beitragen, dass klimafreundliches Verhalten für möglichst viele meiner Mitmenschen einfacher, günstiger und attraktiver wird? Wie kann ich mit meinem Einfluss, meinen Kontakten, meinem Geld, meinen Fähigkeiten und Vorlieben dazu beitragen, dass in meinem Umfeld klimafreundliche Strukturen entstehen?
Warum findest Du diesen Ansatz effektiver?
Der Handabdruck wirkt viel stärker als der Fußabdruck, weil er hilft, das Verhalten von vielen Menschen klimafreundlicher zu machen, nicht nur das eines einzelnen. Und der Handabdruck wirkt positiv statt negativ. Er kreist nicht um die Frage: Wie viel schade ich dem Klima? Sondern: Wie viel nutze ich ihm? Er fragt nicht, wie sehr ich Teil des Problems bin – sondern, wie sehr ich Teil der Lösung sein kann. Das ist eine viel stärker motivierende Perspektive. Der Handabdruck umgeht die Schuld- und Schamgefühle, die ganz oft aufkommen, wenn man mit Menschen über das Klimathema spricht.
Warum kommen diese Gefühle auf?
Naja, viele haben dann doch ganz schnell ihren CO2-Fußabdruck im Kopf und denken: „Ach Mist, schon wieder das Klimathema! Ich flieg ja zu viel und ich hab auch noch ein Auto. Und Fleisch esse ich eigentlich auch noch gerne.“
Und weil sie diese Schuld- und Schamgefühle nicht mögen, verdrängen sie das Klimathema am liebsten?
Ja, davon bin ich überzeugt. Scham und Schuld gehören zu den Gefühlen, die Menschen unbedingt vermeiden möchten. Und sie schwingen in den aktuellen Klimadebatten immer mit – weil die Debatten so massiv individualisiert sind. Es heißt immer: Du musst dies! Du darfst nicht das! All das umgeht der Handabdruck – weil er das Ziel hat, kollektiv und strukturell etwas fürs Klima zu verändern.
Du erklärst in Deinem Buch, dass wir unseren Klima-Handabdruck auf vier Arten vergrößern können: privat, beruflich, gesellschaftlich und politisch. Wie geht das konkret?
Ich fange mal mit dem privaten Handabdruck an. Um den zu vergrößern, kann ich mit Familie, Freundinnen und Bekannten häufiger über das Klimathema sprechen – und zwar positiv, konstruktiv und lösungsorientiert. Ich kann zum Beispiel beim Abendessen sagen: „Wir haben ja vor kurzem diese riesigen Waldbrände auf Hawaii gesehen. Was können wir als Familie dazu beitragen, dass wir die Klimakrise eingedämmt bekommen? Könnten wir uns vielleicht in der Nachbarschaft dafür einsetzen, dass beim nächsten Straßenfest auch vegane Würstchen auf den Grill kommen – und dass es da einen kleinen Klimastand gibt, um über PV-Anlagen auf Hausdächern und auf Balkonen aufzuklären?“
Was kann ich noch für meinen privaten Handabdruck tun?
Ich kann mein Geld für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen arbeiten lassen. Das heißt: Ich kann zu einer Bank und Versicherung wechseln, die mein Geld klimafreundlich investiert, statt fossile Energieträger zu fördern. Das ist ein Hebel, den viele Menschen noch stark unterschätzen. Es macht einen großen Unterschied, ob mit meinem Geld ein Solarkraftwerk in Spanien finanziert wird oder eine Erdgas-Pipeline in Norwegen.
Wie kann ich meinen beruflichen Handabdruck vergrößern?
Ich kann mit Kolleginnen und Kollegen eine Klimagruppe gründen und mich mit ihnen zusammen bei der Geschäftsführung meines Unternehmens für vegetarische und vegane Angebote in der Firmenkantine, für PV-Anlagen auf den Produktionshallendächern und für Klimabildung für die Belegschaft einsetzen. Wenn die Geschäftsführung nur wolkige Konzepte präsentiert und konkrete Ideen abblockt, kann ich die Gewerkschaften und den Betriebsrat mit an Bord holen, um den Druck zu erhöhen. Und wenn ich in einer Führungsposition bin, kann ich das Klimathema natürlich selbst voranbringen.
Wie sieht es mit dem gesellschaftlichen Handabdruck aus?
Ich kann mich bei einer Klimaschutzinitiative engagieren und Geld für sie spenden, etwa für Fridays for Future, damit sie ihre Demonstrationen finanzieren können. Selbst fünf Euro im Monat helfen schon sehr. Klimaaktivismus ist ein großer Treiber für Veränderung, das wird oft unterschätzt. Aber auch im Fußballverein, in der Kirchengemeinde oder im Kegelklub kann ich mich mit anderen zusammentun und Strukturen klimafreundlicher gestalten.
Und was ist mit dem politischen Handabdruck?
Ich kann für Klimaschutz demonstrieren oder sogar an Aktionen zivilen Ungehorsams teilnehmen. Das wirkt. Die Massenproteste von Fridays for Future haben definitiv dazu beigetragen, dass 2019 das erste Klimapaket der Bundesregierung geschnürt worden ist. Und die Aktionen von Extinction Rebellion hatten großen Einfluss auf die Klimagesetzgebung in Großbritannien. Ein etwas sanfterer Weg ist natürlich, sich an Petitionen zu beteiligen.
Was noch?
Ich kann mit Politikerinnen und Politikern über das Klimathema sprechen – mit dem Bürgermeister wie mit der Landtags- und dem Bundestagsabgeordneten aus meiner Region. Und ich kann jede Wahl zu einer Klimawahl machen. Ich kann detailliert prüfen, was jede Kandidatin, jeder Kandidat und jede Partei zum Klimaschutz sagt, über Floskeln wie grünen Wasserstoff hinaus – und was Expertinnen und Experten von ihren Plänen halten. Natürlich kann ich mich auch selbst politisch engagieren und einer Partei beitreten. Und ich kann mich für die Einführung von lokalen Bürgerräten einsetzen, die bei den wichtigen Entscheidungen der Klimawende mitreden dürfen und dafür sorgen, dass viele Menschen sich mitgenommen fühlen.
Das klingt alles sinnvoll. Aber woher soll ich im stressigen Alltag zwischen Beruf und Familie die Zeit dafür nehmen?
Klar, seinen Handabdruck zu vergrößern, braucht Zeit. Aber erstens könnte ich einmal aufsummieren, wie viel Zeit die immer wiederkehrende Beschäftigung mit dem eigenen Fußabdruck, das schlechte Gewissen und die Verdrängung des Klimaproblems kostet. Zweitens könnte ich überlegen, vielleicht eine Serie weniger zu schauen oder samstags seltener in der Innenstadt bummeln zu gehen und die gesparte Zeit für den Klimaschutz zu nutzen – weil ich verstanden habe, dass die Klimakrise vieles bedroht, was mir lieb und wichtig ist. Und drittens bekomme ich viel für mein Engagement zurück: Ich habe beispielsweise unglaublich inspirierende Menschen kennengelernt, fühle mich viel selbstwirksamer und besser.
Wie viel Zeit hältst Du für realistisch?
Ich schlage vor, im Terminkalender eine Klimastunde pro Woche fest zu verankern, zum Beispiel freitags von 17 bis 18 Uhr, direkt nach der Arbeit. In dieser einen Stunde kann ich Ideen für die Vergrößerung meines Handabdrucks recherchieren, mir einen Plan machen, mich mit Leuten vernetzen, mir Unterstützung suchen und den Plan dann umsetzen. Und diese eine Klimastunde sollte ich wirklich verteidigen gegenüber anderen Zeitbedürfnissen. Denn klar ist: Diese Stunde hilft dem Klima wesentlich effektiver, als wenn ich im Supermarkt ewig rätsele, ob jetzt Mandelmilch oder Reismilch den höheren CO2-Fußabdruck hat.
Warum bewirkt der Handabdruck mehr fürs Klima als der Fußabdruck?
Wir kommen mit dem Ansatz des CO2-Fußabdrucks einfach an Grenzen. Denn in der Welt, wie sie gerade aufgebaut ist, mit so vielen Autobahnen, Kohlekraftwerken und Massentierhaltung, ist ein nachhaltiges Leben fast nicht möglich. Es ist sehr aufwendig, teuer und zeitintensiv, seine Pro-Kopf-Emissionen nahe Null zu bringen. Und es ist einfach unrealistisch zu glauben, dass das trotzdem massenhaft Menschen machen werden und dass wir mit ganz vielen kleinen privaten Öko-Schritten die große Klimawende schaffen werden. Die entscheidenden strukturellen Änderungen kann nur die Politik herbeiführen. Der Handabdruck ist deshalb die viel realistischere, positivere und stärker motivierende Perspektive.
Zurzeit geht es beim Klimaschutz quälend langsam voran. Wie könnte der Handabdruck da helfen?
Er könnte die vielen Menschen zu mehr Engagement fürs Klima motivieren, die bei dem Thema innerlich zerrissen sind. Die Menschen, die eigentlich verstanden haben, dass es beim Klima kurz vor zwölf ist und dass man da jetzt mal was tun müsste – die aber noch in ihren alten Strukturen und Gewohnheiten feststecken. Diese Menschen werden sich durch den Handabdruck gewinnen lassen – weil es dabei nicht so sehr um persönlichen Verzicht und die Aufgabe von Privilegien geht, sondern darum, sich zusammen mit anderen Menschen einzusetzen, konkrete Projekte anzugehen und so kein schlechtes, sondern ein gutes Gewissen zu haben.
Du betonst in dem Buch, dass ich trotz des Fokus auf den Klima-Handabdruck auch weiterhin die Verantwortung habe, meinen Fußabdruck kleinzuhalten. Wie geht das effektiv – und wie nicht?
Die wirklich großen Hebel beim individuellen CO2-Fußabdruck sind: auf den Bau eines traditionellen Einfamilienhauses verzichten, für das viel Stahl und Beton gebraucht werden. Wenn man ein Haus hat: es energetisch dämmen und sanieren. Und: mit einer Wärmepumpe statt mit Öl oder Erdgas heizen. Dann: auf Flugreisen verzichten und möglichst wenig Auto fahren. Und zu einem Ökostromanbieter wechseln. Oder, noch besser, den Strom mit einer PV-Anlage selbst produzieren. Möglichst wenig Nahrung wegwerfen. Und, was noch immer massiv unterschätzt wird: eine pflanzenbasierte Ernährungsweise. Denn tierische Produkte, besonders Fleisch, und ganz besonders Rindfleisch, sind unglaublich schlecht fürs Klima und die Artenvielfalt. Sich vegetarisch oder vegan zu ernähren bringt um ein Vielfaches mehr, als saisonales und regionales Bio-Gemüse zu kaufen.
Was bringt es, sich bei der Verkleinerung des Fußabdrucks auf die wesentlichen Hebel zu konzentrieren?
Das führt dazu, dass ich ein relativ ruhiges Gewissen habe – und den Rest meiner Zeit, Energie und Aufmerksamkeit dafür investieren kann, meinen Handabdruck zu vergrößern. Eine coole Mischung finde ich: ein Drittel der Energie und Zeit, die ich bereit bin, fürs Klima zu investieren, in die Verkleinerung des Fußabdrucks stecken – und zwei Drittel in die Vergrößerung des Handabdrucks.
Wie vergrößerst Du Deinen Handabdruck?
Jetzt gerade natürlich durch mein neues Buch. Ich habe mal Maschinenbau und Energietechnik studiert, aber ich habe mich dann entschieden, nicht als Ingenieur in einem Unternehmen zu arbeiten, sondern meine Klima-Expertise auszubauen und Menschen über das Klimaproblem aufzuklären und für Lösungen zu motivieren. Ich habe im UN-Klimasekretariat gearbeitet, zwei Klimapodcasts aufgebaut, halte Vorträge und berate Menschen, wie sie ihren Handabdruck vergrößern können. Jede Wahl mache ich zur Klimawahl. Ich gehe zu jeder weltweiten Fridays-for-Future-Demonstration. Ich spende für bekannte Umweltorganisationen und für Klimaaktivismus. Ich bin zu einer ökologischen Bank gewechselt. Und ich versuche, das Klimathema bei Familie, Freundinnen und Freunden immer wieder anzusprechen.
Wann zum Beispiel?
Zu meinem 30. Geburtstag in diesem Jahr habe ich meine Freundinnen und Freunde zu einer Party in Köln eingeladen. Nachmittags haben dort zwei Klimaspeaker Impulsvorträge gehalten.
Wie kam das an?
Sehr gut. Ich hatte die Speaker instruiert, bitte nicht über die fünf besten Tipps für den eigenen Konsum zu sprechen, sondern den Handabdruck in den Fokus zu stellen und die Menschen positiv und lösungsorientiert zu motivieren. Dazu gab es vegane Häppchen und Musik, ganz locker. Ich habe gelernt: Klima und Party, das geht.
Was hat es für Dich verändert, dass Du Dich mehr auf Deinen Handabdruck als auf Deinen Fußabdruck konzentrierst?
Ich fühle mich selbstwirksamer dadurch. Ich habe eine Menge Menschen kennengelernt, die auch so denken wie ich – und fühle mich nicht mehr so allein. Das schenkt mir Hoffnung. Und ich habe das Gefühl, dass ich morgens und abends gut in den Spiegel schauen und sagen kann: Ja, ich tue alles, was ich kann. Und was ich nicht beeinflussen kann, das kann ich innerlich auch ein bisschen loslassen. Für mich ist das eine sehr gesunde Perspektive. Und fürs Klima, denke ich, auch.
So, liebe Leute, drei Bitten habe ich jetzt noch.
Die erste: Empfehlt dieses Interview weiter! Teilt es auf Instagram, in Eurem Whatsapp-Status und auf Facebook. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
Die zweite: Abonniert meinen Newsletter (falls Ihr nicht eh längst dabei seid)! Tragt hier Eure Mailadresse ein – und Ihr bekommt automatisch alle zwei Wochen kostenlos meinen neuesten Text. Immer über die Frage, wie Veränderung eine Chance sein kann:
Die dritte: Wenn Ihr Gabriel Baunachs Gedanken zum Klima spannend findet, dann kauft sein Buch. Ihr findet es hier.
Bis zum nächsten Mal: alles Gute!
Andreas