Jan Schmitto ist Professor für Herzchirurgie an der weltweit renommierten Medizinischen Hochschule Hannover. Er operiert schwerstkranke Menschen, setzt ihnen Kunstherzen ein – und gibt ihnen dadurch völlig neue Perspektiven. Im Interview hat er mir erzählt, was genau seine Arbeit bewirkt und was sie ihm bedeutet.
Wie geht es den Menschen, die zu Dir kommen, bevor Du ihnen ein Kunstherz einsetzt?
Ein Kunstherz wird immer dann eingesetzt, wenn es den Menschen vom Herzen her ganz besonders schlecht geht – und wenn alle anderen therapeutischen Möglichkeiten bereits ausgeschöpft sind, alle Medikamente, Interventionen und andere chirurgische Eingriffe. Als letzte Möglichkeit bleibt dann oftmals nur noch eine Herztransplantation übrig – oder alternativ halt die Kunstherzimplantation.
Es gibt viel zu wenige Spenderherzen, oder?
Genau. In Deutschland werden pro Jahr nur etwa 300 Herzen transplantiert. Der Bedarf ist aber drei- bis zehnmal so hoch. Da kommen dann die Kunstherzen ins Spiel – als vorübergehende Lösung bis zu einer Transplantation oder auch als dauerhafte Lösung. Kunstherzen sind mechanische Pumpen, die an die erkrankte, vergrößerte linke Herzkammer angebaut werden, Blut durch den Körperkreislauf pumpen und so das schwache Herz des Patienten entlasten.
Viele Menschen, die zu Dir kommen, haben also schon eine ziemliche Leidenszeit hinter sich.
Das stimmt. Das Herz ist ja der Motor des Körpers. Wenn es sehr schwach ist, wird zu wenig Blut durch den Körper gepumpt. Das heißt, die anderen lebenswichtigen Organe werden nicht mehr gut durchblutet, sie werden nicht mehr mit genügend Nährstoffen und Sauerstoff versorgt – und drohen sich abzuschalten. Die Menschen sind dadurch weniger leistungsfähig, oft müde, schnell kurzatmig.
Das heißt, ihnen geht’s ziemlich schlecht.
Ja, denen geht’s sehr schlecht. Einige werden schon nach ein paar Metern Gehen kurzatmig und können gar nicht mehr Treppe steigen, weil es sie zu sehr belastet.
Wie reagieren diese Menschen, wenn Du ihnen sagst, dass sie auf ein Spenderherz wohl sehr lange warten müssen – und dass Du aber eine Alternative für Sie hast?
Ihr Leidensdruck ist relativ groß. Die meisten sind wirklich mit dem Rücken an der Wand. Ich sage ihnen dann: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die schlechte ist: Ihr Herz ist so krank, dass Sie eigentlich ein Spenderherz bräuchten – aber wir haben leider keins zur Verfügung.“ Dann fallen die meistens in ein ziemliches Loch und wissen nicht mehr weiter.
Und wenn Du dann vom Kunstherz erzählst, was verändert das?
Dann sind sie in aller Regel sehr, sehr hoffnungsfroh und dankbar. Weil sie plötzlich eine Alternative haben, die realistisch ist und die ihr Leben verlängern und verbessern kann. Manche sagen einfach: „Danke“. Andere haben Freudentränen in den Augen – die Patienten und ihre Angehörigen auch.
Vermutlich haben die Leute aber auch Ängste vor dem Kunstherz, oder?
Ja, das stimmt natürlich. Gerade wenn die Patienten schon einen langen Leidensweg hinter sich haben, sind sie körperlich geschwächt. Wenn die Funktionen von Lunge, Leber, Niere schlechter geworden sind, gehen sie oft schon sehr krank in die Operation. Und wenn sie dann auch noch hören, sie müssen am offenen Herzen operiert werden und ein Kunstherz muss eingesetzt werden, dann sind ihre Ängste sehr groß.
Wie geht Ihr damit um?
Wir haben Krankenschwestern umgeschult und weitergebildet zu Kunstherzschwestern, die vor den Operationen den Patienten die Geräte schon mal zeigen, sie daran gewöhnen und ihnen so ein bisschen die Ängste nehmen. Ein ganz wichtiger Faktor sind aber auch die Angehörigen: Die schulen wir gleich mit – um auch sie bestmöglich vorab zu informieren und ihnen die Ängste zu nehmen. Denn klar ist: Selbst wenn ich das Herz repariert habe und bei der Operation alles gutgegangen ist, müssen der Kopf und die Psyche der Patienten auch hinterherkommen. Das ist ganz, ganz wichtig.
Wie versuchst Du als der Überbringer der Nachricht, sie dabei zu unterstützen?
Ich muss da sehr sensibel ans Werk gehen und immer überlegen: Was ist das für ein Patient? Wie kann ich ihm am besten helfen? Einige haben einen enormen Wissensdurst, den ich stillen muss. Andere machen zu und wollen lieber wenig über die Operation wissen, weil zu viel Wissen bei ihnen nur neue Ängste schürt. Da muss ich versuchen, individuell die richtigen Worte zu finden. Manchmal funktioniert das sehr gut, leider aber auch nicht immer perfekt.
Wie lange dauert die OP, bei der Du das Kunstherz einsetzt?
Im Durchschnitt etwa dreieinhalb Stunden, aber da gibt’s natürlich eine große Varianz. In aller Regel führen wir solche Eingriffe mit zwei Operateuren durch. Wir unterstützen uns gegenseitig. Über die Jahre haben wir das immer weiter perfektioniert, jeden einzelnen Handgriff. Der Erfolg ist auch abhängig von vielen Faktoren: von der Erfahrung des Operateurs und des gesamten Teams, vom Timing und der Indikation zur OP und auch von der Operationszeit: Wenn man die Operation schön sauber und zielstrebig durchführen kann, ist der Erfolg meist besser, als wenn man länger für die Operation braucht.
Wenn die Menschen nach der Operation wieder aufwachen und ein Kunstherz in sich tragen, wie reagieren sie dann?
Erst mal müssen sie sich natürlich von dem Eingriff erholen, die Narkose ausschlafen und auf der Intensivstation wach werden.
Und dann?
Die Patienten merken direkt am ersten Tag nach der Operation, dass sie wieder besser durchatmen können und ihr Herz entlastet ist. Dann müssen sie sich über die Normalstation und Rehabilitationskliniken wieder an den Alltag heranarbeiten. Es dauert seine Zeit, bis sie muskulär wieder ihren alten Status erreicht haben. Und parallel dazu fängt die ganze Verarbeitung im Kopf an.
Sie müssen schließlich lernen, mit dieser Veränderung zu leben. Was können sie dafür tun, dass das gut klappt?
Ich habe mal gelernt: Zufriedenheit ist gleich Erwartung minus Ergebnis. Und da ist was Wahres dran. Entscheidend ist, mit welchen Erwartungen die Patienten da herangehen. Wenn sie vorher eine sehr, sehr hohe Erwartung an die Kunstherz-OP hatten und das Ergebnis ist nicht ganz so hoch, dann sind sie auch nicht so zufrieden. Aber wenn ihre Erwartungen etwas niedriger sind und die OP dann ein sehr gutes Ergebnis bringt, ist ihre Zufriedenheit oft sehr hoch.
Was dürfen sie denn erwarten?
90 Prozent der Patienten führen dank des Kunstherzes wieder ein annähernd normales Leben. Und viele von ihnen können auch wieder ins normale Berufsleben integriert werden. Wir haben Patienten, die kehren nach der Operation zurück in die Krankenpflege, die sind wieder Steuerberater, Jurist oder Dirigent. Das wieder zu können, das macht schon sehr viel mit den Menschen.
Was verändert das Kunstherz noch für sie?
Die Patienten haben wieder eine höhere Lebenserwartung. Ihre Lebensqualität, das kann man auch an wissenschaftlichen Studien ablesen, die steigt signifikant. Die Patienten können wieder ein annähernd normales Leben führen – was sie vorher halt überhaupt nicht konnten, weil sie so stark leistungsvermindert waren.
Welche Risiken bringt das Kunstherz mit sich?
Ein Kunstherz ist eine mechanische Pumpe, die mit Blut in Kontakt kommt; so könnten sich Gerinnsel bilden. Damit das nicht passiert, müssen die Patienten Medikamente nehmen, die das Blut deutlich verdünnen. Gefährlich wäre es deshalb für sie, als Metzger mit scharfen Messern zu hantieren oder mit der Motorsäge Holz zu fällen. Denn wenn sie sich schneiden würden, könnten sie verbluten.
Inwiefern fremdeln die Patienten mit diesem Fremdkörper, den sie da mit sich herumtragen? Und wie können sie lernen, ihn als Teil von sich zu begreifen?
Viele fremdeln vor allem mit diesem Kabel, dass aus ihrem Bauch rauskommt – und damit, dass sie permanent einen Apparat mit sich rumtragen müssen, der halt auch so zwei, drei Kilo wiegt ...
… die Steuereinheit für das Kunstherz, die die Patienten entweder in einer kleinen Tragetasche oder an einem Gürtel mit sich herumtragen ...
… das ist schon eine Belastung. Helfen kann es ihnen, sich immer wieder an die Zeit vor der OP zu erinnern, als es ihnen wesentlich schlechter ging. Dann merken sie, wie dankbar sie sein können, dass sie leben und für alles, was jetzt wieder geht.
Was hörst Du im Nachhinein davon, wie das Kunstherz das Leben der Menschen verändert hat?
Ich kriege da viele Lebensgeschichten mit. Ich kann mich zum Beispiel an einen Patienten erinnern, dem ich 2014 ein Kunstherz eingesetzt habe. Es ist das führende Kunstherz, das gerade auf dem Markt ist, und ich habe es damals als weltweit erster Chirurg eingebaut. Dieser Patient, der war wirklich sterbenskrank – und in der Zwischenzeit ist er zum ersten Mal Großvater geworden. Ich habe eine enge Verbindung zu ihm, ich kenne seine Hintergründe, seine Lebensumstände, seine Angehörigen und freue mich jedes Mal, von ihm zu hören. Ein anderer Patient trägt sein Kunstherz bereits seit mehr als zehn Jahren, engagiert sich unglaublich stark für diese Therapie und hilft zahlreichen anderen Patienten durch seine lebensfrohe Art. Solche Geschichten treiben mich an.
Wie ist es für Dich, wenn Du Leben retten und verbessern kannst?
Es ist ein sehr gutes Gefühl. Ich finde, Mediziner zu sein, ist ein Privileg: Ich kann Gutes tun, ich kann Krankheiten heilen, Menschen helfen und ihnen Lebenszeit schenken. Für mich ist das sehr befriedigend. Ich weiß aber auch: Im OP-Saal haben Emotionen keinen Platz. Da muss ich mich auf das reine Fachwissen und chirurgische Handwerk konzentrieren und darauf, dass jeder Handgriff perfekt gelingt.
Wie schaffst Du das: Dich da total zu konzentrieren?
Ich glaube, das geht durch eine Mischung aus Genetik, Wissen, Training und Erfahrung – und ein sehr, sehr stabiles Umfeld aus Familie und Freunden. Ich kann sehr gut abschalten, wenn ich außerhalb der Klinik bin. Aber ich kann auch genauso schnell den Schalter wieder umlegen, wenn ich in der Klinik auf den Punkt konzentriert sein muss.
Bist Du vor einer OP nervös?
Eher nicht. Ich habe es mir antrainieren können, dass ich sehr, sehr ruhig in so einen Eingriff reingehen kann. Ich habe mittlerweile über tausend Kunstherzen eingesetzt, das ist also für mich zu einem Routineeingriff geworden. Im Laufe der Jahre haben wir bei dieser OP viele, viele Innovationen eingeführt, OP-Techniken verbessert und weltweit zum ersten Mal eingesetzt. Wenn dafür nationale und internationale Kollegen einfliegen, um mir über die Schulter zu gucken, ist das schon noch mal spannender. Da kann ich ehrlich zugeben, dass dann der Grad der Anspannung ein bisschen höher ist als sonst.
Es treibt Dich an, das Kunstherz immer weiter zu perfektionieren, oder?
Ja, mich fasziniert diese Verbindung aus Medizin und Technik, aus Herzchirurgie und Kunstherz. Und ich finde es großartig, dass ich dazu forschen und lehren kann. Dass ich mein Wissen also weiterentwickeln und weitergeben kann. Wir führen viele Versuche durch, um die Kunstherzen stetig zu verbessern. In wenigen Jahren werden wir hoffentlich Lösungen haben, durch die alles komplett in den Körper implantiert werden kann – und die Patienten keine Steuereinheit mehr in einer Tasche mit sich herumtragen müssen.
Du beschäftigst Dich sehr intensiv mit dem Herzen. Wie hat sich in all den Jahren Dein Blick aufs Herz durch Deine Arbeit verändert?
Ich habe schon auf der ganzen Welt operiert: in Europa, in Amerika, in Asien, Südafrika oder auch im Nahen Osten, wie zum Beispiel Saudi-Arabien und Kuwait. Egal, ob es das Herz eines Europäers oder reichen Scheichs war: Das Herz sieht überall gleich aus. Und einem Patienten mit einem kranken Herzen geht es überall gleich schlecht, er sucht überall Hilfe. Das Schöne ist: Mit einem Kunstherz kann ich auch auf der ganzen Welt den Menschen helfen – egal welche Hautfarbe, Religion oder Einstellung sie haben. Ich habe viele Gespräche mit diesen Menschen geführt, und ich habe gelernt: Letztendlich haben alle die gleichen Sehnsüchte. Sie wollen gesund sein, mit ihrer Familie glücklich sein, ein erfülltes Leben haben und in Frieden leben.
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Andreas