„Ich kämpfe für die Zukunft unserer Kinder“
Warum Kristina Winkelmann sich bei den Grünen in Bayern engagiert
Viele Menschen schimpfen auf die Politik. Kristina Winkelmann hat das auch lange getan. Aber dann hat sie damit aufgehört – und ist selbst aktiv geworden. Sie will den Grünen helfen, bei der bayerischen Landtagswahl am 8. Oktober ein gutes Ergebnis zu holen. Im Interview hat die 49 Jahre alte Grundschullehrerin aus Gerolzhofen in der Nähe von Würzburg mir erzählt, was ihr Einsatz verändert – bei anderen und bei ihr selbst.
Wann hast Du angefangen, Dich bei den Grünen zu engagieren – und warum?
Ich war schon immer an Umweltthemen interessiert. Irgendwann habe ich angefangen, Plastik zu vermeiden und Waschmittel selbst herzustellen. Seit anderthalb Jahren bin ich Vegetarierin, mein Sohn hat mich dazu gebracht. Außerdem hat mich die Schulpolitik in Bayern immer aufgeregt. Irgendwann hat mein Mann Achim zu mir gesagt: „Jetzt schimpf nicht immer so am Esstisch! Hier hört Dich keiner. Geh in die Politik! Da kannst Du was bewirken.“
Und dann?
Dann bin ich bei den Grünen eingetreten, am 1. Januar 2023. Die haben einfach die meisten Schnittmengen mit meinen Überzeugungen, vor allem bei Bildung und Klima. Und die beiden Vorsitzenden Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, die finde ich toll.
Inwiefern?
Die sind so positiv. Sie hacken nicht auf anderen Parteien rum, sondern versuchen die Leute mit ihren Argumenten zu überzeugen. Katha Schulze habe ich jetzt schon ein paar Mal getroffen. Die strahlt immer, die ist so selbstbewusst, so motivierend, so natürlich. Und wie die sprechen kann: immer frei, immer mit einem roten Faden. Bewundernswert!
Dabei hat sie es im Wahlkampf wirklich nicht leicht, als Grüne in Bayern.
Das stimmt. Einmal hat sie erzählt, dass bei einem Wahlkampfauftritt von ihr mit Cem Özdemir etwas ganz Krasses passiert ist. Dort sind bei einem Verkaufsstand Äpfel und Birnen verkauft worden, aber auch kleine und große Steine. Es wurde ja neulich dann auch ein Stein auf sie geworfen. Ich finde das schlimm. Aber sie sagt trotzdem: „Wir bleiben unserer Linie treu. Wir versuchen weiter, die Menschen mit unseren Argumenten zu überzeugen und zu motivieren.“
Was willst Du durch Dein politisches Engagement verändern?
Ich möchte helfen, dass die Grünen wenigstens so viele Stimmen bekommen, dass sie eine gute Oppositionspartei werden.
Klingt nicht sehr optimistisch.
Markus Söder hat ja von vornherein gesagt, dass er nicht mit den Grünen koalieren will. Das finde ich traurig. Ich fände es schon einen Erfolg, wenn die Grünen die 17,6 Prozent von der letzten Landtagswahl wieder bekommen. Das wird schwer genug. Jetzt sind ja auch noch die Freien Wähler durch den Aiwanger-Skandal ganz schön stark geworden.
Du hast gesagt, bei den Grünen spricht Dich die Haltung zu Klima und Bildung an. Was genau?
Zum Beispiel ihre Forderung, Solar- und Windenergie viel schneller auszubauen, um den Klimawandel zu bremsen. Wir wohnen hier in Gerolzhofen in einem 450 Jahre alten Haus in der Altstadt, und uns wurde wegen des Denkmalschutzes lange untersagt, eine PV-Anlage aufs Dach zu machen. Das finde ich absurd. Jedes Dach sollte komplett mit PV voll sein. Als die Regelung etwas gelockert wurde, haben wir zumindest auf ein Nebendach sofort eine Anlage draufbauen lassen. Beim Ausbau der Windkraft sträubt sich der Herr Söder ja auch so unglaublich. Das wollen die Grünen ändern. Sie sagen, die Gemeinden können doch auch Windräder bauen und die Bevölkerung daran beteiligen, so dass jeder davon profitiert.
Und was ist mit der Bildungspolitik?
Da läuft in Bayern alles falsch. Alle sagen: Das bayerische Abitur ist so toll. Aber in Wahrheit ist das bayerische Schulsystem komplett marode und veraltet. Es gibt ja hier ein Grundschulabitur: Es gibt also nicht nur eine Empfehlung, sondern man muss bestimmte Noten haben, um auf eine weiterführende Schule zu kommen. Dadurch haben die Kinder schon ab der zweiten Klasse großen Druck. Das finde ich schlimm! Und das wollen die Grünen abschaffen. Sie drängen auch darauf, dass Erzieherinnen und Menschen in sozialen Berufen endlich mehr verdienen.
Du klingst sehr engagiert. Warum bist Du nicht schon vorher politisch aktiv geworden?
Ich bin ein sehr zurückhaltender Mensch. Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt. Und ich hatte einfach immer viel zu tun. Ich liebe meine Arbeit in der Schule und war da sehr engagiert. Und zu Hause habe ich mich um unsere beiden Kinder gekümmert und das ganze Familienleben gemanagt; mein Mann ist Journalist und war vor Corona quasi nie zu Hause. Außerdem haben wir in den vergangenen Jahren noch unser Haus saniert, das hat auch viel Zeit und Nerven gekostet. Und ich hab mich in der Politik auch nicht so gesehen.
Warum nicht?
Zwei Freundinnen von mir sitzen für die Grünen im Stadtrat und haben mir oft erzählt, wie frustrierend das ist und wie ihre Vorschläge von der CSU-Mehrheit sowieso gleich abgelehnt werden – nur weil sie von den Grünen sind. Da hab ich gedacht: Wie nervig! Aber jetzt sind unsere Kinder groß: Paul studiert, Johanna ist in der neunten Klasse. Und ich kämpfe für die Zukunft unserer Kinder. Dafür, dass sie auch eine lebenswerte Erde haben.
Was genau machst Du bei den Grünen?
Erst mal habe ich ein Wahlkampfcamp mitgemacht. Ludwig Hartmann hat uns da ganz viel Faktenwissen vermittelt. Das hat mich sehr bestärkt, denn vorher hatte ich ein bisschen Angst, dass ich im Wahlkampf nicht gut argumentieren kann, weil ich über viele Themen nicht genug weiß. Außerdem haben wir Rollenspiele gemacht, um zu lernen, wie man mit Menschen umgehen kann, die einem blöd kommen. Und wie man Leute motivieren kann, mal drüber nachzudenken, was ihnen wirklich wichtig ist im Leben. Das war richtig gut. Und hat in der Praxis auch sofort funktioniert.
Erzähl mal!
Einmal hatten wir an einem Samstag einen Wahlkampfstand bei uns auf dem Marktplatz aufgebaut. Da kam eine Frau, die gesagt hat, sie hat noch nie grün gewählt. Da habe ich ihr erzählt, warum ich zu den Grünen gegangen bin – und dass es mir vor allem um die Bildung geht. Sie hat dann von ihrer Enkelin erzählt, die in der Schule viel zu viel Druck erlebt. So sind wir richtig schön ins Gespräch gekommen über Bildung und auch über Klima. Und am Ende hat sie gesagt: „Ich geh noch mal in mich, aber ich denke: Meine Stimme haben Sie!“ Das hat mich richtig glücklich gemacht.
Was hast Du bei dem Wahlkampfcamp noch gelernt?
Ich bin selbstbewusster geworden. Vorher hätte ich mich nie getraut, Leute anzusprechen: „Hallo, ich bin die Kristina Winkelmann. Ich wollte Sie dran erinnern: Am 8.10. ist die Wahl in Bayern. Ich bin von den Grünen. Vielleicht lesen Sie sich mal durch, was wir für Ideen haben.“ Im Camp haben wir das geübt – und das hat mir echt viel gebracht.
Weil Du gezwungen warst, Dich zu trauen?
Genau. Ich bin aus meiner Komfortzone rausgekommen. Im Kleinen, im Hintergrund war ich schon immer engagiert, zum Beispiel in der Kirche. Aber jetzt stehe ich ganz öffentlich da und vertrete meine Position. Vorher bin ich Konfrontationen auch eher aus dem Weg gegangen. Jetzt traue ich mich da öfter mal rein.
Hast Du auch schon Haustürwahlkampf gemacht?
Damit fangen wir am 2. Oktober an, in der Woche vor der Wahl. Wir gehen in Neubaugebiete in den Ortschaften hier rund um Gerolzhofen. Da klingeln wir, werfen Flyer in Briefkästen und führen Gartenzaungespräche. Jeden Abend wollen wir ein Stündchen in ein anderes Baugebiet. Wir denken: Junge Familien kann man eher für die Grünen gewinnen als hartgesottene CSU-Fans mit 60 aufwärts. Ich habe mit den Grünen einen Workshop bei einem Kommunikationstrainer gemacht, der mit uns geübt hat, wie man solche Gespräche führen kann.
Was hast Du da gelernt?
Leute da abholen, wo sie stehen. Wenn jemand aggressiv ist, muss man ihm zuhören, ihm zeigen, dass man ihn und seine Ängste versteht – und dann sagen: „Ich habe auch Argumente. Hören Sie mir doch auch mal zu.“ Vielleicht sagt er am Ende: „Sie haben recht, so habe ich das noch gar nicht gesehen.“ Dann hat man schon etwas bewirkt.
Wie gehst Du damit um, wenn mal wieder jemand die Grünen als Verbotspartei darstellt?
Meine Mutter hat mich dazu schon auf die Probe gestellt und gesagt: „Also, wenn ich jetzt komme und sage: Ihr verbietet auch noch das Fleischessen – was sagst Du dann?“
Und? Was sagst Du dann?
Dann sage ich: „Wir verbieten nicht das Fleischessen. Sondern wir wollen das Bewusstsein dafür stärken, dass es sinnvoll ist, weniger Fleisch zu essen. Und wenn man Fleisch kauft, dann am besten gutes Fleisch vom Hofladen um die Ecke. Das ist zwar teurer, aber wenn man weniger kauft, kann man sich das ja auch leisten.“ Meine Mutter zumindest hat das überzeugt.
Was hast Du im Wahlkampf noch gemacht?
Ich habe Plakate aufgehängt und kaputte Plakate erneuert. Wir hatten mehrere Wahlkampfstände. Und ich bin zu vielen Wahlkampfveranstaltungen der Grünen gegangen. Nebenbei habe ich Tennisbälle grün gefärbt und Sonnenblumenstempel draufgemacht zum Verteilen, als kleines Geschenk zum Mitgeben für die Leute.
Wie kriegst Du all das zeitlich hin, zwischen Arbeit und Familie?
Unsere Kinder brauchen mich fast nicht mehr, sie sind ja schon groß. Mein Mann beschwert sich zwar manchmal, dass ich nachmittags und abends oft unterwegs bin. Aber ich nehme mir diese Zeit gerne. Ich mache das ja mit meinen Freundinnen und finde es schön, sie jetzt so oft zu sehen. Es ist keine Belastung für mich. Es ist ein Hobby geworden. Ich lese unglaublich viel über Politik, noch intensiver als vorher. Und ich merke: Es ist gut, wenn man viel weiß und Themen besser einordnen kann.
Was zum Beispiel?
Ich habe mich zum Beispiel intensiv mit dem Wahlprogramm der AfD beschäftigt – und verstanden: Sozial schwachen Menschen, die die AfD wählen, würde es viel schlechter gehen, wenn die AfD an die Macht kommt. Und das Frauenbild der AfD ist eine absolute Katastrophe. Frauen werden aufs Gebären reduziert und sollen am besten gar nicht mehr arbeiten. Wenn ich das weiß, kann ich besser mit AfD-Sympathisanten diskutieren und habe starke Argumente.
Die extrem rechte AfD hat zurzeit erschreckend hohe Umfragewerte. Inwiefern motiviert Dich das, Dich in der Politik zu engagieren?
Sehr. Vor kurzem war ich bei einer Wahlkampf-Veranstaltung der Grünen in Schweinfurt mit Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Da war eine Gegendemonstration: AfD-Leute, Querdenker, Impfgegner, Leute vom rechtsextremen III. Weg. Die haben nur gebrüllt und gepfiffen und waren total aggressiv. Unsere beiden Leute auf der Bühne sind sehr souverän damit umgegangen. Aber mir hat das Angst gemacht. In den Nächten danach bin ich manchmal aufgewacht und habe gedacht: Wahnsinn, diese Aggressionen! Woher kommen die?
Die Grünen sind zurzeit nicht nur für Rechtsextremisten, sondern auch für viele andere Menschen ein Feindbild.
In Bayern ist das besonders schlimm. Ich finde es absurd, dass der Söder ständig auf die Grünen schimpft. Und es macht mich traurig und ratlos, dass es von vielen Menschen als etwas Schlechtes hingestellt wird, wenn die Grünen sich für Umwelt und Klima einsetzen. Was ist denn daran bitte schlecht? Es betrifft uns doch alle! Unsere Zukunft und erst recht die unserer Kinder! Und man kann die Klimakrise nicht leugnen, sie ist doch jetzt schon da.
Und die wahre Gefahr für unser Land ist ja eindeutig die AfD.
Absolut, ja. Ich hätte niemals gedacht, dass diese Partei mal so stark wird – bei der Geschichte, die wir in Deutschland mit Nazis haben. Und ich hoffe wirklich, dass sich alle demokratischen Parteien nach der Wahl endlich an einen Tisch setzen und überlegen: Wer ist eigentlich unser Gegner? Das ist doch ganz klar die AfD – und gegen die müssen wir alle zusammenhalten.
Wie gehst Du mit Deiner Trauer über das Grünen-Bashing um?
Sie motiviert mich erst recht weiterzukämpfen. Ich sage mir: „Dann machen wir halt noch ein Baugebiet mehr in der Woche. Wir hängen noch einen Abend ran. Wir müssen die Leute einfach erreichen.“
Was ist Dein Ziel bei Deinem Engagement?
Wenn die Grünen wieder über 17 Prozent kriegen, würde ich mich echt total freuen. Und ich will Menschen zum Nachdenken anregen. Ich bin bei uns im Ort ja durchaus bekannt, und jetzt sagen die Leute vielleicht: „Aha, die Frau Winkelmann, die ist jetzt bei den Grünen. Interessant!“ Vielleicht überlegen sie dann, warum ich das wohl mache.
Haben schon Leute konkret reagiert?
Meine Mutter sagt es zwar nicht, aber sie ist doch ein bisschen stolz auf mich. Mein Schwiegervater bestärkt mich immer und sagt: „Ich finde es so toll, wie Du Dich engagierst!“ Und meine Kinder sind wirklich sehr stolz. Die finden es toll, dass ich für ihre Zukunft kämpfe. Johanna hat Cookies gebacken für unseren Wahlkampfstand. Und Pauls Freundin will jetzt auch zu den Grünen gehen. Das finde ich so schön! Das beflügelt mich.
Was müsste passieren, damit Du nach der Wahl denkst: Mein politisches Engagement hat sich gelohnt?
Ach, ich denke jetzt schon: Es hat sich gelohnt. Ich habe wirklich viel Spaß. Ich verbringe viel Zeit mit meinen Freunden. Ich hab so viele nette Leute kennengelernt.
Wen zum Beispiel?
Zum Beispiel Justus. Er ist 16, kommt hier bei uns aus dem Ort und ist seit zwei Jahren Mitglied bei den Grünen. Aber er wusste nie, wer hier in Gerolzhofen noch für die Grünen steht. Jetzt haben wir uns kennengelernt, er ist überall dabei und diskutiert immer mit – gern auch mal mit älteren Damen. Und er brennt für die grüne Politik. Das fasziniert mich. Die Grünen sind für mich ein richtiges Zuhause geworden. Selbst wenn sie nur 15 Prozent bekommen, denke ich: Für die 15 Prozent habe ich gekämpft. Ich werfe dann nicht die Flinte ins Korn.
Willst Du nach der Wahl weitermachen?
Wenn’s nach meinen Freundinnen geht, soll ich dann in den Stadtrat. Aber das mache ich nicht. Ich bin dafür überhaupt nicht geschaffen.
Das sagst Du jetzt noch.
Das sagen die Freundinnen auch. Aber Stand jetzt kann ich es mir wirklich nicht vorstellen. Ich glaube, ich würde aggressiv werden, wenn ich da sitzen müsste. Ich würde mich viel zu sehr über die parteipolitischen Spielchen ärgern. Jetzt mache ich erst mal Wahlkampf und bin glücklich. Und wer weiß, was in ein paar Jahren ist?
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Andreas