Guten Morgen, liebe Leute! Na, seid ihr gerade auch so überfordert von der Welt wie ich? Kommt ihr auch kaum noch hinterher bei all den Nachrichten von Trump und Putin, von Merz und seinen Schuldenplänen, von Klimakrise, Attentaten und anderen Katastrophen? Unter meinen Freunden und Bekannten sagen viele, dass ihnen alles zu schnell geht; dass sie Angst haben, was wird; dass sie manches nicht verstehen und kaum mehr wissen, was in dieser Welt richtig ist und was falsch.
Mein Eindruck ist: Es wird so viel wie noch nie über Politik diskutiert – morgens am Bahnhof, mittags beim Essen, abends nach dem Sport. Weil die Menschen merken, dass die Zeiten ernst sind. Und weil sie rätseln, wo sie jetzt Halt finden sollen.
Der gemütliche Pazifismus
Mit diesem Text will ich versuchen, ein bisschen Halt zu geben. Und klarzumachen, dass das gar nicht schlimm ist: unsicher zu sein bei all den Fragen – und zu zweifeln, wo man stehen soll. Denn oft gibt es nicht nur eine Wahrheit, sondern zwei. Oft stimmt nicht nur die eine Meinung, sondern auch die andere. Oft ist da mehr als Schwarz und Weiß.
Diese Mehrdeutigkeiten lassen sich bei allen Themen beobachten, über die gerade diskutiert wird. Ein paar Beispiele?
Ja, es ist schändlich, wie Trump die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Putins Mörderbande im Stich lässt, seine Partner aus Europa verrät und militärische Bündnisverpflichtungen zur Verhandlungssache erklärt. Aber wahr ist auch: Die Europäer und vor allem die Deutschen haben sich jahrzehntelang gemütlich in ihrem ach so christlichen Pazifismus eingerichtet und sich daran gewöhnt, dass die USA sie schon beschützen werden. Alle Mahnungen, sie sollten doch bitte ihre Verteidigungsausgaben erhöhen, haben sie ignoriert.
Die absurde Korrektheit
Ja, es erinnert an die Sprachpolizei von Diktaturen, dass Trump neuerdings Wörter verbietet. Er hat Regierungsmitarbeiter laut der „New York Times“ aufgefordert, bestimmte Begriffe nicht mehr in offiziellen Mitteilungen und Dokumenten zu verwenden – zum Beispiel die Wörter Frauen, weiblich, Trans, Gender, Minderheiten, Behinderungen, Klimakrise. Aber wahr ist auch, dass die Bemühungen um politische Korrektheit in den USA in den vergangenen Jahren absurde Ausmaße angenommen hatten. Manche linken Aktivisten haben ihren Kampf um eine hundertprozentig diskriminierungsfreie Sprache derart aggressiv vorangetrieben, dass sie viele verstört haben. Auch deshalb hat Trump bei der Wahl so viele Stimmen bekommen.
Schauen wir nach Deutschland. Auch da stehen meistens zwei Wahrheiten nebeneinander.
Ja, es wirkt befremdlich, wie CDU-Chef Merz sich im Wahlkampf partout gegen neue Schulden ausgesprochen hat und jetzt plötzlich gigantische Investitionen auf Pump finanzieren will. Aber wahr ist auch, dass diese Investitionen angesichts der epochalen Gefahr durch Putin und Trump richtig sind – und dass es niemandem hilft, wenn wir schuldenfrei von Russland unterworfen werden und unsere Schulen und Schienennetze bei blendenden Staatsfinanzen verrotten.
Oder, noch mal Merz: Ja, es gibt Gründe zu bezweifeln, dass er ein guter Kanzler wird. Viele empfinden ihn als leicht reizbar, seinen Führungsstil als veraltet, seine strategische Klugheit als übersichtlich. Aber wahr ist auch: Er hat die Wahl nun mal gewonnen, und Deutschland wird von innen (durch die dunkelbraunen Antidemokraten) und außen (siehe oben) ernsthaft bedroht. Heißt: Auch eine Grünen-Wählerin, ein SPD-Fan oder ein FDP-Anhänger sollte Merz alles Glück der Welt wünschen. Denn der Erfolg seiner Regierung entscheidet nicht nur über sein Schicksal, sondern auch über das von uns allen.
Das Reizthema Migration
Auch beim Reizthema Migration gibt es nicht nur eine Wahrheit. Ja, Deutschland braucht Migration dringend, um den Fachkräftemangel zu lindern, der in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Aber wahr ist auch: Migration bringt Probleme mit sich, und sie muss stärker und klüger gesteuert werden als bisher. Wenn die demokratischen Parteien diese Probleme nicht angehen, werden noch mehr Wütende ihr Kreuz bei der AfD machen, die in Wahrheit eine Alternative gegen Deutschland ist.
Und klar, auch in der Corona-Krise, die vor fünf Jahren begonnen hat, ist nicht nur eine Sichtweise richtig. Man könnte sagen: Die Bundesregierung hat das Land relativ gut durch eine schwierige, nie dagewesene Lage manövriert. Man könnte aber auch sagen: Wie sie das Schicksal der Kinder und Jugendlichen in dieser Zeit ignoriert hat, das war ein Skandal. Und das ist nur einer von vielen Aspekten der Pandemie.
Zum Schluss dieser Aufzählung schnell noch zum Wetter: Ja, das vergangene Wochenende war wunderbar. 19 Grad und Sonne, im T-Shirt draußen sitzen bei Espresso und Weißwein – so ließ es sich aushalten. Aber so nett diese Temperaturen Anfang März fürs private Freizeitvergnügen waren: Sie waren eben auch ein Indiz für die rasend schnell fortschreitende Erderhitzung, die wir alle so gern verdrängen.
Der geweitete Blick
Die Liste ließe sich fortsetzen, jede und jeder von euch kennt sicher weitere Beispiele. Was aber verändert es nun, die Mehrdeutigkeit der Welt zu sehen und zu akzeptieren, also eine ordentliche Portion (Achtung: Klugscheißer-Wort) Ambiguitätstoleranz zu besitzen?
Es tut gut. Es hilft dabei, nicht auf einem Standpunkt zu beharren. Es entkrampft Diskussionen, weitet den Blick, erleichtert Kompromisse. Und rettet einen davor, zum ideologischen Radikalinski zu werden. Eine Gesellschaft, in der viele Menschen auch andere Meinungen gelten lassen, lässt sich nicht so leicht spalten. Sie kommt besser durch diese verwirrenden Zeiten.
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Andreas