Kurze Info für alle, die es schon vergessen haben: Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar läuft noch. Am Dienstag und Mittwoch sind die Halbfinals, am nächsten Sonntag das Endspiel. Aber ich will Euch jetzt hier nicht mit halbgaren Analysen über Taktik, Trainer und Trefferquoten langweilen. Sondern für einen veränderten Blick auf die Debatten um diese WM werben.
Deutschland ist ja schon eine Weile raus aus dem Turnier – und hier hat’s vor und nach dem Ausscheiden eine Menge schlechtgelaunter, empörter, überhitzter Diskussionen gegeben. Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt, und mit etwas Abstand lohnt sich die Frage: Was hat das ganze Gerede eigentlich gebracht?
Im Kern ging es um zwei Fragen. Erstens um die Frage, wie es zu bewerten ist, dass die WM in Katar stattfindet. Zweitens um die Frage, ob die deutsche Mannschaft in ihrem ersten Spiel mit der One-Love-Binde ein Zeichen gegen die Diskriminierung von Homosexuellen setzen sollte.
Winnetou, hanebüchen
Das Problem bei dieser Debatte war, dass sie nach der Gut-Böse-Logik geführt wurde. Häufig nach dem Motto: Du guckst die WM, trotz all der Missstände in Katar? Dann bist Du dumm, ignorant, böse. Du guckst die WM nicht? Dann bist Du schlau, aufgeklärt, gut.
Du findest, die One-Love-Binde wäre ein absolut unverzichtbares Signal gewesen? Dann bist Du modern, weltoffen, gut. Du findest, die Aufregung um die Binde war übertrieben? Dann bist Du borniert, Minderheiten missachtend – also böse.
Zwischen diesen Polen, zwischen Gut und Böse, gab’s gefühlt nichts. Das ist vor allem deshalb ein Problem, weil derart radikal in Deutschland viele Debatten ablaufen: Ich gut, Du böse – Punkt. Erinnert sei nur an die hanebüchene Winnetou-Debatte im vergangenen Sommer oder an die Dauerdiskussion ums Gendern.
Ich möchte dafür werben, weniger über andere zu urteilen – und mehr zu versuchen, sie zu verstehen.
Der unerträgliche Turnschuhträger
Vielleicht guckt ja die Nachbarin die WM, weil sie gerade übel Stress im Job hat – und abends einfach was zum Runterkommen braucht. Oder der Onkel guckt sie nicht, weil er schon seit Jahrzehnten die Geschichten von Investigativ-Reportern über die Fifa liest und längst weiß, dass der Fußball-Weltverband ein Hort der moralischen Verkommenheit ist, und weil er die Turniere dieses Verbandes und ihren turnschuhtragenden Präsidenten einfach nicht mehr erträgt.
Und vielleicht findet ein Kumpel, Kicker dürften sich ruhig aufs Kicken konzentrieren, für politische Statements seien eher die Verbandspräsidenten zuständig. Die Kollegin hingegen hat zwei gute Freunde, die schwul sind und schon diskriminiert worden sind – und schaut deswegen bei der One-Love-Binde besonders sensibel hin.
Egal, wie der eine oder die andere zu diesen Fragen steht: Gut oder böse ist deswegen noch lange niemand. Wenn wir das aber behaupten und auf andere herabschauen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass sie mit Abwehrreflexen reagieren. So lässt sich kein Problem lösen, so kommt keine Debatte auch nur einen Millimeter voran.
Erst mal Dampf ablassen
Sich aufzuregen, ändert nichts (außer den eigenen Blutdruck). Warum es bei der WM trotzdem so viele gemacht haben? Weil es erst mal guttut, Dampf abzulassen. Und außerdem viel einfacher ist, als sich kompliziertere Fragen zu stellen. Zum Beispiel, ob es bei uns in Deutschland nicht auch Missstände gibt bei den Themen, die wir in Katar kritisieren.
Auch in Deutschland werden Arbeiter aus anderen Ländern systematisch ausgebeutet, erinnert sei nur an die osteuropäischen Werkvertragsarbeiter in der Fleischindustrie. Und auch in Deutschland trauen manche Homosexuelle sich bis heute nicht, sich zu outen, in der tendenziell machohaft-rückständigen Profifußballbranche schon mal gar nicht. Natürlich sind die Missstände bei beiden Themen bei weitem nicht so krass wie in Katar. Aber sie sind da. Wie sich daran etwas ändern ließe und welche Schritte dafür passieren müssten, das wäre mal eine Diskussion wert. Die könnte wirklich was verändern, nicht nur gefühlt.
Denn mal im Ernst: Nach all den Katar-Debatten waren in Deutschland zwar viele Leute ein wenig erschöpft, aber außer uns hat’s keinen interessiert, wie wir uns die Köpfe heißgeredet haben. Was ja auch wieder eine schöne Erkenntnis ist. Weil sie herrlich entspannt.
Wie auch immer Ihr die WM findet, eine Bitte habe ich nun noch: Teilt dieses Interview in allen sozialen Netzwerken. Empfehlt es auf Whatsapp und Facebook, Instagram und Twitter. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
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Andreas