„Ich gehe gern an meine Grenzen“
Swantje Dake erzählt, warum sie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hat
Swantje Dake (46) ist einen bemerkenswerten Schritt gegangen: Sie hat ihren Job als Chefredakteurin und Geschäftsführerin bei der Zeitungsgruppe Stuttgart gekündigt – und sich selbstständig gemacht. Im Interview hat die Journalistin mir erzählt, was sie zu dieser Veränderung bewegt hat und was sie dadurch gelernt hat.
Warum hast du nach mehr als 20 Jahren als angestellte Journalistin beschlossen, dich selbstständig zu machen?
Lange war mir die Sicherheit, die ein Angestelltendasein bedeutet, sehr, sehr wichtig. Aber irgendwann wurde mir klar: Ich möchte etwas Neues. Ich möchte mehr selbst entscheiden können, wie ich arbeite, wann ich arbeite, wo ich arbeite und mit wem ich arbeite.
Wann kam dir dieser Gedanke zum ersten Mal?
Dieser Wunsch war immer schon ein bisschen in mir. Konkret habe ich dann vor etwa zweieinhalb Jahren gemerkt: Es wird Zeit für so einen Schritt.
Woran hast du das gemerkt?
Ich hatte in Stuttgart ein großes Change-Projekt geleitet: Wir haben die Ressorts in unserer Redaktion abgeschafft und Thementeams aufgebaut. Das waren super-intensive zwei Jahre. Für mich war klar: Danach brauche ich eine Veränderung. Ich möchte nicht einfach nur weiterführen, was ich begonnen habe.
Warum nicht?
Ich möchte immer was lernen. Ich gehe gern an meine Grenzen – und frage mich, wie ich sie verschieben kann. Ich habe mich wahnsinnig wohlgefühlt in Stuttgart, ich hatte tolle Chefredaktionskollegen, eine tolle Redaktion, einen tollen Verlag. Aber ich habe mich gefragt: Was könnte mir auch in Zukunft diesen Flow-Zustand geben, den ich so mag?
Wann hattest du in Stuttgart solche Flow-Momente?
Immer dann, wenn ich mit Menschen intensiv zusammengearbeitet habe und es mehr um persönliche Entwicklung als um die Inhalte und die Produkte ging. Wenn ich geguckt habe: Wie kann ich ein Team aufbauen? Was muss ich verändern, damit es besser läuft? In allen Bereichen des Lebens suche ich immer neue Herausforderungen.
Was genau machst du jetzt?
Ich bin selbstständige Strategie- und Managementberaterin. Ich berate Chefredaktionen und Geschäftsführungen der Medienbranche in Transformationsprozessen. Parallel gründe ich ein Startup, baue also wieder etwas auf. Das wird im Laufe des Jahres spruchreif.
Hattest du vorher schon mal konkret daran gedacht, dich selbstständig zu machen?
Ja, zweimal, vor vielen Jahren – weil bestehende Verträge drohten, nicht verlängert zu werden. Da habe ich gedacht: Naja, dann werde ich halt freie Journalistin. Aber dieser Gedanke kam nie aus einer tiefen Überzeugung heraus. Und dann kam doch immer ein Angebot.
Jetzt bist du den Schritt bewusst gegangen und ohne Not.
Genau. Und ich bin ihn von einer sehr hohen Position aus gegangen. Das hatte einen Vor- und einen Nachteil. Der Vorteil war, dass ich in der Branche einen Namen und ein gutes Netzwerk habe. Der Nachteil war: Die Unsicherheit, die die Selbstständigkeit mit sich bringt, war viel größer als bei einer Mittzwanzigerin. Ich habe einen gewissen Lebensstandard, ein gewisses Einkommen, gewisse Verpflichtungen. Mein Leben ist viel voller und ich kann nicht einfach so alles durcheinanderwirbeln.
Wie ist es für dich, dieses Risiko eingegangen zu sein?
Es ist richtig, richtig schön.
Das klingt überzeugt.
Ja, total. Obwohl der Start nicht immer einfach war. Mein Plan ist nicht aufgegangen. Seit Februar vergangenen Jahres bin ich raus aus Stuttgart. Damals plante ich, das Startup in den Fokus zu stellen und die Beratung parallel aufzubauen. Es kam anders und anfangs habe ich damit gehadert. Mittlerweile sage ich mir: Och, es wird schon einen guten Grund dafür gegeben haben.
Wie ging es damals weiter?
Ich hatte als Selbstständige natürlich beim Aufbau schon viel zu tun: Kontakte knüpfen, erste Aufträge an Land ziehen, parallel Fragen zu Krankenversicherung, Rentenversicherung, Buchhaltung klären. Ich habe ein Gründungscoaching gemacht und mir viel angelesen. Aber ich wusste: Nur weil ich zwölf Stunden am Tag arbeite, landet jetzt am Ende des Monats nicht mehr automatisch eine bestimmte Summe auf dem Konto.
Gar nicht leicht, oder?
Nein, wirklich nicht. Es war für mich eine krasse Erfahrung, dass ich viel gearbeitet und anfangs gar kein Geld dafür bekomme habe. Auch weil es zehn Wochen gedauert hat, bis ich eine Steuernummer hatte und Rechnungen schreiben konnte. Es kam nie was rauf aufs Konto, es ging immer nur was runter. Das war natürlich nicht lebensbedrohlich, aber es hat mir gezeigt, wie wichtig es mir war, ein regelmäßiges Einkommen zu haben. Wie sehr ich das brauchte, um mich sicher zu fühlen.
Ich vermute, du hast in Stuttgart ziemlich gut verdient.
Das ist so, ja. Ich habe auch gemerkt, dass es ein wahnsinniger Vorteil ist, mit einem gewissen Polster zu starten – weil ich mir nicht gleich Sorgen machen muss, dass ich übermorgen die Miete nicht zahlen kann, wenn irgendwas nicht funktioniert wie geplant.
Hast du mal gedacht, der Schritt in die Selbstständigkeit war doch falsch?
Nicht ernsthaft. Aber dieses finanzielle Thema hat mich sehr an meine Herkunft erinnert. Geld war bei uns zu Hause nicht im Überfluss vorhanden. Mein Bruder und ich waren die Ersten in der Familie, die aufs Gymnasium gegangen sind und studiert haben. Es war immer klar: Du musst für Geld was tun. Diese kindliche Prägung, die war immer tief in mir drin, aber in den Jahren, in denen ich viel Geld verdient habe, hatte ich die gut verdrängt. Jetzt kam sie raus.
Inwiefern hat dir diese Prägung den Schritt in die Selbstständigkeit erschwert?
Ich habe oft gedacht: Jetzt bin ich Anfang, Mitte 40, ich habe so viel erreicht in meiner Karriere. Darf ich das aufgeben? Darf ich diese Position sein lassen? Enttäusche ich da meine Eltern? Enttäusche ich mich? Enttäusche ich Menschen, mit denen ich arbeite? Und was ist, wenn es nicht funktioniert? Was ist, wenn ich das Neue nicht mag, wenn ich das nicht kann, wenn ich kein Geld verdiene?
Haben die Fragen dich sehr gequält?
Eigentlich nicht. Denn mein Partner hat mir eine Menge Sicherheit gegeben. Er hat mich gefragt: Was kann denn im schlimmsten Fall passieren? Wenn du nach einem Jahr sagst, du findest keine Kunden und dir gefällt das nicht – dann kannst du wieder in eine Festanstellung gehen. Und alles, was du auf dem Weg dahin lernst, macht dich noch mal so viel wünschenswerter für zukünftige Arbeitgeber.
Du hast in der Stuttgarter Redaktion tiefgreifende Veränderungsprozesse angeleitet. Hat dir das bei deinem eigenen Veränderungsschritt geholfen?
Ich hatte eine Coachin an meiner Seite, das war gut. Wenn ich mich mal in einer Gedankenspirale verheddert habe, konnte ich immer ein klärendes Gespräch mit ihr führen. In der Transformation der Redaktion habe ich das immer sehr geschätzt: dass auch mal jemand von draußen draufschaut, der nicht so im Gewusel drinsteckt und alle Vor- und Nachteile schon längst abgewogen hat und Vergangenheiten mit sich rumschleppt. Und das war das, was ich aus den Change-Projekten übertragen habe auf mich: Lass dich begleiten! Such dir ein, zwei Menschen, die dich unterstützen, die kritisch, aber wohlwollend sind!
Was war ein wichtiger Anstoß, den dir die Coachin vor deinem Schritt in die Selbstständigkeit gegeben hat?
Sie hat mich genau wie mein Partner gefragt: Was kann denn schlimmstenfalls passieren? Diese Frage hat mir gezeigt: Es kann ja gar nicht so viel passieren.
Eigentlich total banal, oder?
Ja, wirklich banal – und gleichzeitig sehr hilfreich. Denn diese Frage nimmt ganz vielen Dingen die Schwere. Die Coachin begleitet mich seit Jahren, sie kennt mich gut. Sie hat immer gesagt: „Das müssen Sie machen, Frau Dake! Wenn Sie davon reden, dann merke ich, dass Sie wollen! Ihr ganzer Körper spricht. Das sind Sie!“
Was hast du da gesagt?
Ich habe lange gesagt: „Nee, auf gar keinen Fall!“ Aber sie hat gespürt, dass da schon was in mir war, und sie hat gesagt: „Lassen Sie’s raus!“ Und sie hat mir oft mitgegeben: „Denken Sie an Situationen, in denen Sie sich schon mal so sehr verändert haben und ins Ungewisse gegangen sind.“ Wenn man nur nach vorn schaut, sieht man ja oft nicht, wie der Weg weitergehen soll. Wenn man zurückguckt auf das, was schon war, sieht man Dinge klarer und sagt sich: „Ach ja, das habe ich damals als schwierig empfunden, aber es war gut so, wie ich es gemacht habe.“
Was waren das für Veränderungsschritte, die du schon mal gewagt hast?
Ich bin nach dem Abitur aus unserem Dorf in Südniedersachsen für ein Jahr als Au-pair nach Stockholm gegangen. Und nach dem Studium in Münster bin ich nach Hamburg gegangen, ohne dass ich irgendetwas in der Tasche hatte. Ich wollte dort unbedingt ein Volontariat machen und hab gedacht, Hamburg ist eine Medienstadt, also muss das klappen. Dass das überhaupt nicht einfach war zu dem Zeitpunkt, Anfang der 2000er Jahre, das hat mich damals nicht gestört.
Hat’s schnell geklappt?
Erst mal habe ich dort nachts gekellnert, für 7,20 Euro die Stunde nachts in der Sporthalle. Aber dann habe ich relativ schnell das Volontariat bei der Hamburger Morgenpost bekommen. Weil ich den Schritt gewagt und etwas investiert habe. Später bin ich dann vom Stern in Hamburg nach Stuttgart gegangen – auch nicht unbedingt ein naheliegender Schritt.
Stimmt.
Und ich wusste auch erst nicht, was passiert. Ich dachte, ich gehe da hin, baue eine Digitalredaktion auf und gehe nach anderthalb Jahren wieder. Ich habe mir nicht träumen lassen, dass ich da mal Chefredakteurin werde. Und jetzt kam mit der Selbstständigkeit auch der Umzug nach Düsseldorf. Bislang habe ich immer nur für einen Job die Stadt gewechselt. Diesmal war ein nicht so kleiner Teil der Motivation für den Schritt der Mann an meiner Seite.
Wenn ich dir so zuhöre, habe ich den Eindruck: Du bist mit dir und deinem großen Veränderungsschritt sehr im Reinen.
Absolut, ja. Weil’s einfach Spaß macht. Weil ich merke, dass ich so gut arbeiten kann. Und dass ich nichts vermisse.
Gar nichts?
Naja, ich vermisse schon den Wald und die Hügel rund um Stuttgart. Und ich vermisse die Kollegen, mit denen ich mich mal schnell besprechen kann und die mir ein offenes und ehrliches Feedback geben. Aber sonst? Es ist abwechslungsreich, ich werde gefordert, ich lerne was. Ich kann unterwegs sein. Das sind alles Punkte, die mir sehr wichtig sind. Ich weiß zwar oft nicht, wie viel ich im nächsten Monat verdienen und wie viele Aufträge ich dann haben werde – aber es löst in mir mittlerweile keine Sorge mehr aus. Ich ziehe meine Sicherheit nicht mehr aus einem festen Einkommen, sondern aus dem Vertrauen auf meine Kenntnisse und Fähigkeiten. Darüber freue ich mich total.
Was hast du in der Selbstständigkeit noch über dich gelernt?
Dass ich Muster habe, die manchmal ungesund sind: Hart arbeiten ist für mich ein Antrieb. Ich gebe keine Ruhe, bis Dinge beendet sind. Einmal, an einem Freitagabend im Herbst, habe ich einen Workshop für die kommende Woche vorbereitet und als ich auf die Uhr geschaut habe, war es nach 23 Uhr. Ich lerne noch, Pausen zu machen und mir selbst Grenzen zu setzen. Und ich merke, dass ich mir ganz schön viel auf einmal vorgenommen habe, mal wieder. Stellenweise bin ich irritiert, dass ich weniger Disziplin habe, als ich dachte. Und ich arbeite genauso viel wie früher, zudem intensiver, da Meetings, in denen man nichts oder wenig beitragen kann, nicht mehr vorkommen.
Du bist jetzt schließlich deine eigene Chefin.
Ja, und ich genieße es sehr, endlich Herrin meines Kalenders zu sein. Als Chefredakteurin gibt man seinen Kalender ab und er wird immer gut bestückt mit Terminen. Jetzt ist er zwar immer noch zu voll, aber manche Arbeitstage beginnen erst um 11 Uhr, weil ich mir vorher Zeit für Sport nehme – oder Tage enden am Nachmittag, um Freunde zu treffen. Diese Flexibilität gibt mir mehr Energie.
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Bis zum nächsten Mal: alles Gute!
Andreas