Jana Rolfes ist 1,93 Meter groß. Früher hat sie dafür blöde Sprüche kassiert – und darunter gelitten, dass sie anders war als die anderen Mädchen. Im Interview hat die 20 Jahre alte Studentin mir erzählt, wer ihr geholfen hat, sich selbst zu akzeptieren – und von wem sie heute für ihre Größe sogar Komplimente bekommt.
Wann ist Dir zum ersten Mal bewusst geworden, dass Du größer bist als andere Mädchen?
Das war, als ich das erste Mal in einer Großstadt Urlaub gemacht habe. In Berlin, 2019, mit meinen Eltern. Da war ich 16. Als wir da im Reichstag waren, hat mich eine Schülerklasse angesprochen. Sie wollten ein Foto mit mir machen, weil ich so groß war.
Wie war das für Dich?
Im ersten Moment: merkwürdig. Danach ist mir plötzlich aufgefallen, wie oft Leute mich wegen meiner Größe angucken und ansprechen, in der S-Bahn, in der U-Bahn, überall. Und welche Sprüche sie bringen: „Na, Du bist ja auch nicht von kleinen Eltern!“ Vorher war das nie ein Thema gewesen.
Warst Du da noch nicht besonders groß?
Doch, ich war immer schon sehr groß. Die Ärzte haben meinen Eltern schon nach meiner Geburt gesagt: „Das Kind wird mal groß.“ Später haben sie ihnen erzählt, man könnte das Wachstum ein paar Zentimeter bremsen, wenn man früh Hormone gibt. Aber da waren meine Eltern sich sehr schnell einig: „Wir ballern unser Kind garantiert nicht mit Hormonen voll, nur damit es nachher 1,89 wird statt 1,93.“ Dafür bin ich ihnen heute sehr dankbar.
Warum?
Sonst wäre ich nie der Mensch geworden, der ich jetzt bin. Meine Eltern haben wirklich alles richtig gemacht. Meine ganze Familie und auch meine Freunde haben meine Größe nie thematisiert. Für sie war ich einfach so, wie ich halt war. Auch sonst hatte ich bei uns in Lohne nie das Gefühl, dass ich anders bin als die anderen.
Dann kam der Urlaub in Berlin …
… und da haben die Leute mir das offen ins Gesicht gesagt: „Ey, Du bist ja megagroß. Krass!“ Das war schwierig für mich, denn ich war ja voll in der Pubertät. Ich hatte schon genug damit zu tun, dass mein Körper sich total verändert. Ich habe versucht, mich selbst zu akzeptieren – und möglichst so zu sein wie die anderen. Da konnte ich das gar nicht gebrauchen.
Wie ging es nach Berlin weiter?
Ich wurde älter, ich bin mit meinen Freundinnen mehr weggefahren, wir waren häufiger in größeren Städten unterwegs. Da ist mir aufgefallen, wie oft Leute geguckt haben. Irgendwann sagten meine Freundinnen: „Merkst Du eigentlich, dass Du die ganze Zeit angeguckt wirst, vor allem hinterm Rücken?“
Wie ging es Dir damit?
Damals hat mich das ziemlich mitgenommen. Einmal waren wir campen an einem See. Da haben wir Leute kennengelernt, und natürlich haben die all die typischen Sprüche gebracht: „Boah, bist Du groß! Spielst Du Basketball? Wie ist die Luft da oben?“ Abends lag ich im Bett und war echt völlig fertig. Ich konnte einfach nicht mehr und dachte: „Och, Scheiße, warum ist das so?“ Ich wollte doch nur wie alle anderen sein, ich wollte akzeptiert werden und Spaß haben.
Hast Du manchmal auch geweint?
Ab und zu schon, ja. Ich war gar nicht unglücklich über meine Größe. Aber es hat mich traurig gemacht, dass mich Menschen drauf ansprechen.
Wie hast Du dann gelernt, Deine Größe zu akzeptieren?
Meine Freunde und meine Familie haben mir sehr dabei geholfen. Sie haben gesagt: „Du darfst nicht auf die blöden Sprüche hören. Die Leute, die sowas sagen, die kennen Dich doch gar nicht. Wir kennen Dich!“ Wenn es mir schlecht ging, haben sie mich aufgebaut: „Ja, Du bist groß. Na und? Du bist doch Jana. Du bist unsere Jana! Du bist so, wie Du bist. Und Du wirst auch lernen, Dich so zu lieben.“ Das war so schön: zu spüren, dass ich so geliebt werde, wie ich bin. Ich weiß nicht, wie das Thema mich getriggert hätte, wenn ich diesen Rückhalt nicht gehabt hätte.
Wie haben Deine Freundinnen Dir noch geholfen?
Wenn sie mitbekommen haben, dass hinter meinem Rücken Leute blöde Sprüche machen, haben sie denen einfach einen Spruch zurückgegeben. Einmal zum Beispiel bin ich durchs „Volldampf“ gelaufen …
… eine Kneipe hier in Lohne …
… meine zwei Freundinnen waren hinter mir, und irgendwann hab ich gehört, wie sich eine von ihnen umgedreht und zu einem Typen gesagt hat: „Ey, guck Dich mal an und dann guck sie an und dann merk mal, wer von Euch beiden hübscher ist. Ja: nicht Du!“ Es war echt toll, wie die mich beschützt haben.
Was außer blöden Sprüchen hat Dich noch genervt?
Wenn Leute mich nachgeahmt haben. Wenn sie so angekommen sind, sich auf Zehenspitzen gestellt und gesagt haben: „Hö! Jetzt bin ich fast so groß wie Du!“ Das nervt mich heute noch. Ansonsten finde ich es mittlerweile gar nicht mehr schlimm, wenn Leute mich auf meine Größe ansprechen. Wenn jemand sagt „Boah, bist Du groß“, denke ich mir: „Ja, wow, Sherlock, weiß ich auch.“ Und ich lächle es einfach weg. Manche Situationen sind sogar richtig süß.
Welche denn?
Zum Beispiel, wenn ich im Supermarkt ein kleines Kind hinter mir höre: „Mama, guck mal, die Frau da ist richtig groß! Ist die ein Riese?“ Und wenn die Eltern dann sagen: „Nein, Schatz. Es gibt Menschen, die sind groß – und es gibt Menschen, die sind klein. Und das ist halt eine ziemlich große Frau.“ Und wenn das Kind dann sagt: „Woooow!“
Was hat Dir noch geholfen, Dich zu akzeptieren, wie Du bist?
Ich habe einfach probiert, auf meine Familie und Freunde zu hören – und die blöden Sprüche zu überhören und mir zu sagen: Jeder Mensch hat seine Baustellen und seine Probleme. Und wenn jemand einen Spruch bringt über meine Größe, dann macht er das vielleicht nur, um vor seinen Freunden anzugeben. Oder er hat einen schlechten Tag gehabt und will seinen Frust ablassen. Oder er hat selbst Probleme, sich zu akzeptieren, wie er ist – und versucht deswegen, mich runterzuziehen. Aber ich lasse mich nicht runterziehen.
Diese Haltung hilft?
Ja. Mittlerweile sehe ich die Blicke nicht mehr, und ich höre nur die netten Kommentare.
Welche sind das?
Oft sprechen mich wildfremde Menschen an und holen sich Tipps von mir. Sie sagen: „Meine Tochter ist auch so groß, und sie ist am Verzweifeln. Wo findest Du so superlange Hosen? Und woher hast Du die Jacke, die Dir auch an den Ärmeln passt?“ Da helfe ich gern. Manchmal sagen mir auch Eltern: „Meine Tochter ist 1,90, dabei ist sie gerade erst 14.“ Und: „Wir überlegen, was man da machen kann. Was hast Du denn gemacht?“
Was sagst Du dann?
Ich sage: „Macht da gar nichts! Lasst sie so werden, wie sie wird. Versucht einfach, sie gut zu begleiten – und ihr nie das Gefühl zu geben, dass sie anders ist. Dann wird aus ihr ein Mensch, der irgendwann stolz ist auf seine Größe. So wie ich es jetzt bin.“
Du wirkst wirklich glücklich, so wie Du bist.
Bin ich auch. Mittlerweile kommen manchmal sogar Menschen auf mich zu und sagen: „Ich muss Dir mal was sagen: Du bist so groß und so schön! Und Du wirkst richtig selbstbewusst damit. Du bist eine richtig tolle junge Frau.“
Was für ein Kompliment!
Ja, solche Kommentare sind echt super. Die machen all die blöden Sprüche wett.
Vor kurzem hast Du in einem Videoprojekt des Artlab Lohne über Deine Größe gesprochen. Alle, die dabei mitgemacht haben, hatten irgendein Problem – und haben erzählt, wie sie gelernt haben, damit zu leben.
Ja, genau. Das Thema war: „Celebrate yourself“ …
… also: Feiere Dich selbst …
… und als ich am Ende das fertige Video gesehen habe, habe ich gedacht: Das zeigt nochmal toll, dass jeder Mensch hinter seiner Fassade irgendein Problem hat. Dass jeder seine Stärken hat, aber eben auch seine Schwächen. Wir haben total viel positives Feedback darauf bekommen. Mich haben Leute angeschrieben: „Hey, das war super! Megacool!“ Andere haben gesagt: „Das wusste ich gar nicht, dass alle Leute in dem Video so ihr Problem haben! Ich hoffe, Ihr kommt gut damit klar.“
So wie Du halt.
Ja. Ich struggle mit meiner Größe wirklich gar nicht mehr. Vor kurzem war ich mit zwei Studienfreundinnen in Dublin. Wir waren zum ersten Mal zusammen im Urlaub. Irgendwann haben sie gesagt: „Jana, jeder guckt Dich an!“ Und ich so: „Ja, kann sein, müsst Ihr einfach übersehen.“ Und sie so: „Okay. Krass. Cool.“ Abends, im Pub, hat sich plötzlich eine Schlange gebildet von fünf, sechs Leuten, die ein Foto mit mir machen wollten.
Und dann?
Hab ich sie halt ihre Fotos machen lassen. Meine Freundinnen fanden das superamüsant, ich auch. Als wir zurückgegangen sind zum Hostel, meinten die Freundinnen nur: „Jana, wie Du damit klarkommst, das ist Wahnsinn. Richtig cool! Hoffentlich kriegen wir irgendwann auch mal so ein Selbstbewusstsein.“ Wenn mir früher jemand angeboten hätte: 1,75 für 1,93 – hätte ich gesagt: Mache ich, safe. Dann bin ich so wie alle anderen. Dann passe ich mich der Menge an. Aber heute? Niemals! Wenn man mich jetzt vor die Wahl stellen würde, 1,75 oder 1,93, wäre ganz klar: 1,93!
Ja?
Ja. Hundertprozentig.
Warum?
Weil: Sonst wäre ich nicht ich. Meine Größe ist ein Teil von mir. Ich bin so, wie ich bin – und ich bin toll so, wie ich bin. Ich liebe meine Größe. Im vergangenen Jahr habe ich mich sogar mal größer gemacht, als ich bin.
Wo das?
Ich habe bei der Musical-AG des Gymnasiums Lohne mitgemacht, im Highschool-Stück „Bring it on“. Da habe ich La Cienega gespielt, eine Frau, die eine Perücke trägt. Die Perücke sah sehr lustig aus und hat mich nochmal sieben Zentimeter größer gemacht hat. Außerdem habe ich High Heels getragen. So war ich 20, 30 Zentimeter größer als alle anderen.
Ganz schön mutig!
Ja, und früher, mit 16, 17 Jahren, hätte ich mich das auch noch nicht getraut. Ich hätte niemals hohe Schuhe angezogen. Ich hätte mich niemals größer gemacht, als ich bin. Ich hab eher versucht, meine Größe zu verstecken. Aber die Musical-AG hat mir sehr geholfen, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Nach den Aufführungen hab ich oft gesagt bekommen: „Hammer, was Du da ausstrahlst auf der Bühne! Dieses Selbstbewusstsein ist ja krass.“
Das fand ich auch.
Es hat auch total Spaß gemacht, auf der Bühne zu stehen und mich darzustellen. Und als ich da so stand, mit meinen 2,10 Meter, mit High Heels und Perücke, da habe ich gemerkt: Okay, jetzt liebe ich mich wirklich selbst. Und die Größe, die ist ein richtiges Markenzeichen.
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Andreas