Kürzlich bin ich mit Kumpels für ein Wochenende nach Hamburg gefahren. An einem Abend waren wir im Molly Malone, dem coolsten Irish Pub der Stadt. Da gab’s Live-Musik, von Velvet Rush. Wahnsinn, wie die den Laden gerockt haben! Also habe ich Sandra Kraft (34), die Sängerin der Band, gefragt, wie sie das hinkriegt. Sie hat mir erzählt, was so ein Abend auf der Bühne verändert – für das Publikum und für sie selbst.
Wenn Ihr in einer Kneipe wie dem Molly Malone auf die Bühne geht, was nehmt Ihr Euch dann vor?
Wir nehmen uns vor, die Bude zu rocken. Natürlich wollen wir eine professionelle Show abliefern. Aber vor allem wollen wir Spaß haben und unsere Leidenschaft ausleben. Ich glaube, das ist das Wichtigste: Die Leute müssen sehen, dass wir auf der Bühne Spaß haben und dass unsere Show aus tiefstem Herzen kommt.
Wie sind die Leute meistens drauf, wenn Ihr gegen elf, halb zwölf abends anfangt?
Bei unseren letzten Gigs waren die Leute am Anfang noch eher ruhig und verhalten. Aber wir bauen dann meistens schon früh Songs ein, bei denen sie alle den Text kennen und mitsingen können, zum Beispiel „I love Rock’n’Roll“ – um sie aus der Reserve zu locken und schon mal einen kleinen Einblick zu geben, was später noch kommt.
Bei Eurem Auftritt im Molly Malone hat das Locken ziemlich gut funktioniert.
Ja, das fand ich auch. Ich glaube, so ein bisschen liegt das auch am steigenden Alkoholpegel der Leute. Je höher der ist, desto mehr wird eskaliert, besonders auf dem Kiez. Die Leute kommen da halt hin, um Party zu machen. Sie wollen mitklatschen, mitsingen, mitfeiern. Also bauen wir unsere Sets danach. Wir haben zwar auch ein paar herausfordernde, eher unbekannte Songs dabei, um unseren Ansprüchen gerecht zu werden. Aber vor allem spielen wir gerne Songs, die wirklich jeder kennt. Die gehen auf dem Kiez einfach am besten.
Welche Klassiker habt Ihr immer dabei?
Viel von AC/DC. Was auch immer gut geht, ist „Sex on fire“ von Kings of Leon, „Smells like teen spirit“ von Nirvana und „Seven Nation Army“. Dazu, wie gesagt, „I love Rock’n’Roll“. Und Led Zeppelin. Solche Sachen. Wir mögen die 70er-Jahre sehr, unser erstes Set beginnt zum Beispiel mit Thin Lizzy – das ist eine Band, mit der wir uns sehr identifizieren. Aber wir spielen auch Songs wie „Wonderwall“. Oder „Angels“ von Robbie Williams. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich kann den Song nicht mehr hören. Aber die Leute lieben ihn.
Woran merkst Du: Jetzt haben wir sie gekriegt?
Daran, dass alle mitsingen. Und die Hände oben sind. Und sie durchdrehen. Wir haben ja eine fest gebaute Setliste, aber manchmal merke ich: Okay, die Stimmung ist gerade noch eher mau, und wenn ich jetzt den nächsten Song spiele wie geplant, dann kommt das nicht so gut. Denn der ist langsam, der geht nicht so nach vorne. Also switche ich spontan, lasse den Song aus und nehme einen, der die Stimmung richtig anheizt. Weil ich weiß: Wenn ich den jetzt einsetze, dann gehen die richtig mit. Ich hab mittlerweile ein gutes Gespür dafür entwickelt, welche Songabfolge wann passt. Für meine Band ist das manchmal nicht so cool, wenn ich den Plan auf einmal ändere …
… fürs Publikum umso cooler.
Genau. Es kommt immer gut, wenn man auf die Leute eingeht und nicht nur seine Songs runterspielt. Ich mache ja schon ziemlich lange Live-Musik. Anfangs ist mir das nicht so leichtgefallen, aber mittlerweile weiß ich echt ziemlich genau, welcher Song zu welcher Situation passt.
Wie fühlt sich das an, auf der Bühne zu stehen und zu merken: Jetzt rocken wir den Laden?
Für mich gibt es kein besseres Gefühl. Klar, es ist anstrengend, ich singe ja an so einem Abend fast drei Stunden lang, so um die 36 Songs, und das sind wirklich keine Balladen, da kommt ein Brenner nach dem anderen. Aber ich vergesse da alles um mich herum. Ich bin dann wie im Rausch und lebe mich komplett aus. Ich setze all die Energie frei, die ich in mir habe. Ab und zu, wenn ich vor einem Auftritt einen langen Arbeitstag hatte, sage ich mir: „Heute mach ich mal nicht so viel.“ Aber ich kann’s einfach nicht.
Du kannst nur voll Power? Warum?
Weil ich einfach jedes Mal alles rauslassen muss. Das ist pure Leidenschaft – schon immer gewesen. Mein ganzes Leben lang, seit ich auf der Welt bin, wollte ich Sängerin werden. Und wenn ich merke, dass diese Leidenschaft ankommt, spornt mich das noch mehr an. Oft sprechen mich Leute nach einem Gig an und sagen: „Das war megacool.“ Ich frage dann immer, was genau sie so toll finden. Und sie sagen: „Weil man Dir einfach ansieht, dass Du das gerne machst.“
Meine Kumpels und ich waren auch komplett begeistert. Du bist auf die Theke geklettert, ins Publikum gegangen, hast mit dem Mikrofonständer gespielt – das war echt voller Einsatz.
Ich denke gar nicht groß drüber nach, was ich da gerade mache. Ich denke mir nicht: „Ich hüpfe jetzt mal auf den Tresen.“ Sondern das sprudelt einfach so aus mir raus. Es gibt bestimmt auch Sänger, die stellen sich da vorne hin und bewegen sich dann nicht viel. Aber ich kann nicht stillstehen, das haben Du und Deine Freunde ja auch bemerkt …
… ist uns aufgefallen, ja …
… ich habe wirklich sehr viel Energie in mir. Wenn ich Videos von mir sehe, denke ich manchmal: Um Gottes willen, was ist in mich gefahren? Ich glaube, diese Power steckt in meinem Blut. Meine Oma war früher auch eine große Sängerin.
Was hat sie gesungen?
Sie kam aus Rumänien und hat rumänische Volksmusik und klassische Musik gesungen. Ich habe eigentlich auch eine klassische Gesangsausbildung. Denkt man jetzt nicht, wenn man mich so sieht.
Stimmt, wäre an dem Abend nicht mein erster Gedanke gewesen.
Ich glaube, wenn man mit so einer Band wie Velvet Rush auf der Bühne steht, muss man hundert Prozent überzeugt sein von sich selbst und von dem, was man da macht. Man muss an sich glauben, damit man das kann – vor allem als Frontfrau.
An dem Abend hast Du jedenfalls sehr überzeugt gewirkt.
Schön, dass das so rübergekommen ist!
Wenn Du die Leute drei Stunden lang mitgerissen hast, sind die dann anders drauf als vor dem Konzert?
Ja, die Leute sind danach immer sehr begeistert. Viele sagen mir das auch. Letztens kam ein Mann, der meinte: „Ich hatte so einen schlechten Abend, bevor ich Euch gesehen habe. Dann habe ich bei den ersten zwei Songs so gedacht: Die sind gut! Und am Ende: Boah, Ihr habt echt meinen Tag gerettet! Ich hätte echt nicht gedacht, dass ich an diesem Abend noch so eskalieren würde.“ So ein tolles Feedback bedeutet uns viel. Ein Künstler nährt sich ja davon. Manchmal werden wir auch für weitere Auftritte angefragt. Die Leute wollen uns wiedersehen und für ihre eigenen Partys buchen. Es scheint also anzukommen, was wir da machen.
Warum hat Live-Musik so eine Kraft – in einer Zeit, in der man sich auf Spotify jedes Lied jederzeit kostenlos anhören kann?
Weil Live-Musik nicht in irgendeinem Studio zusammengemixt ist, sondern einfach echt und ehrlich. Und weil die Energie, die man live rüberbringen kann, den Unterschied macht. Das merke ich auch, wenn ich selbst mal auf ein Konzert gehe: Es ist was ganz anderes, wenn ein Künstler vor Dir steht und seine Gefühle und seine Empfindungen ans Publikum weitergeben kann, als wenn seine Musik nur aus dem Handy kommt. Das hat eine viel größere Energie.
Wann hast Du angefangen, auf der Bühne zu stehen?
Seit sieben Jahren trete ich mit Bands auf. Als Solokünstlerin habe ich vorher schon auf der Bühne gestanden, auch im Theater und bei Musicals. Aber ich hab schnell gemerkt, dass ich eher so der Live-Musik-Typ bin. Ich bin schauspielerisch ganz gut, ich hab das an der Stage School in Hamburg auch studiert. Aber ich mag es nicht so, in Rollen zu schlüpfen. Dafür muss ich so viel lernen: Woher kommt die Rolle? Was hat sie vorher erlebt? Da bringt mir die Live-Musik mehr Spaß.
Warum?
Weil es bei der Live-Musik einfach nur um mich geht und darum, was ich empfinde. Wenn ich auf der Bühne stehe und singe, kann ich einfach ich selbst sein und muss nicht jemand anderen verkörpern. Und ich bin gerne ich selbst. In meiner Haut fühle ich mich am wohlsten.
Wenn so ein Abend wie im Molly Malone vorbei ist, wie kommst Du dann wieder runter? Trinkt Ihr dann noch was?
Ich trinke danach vielleicht mal ein Bierchen, aber eigentlich sehr selten. Alkohol ist auch nicht gut für die Stimme. Und das Runterkommen? Das dauert auf jeden Fall länger bei mir. Meistens habe ich nach dem Auftritt sehr viel Hunger und muss erst mal was essen – weil ich meine ganze Energie verbraucht habe. Wenn ich dann zu Hause ankomme, springe ich in die Dusche, weil ich ja ziemlich viel geschwitzt habe auf der Bühne. Und dann versuche ich, langsam zur Ruhe zu kommen. Direkt ins Bett kann ich auf jeden Fall meistens nicht.
Wie fühlst Du Dich dann?
Ich fühle mich ausgelaugt. So als ob ich einen Marathon gelaufen wäre – oder ein anderes echt gutes Sportprogramm absolviert hätte. Ich bewege mich ja wirklich sehr viel auf der Bühne, das ist schon nicht ohne. Am nächsten Tag ist meine Haut dann aber immer schön rosig, weil ich beim Auftritt so viel Wasser getrunken habe. An einem Abend hab ich’s tatsächlich mal geschafft, acht Liter zu trinken. Das heißt: Die Live-Musik hält mich auch fit – dadurch, dass ich halt nicht so das typische Sex-Drugs-and-Rock’n-Roll-Leben führe.
Macht die Live-Musik auch ein bisschen süchtig?
Ja, auf jeden Fall. Ich liebe es über alles, auf der Bühne zu stehen und zu singen. Sonst würde ich es auch nicht immer noch machen. Ich bin ja in Vollzeit berufstätig, die Live-Musik läuft nur nebenbei.
Was machst Du beruflich?
Ich arbeite an einer Universität für Künstler in der administrativen Leitung. Im vorletzten Jahr hab ich da außerdem auch ein Programm für Jugendliche auf die Beine gestellt. Da können Schüler von 11 bis 16 Jahren jeden Samstag Tanzen und Schauspiel lernen – so wie ich es früher mal gelernt habe. Und für die Zukunft habe ich noch mehr Pläne.
Erzähl mal!
Mit Velvet Rush stehen jetzt große Schritte bevor. Wir schreiben gerade unsere eigenen Songs, haben schon einige Demos aufgenommen – und bald wollen wir unsere erste eigene EP veröffentlichen. Wir werden auch in Zukunft sicher weiter Coversongs spielen, aber dabei soll es nicht bleiben. Wir wollen auf der Bühne auch unsere eigene Musik an den Mann bringen. Das macht schon noch mal mehr Spaß. Es ist für einen Künstler eine Erfüllung, etwas Eigenes zu hinterlassen. Weil man dann Geschichten erzählt, die einen selbst berühren.
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Andreas