Wisst ihr noch, wie wunderbar sie war, die Fußball-Europameisterschaft? Was kommt euch da als erstes in den Kopf: die spektakulär spielenden Spanier, die herrlich feiernden Holland-Fans, die dramatisch ausgeschiedenen Deutschen? Oder vielleicht: die fantastisch stimmungsvollen Fanmeilen?
Jede und jeder von euch hat sicher ganz persönliche EM-Erinnerungen und Lieblingsmomente, die bleiben. Mir ist vor allem ein Auftritt jenseits des Rasens hängengeblieben: die Rede des deutschen Nationaltrainers Julian Nagelsmann nach dem Viertelfinal-Aus seines Teams.
Er sagte: „Ich wünsche mir für dieses Land, dass wir verstehen, dass es gemeinsam einfach besser geht.“ Gemeinsam etwas zu bewirken, sei „extrem wichtig“. Jeder könne im Kleinen anfangen und etwa dem Nachbarn helfen, wenn was ist: jeder könne andere unterstützen, alle Menschen integrieren und willkommen heißen und ihnen helfen, dass sie sich wohlfühlen.
Alle können anpacken
Nagelsmann merkte an, wir hätten den Drang dazu, vieles negativ zu sehen: „Man kann ja immer Probleme sehen. Und wir haben Probleme im Land. Aber man kann immer auch einfach von Lösungen sprechen.“ Er betonte: „Wenn wir immer nur in Tristesse verfallen und alles ist grau, alles ist schlecht, dann wird sich keiner verbessern, das gilt im Fußball wie in der normalen Gesellschaft.“ Er wünschte sich, „dass wir realisieren, in was für einem wunderschönen Land wir leben. Landschaftlich, kulturell. Aber auch, welche Möglichkeiten wir in dem Land haben, wenn wir zusammenhalten, nicht alles immer extrem schwarzmalen und dem Nachbarn nichts gönnen, vor Neid zerfressen sind.“
Es sei falsch, immer zu meckern und zu sagen: „Alles ist schlecht, alles ist blöd, alles ist traurig, aber ich bin nicht verantwortlich, es ist der andere, der ist schuld, der Politiker kann nichts und der Politiker kann nichts.“ Sondern jeder Mensch sei selbst gefragt: „Wir können alle anpacken, dass es nicht so traurig ist, wie es gerade wirkt. Und nicht alles schwarzgemalt werden muss, wie es schwarzgemalt wird.“
Streitende Ampel
Was für eine Ruckrede! Sie hat auch deshalb so berührt, weil sie sonst schmerzlich fehlt. Bundeskanzler Olaf Scholz schweigt vor sich hin; auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist eher nicht der Typ, der Menschen aufrüttelt und begeistert. Dabei wäre eine motivierende Führungskraft so wichtig in einer Zeit, in der viele verzagen, schlechte Nachrichten dominieren und positives, konstruktives, zupackendes Denken seltener wird.
Das Attentat von Solingen empört und verunsichert viele Menschen. Die Ampelregierung streitet und streitet und streitet (auch wenn sie sich nach dem Attentat endlich mal rasch auf Konsequenzen geeinigt hat). Die AfD hetzt und hetzt und gewinnt bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen heute mutmaßlich furchtbar viele Stimmen. Die immer absurder verspätete Bahn gilt manchen als Symbol für ein Land, das sich im Niedergang befindet. Und die Zahl der schwarzmalenden Miesmacher nimmt zu.
Heißgeliebte Supertruppe
Draußen, das kommt hinzu, wirkt die Welt wie ein Ort des Wahnsinns: Russlands Diktator Wladimir Putin setzt seinen terroristischen Massenmord in der Ukraine hemmungslos fort, im Nahen Osten folgt eine Eskalation der nächsten, und die Auswirkungen der menschengemachten Erderhitzung, all die Dürren und Hitzewellen, Stürme und Überschwemmungen, lassen sich von Monat zu Monat schwerer ignorieren. Wie soll da bloß was besser werden?
Nagelsmann hat eine Antwort gegeben, die ein überzeugender Anfang ist. Was er sagt, klingt so banal – und ist doch so wichtig und wird so oft vergessen. Natürlich haben manche gespottet, das sei ja naives Gutmenschengequatsche, und als Mensch aus einer Millionärsbranche habe er leicht reden. Wahr aber ist: Nagelsmann hat nicht nur gesagt, was Gemeinsinn und konstruktives, lösungsorientiertes Denken verändern können, er hat es mit seiner Mannschaft auch gezeigt.
Vor der Europameisterschaft hat er das Team deutlich verändert: Er hat den Strategen Toni Kroos zur Rückkehr ins Team überredet, er hat eine klare Hierarchie und feste Rollen etabliert und den Spielern Lust auf den Titel gemacht – und ratzfatz hat sich dieses Team von einem unbeliebten bis ignorierten Problemfall zu einer heißgeliebten Supertruppe entwickelt, deren Trikot das halbe Land getragen hat. Dieses Team hat das Gefühl vermittelt: Hier geht was für uns.
Schlechtes kann besser werden
Nagelsmanns Worte und die Auftritte seiner Mannschaft haben auf begeisternde Weise klargemacht, dass etwas Schlechtes immer besser werden kann – wenn viele anpacken, mitmachen und beitragen, was sie können. Und sie haben gezeigt, dass Veränderung meistens im Kleinen beginnt, bei mir selbst.
Jeder Mensch kann selbst überlegen, was er aus Nagelsmanns Worten lernen kann und wie er sich von ihnen verändern lassen will.
Vielleicht lohnt es sich, den Bundestrainer dabei weiter im Blick zu behalten. Bald sind die ersten Länderspiele nach der Europameisterschaft, gegen Ungarn und die Niederlande. Toni Kroos hat seine Karriere beendet, in Manuel Neuer und Ilkay Gündogan sind zwei weitere erfahrene Stammkräfte aus dem Nationalteam zurückgetreten, der fanmeilenfreie Alltag beginnt. Mal sehen, wie Nagelsmann in den Spielen darauf reagiert – und wie er aus dieser Veränderung eine Chance zu machen versucht.
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Andreas