„Für mich fühlt sich das nicht verrückt an“
Warum Marko Schumacher vom Sportjournalisten zum Cafébetreiber wird
Fast sein ganzes Berufsleben lang hat Marko Schumacher als Sportredakteur für die Stuttgarter Zeitung gearbeitet. Er berichtete vor allem über die Fußball-Nationalmannschaft und den VfB Stuttgart. Er war ein erstklassiger Schreiber – und ein sehr sympathischer Kollege. Wir haben einige Welt- und Europameisterschaften zusammen als Reporter erlebt. Und jetzt? Ist er 50, hat seinen Job gekündigt und macht mit seiner Frau Elke ein Café auf. Was ihn zu dieser Veränderung treibt, hat er mir im Interview erzählt.
Du wirst vom Sportredakteur zum Cafébetreiber. Krasse Veränderung. Warum machst Du das?
Zum einen war es schon immer ein Hirngespinst von mir, eines Tages eine eigene Gastronomie aufzumachen. Ich habe früher als Student in der Gastro gearbeitet und hatte großen Spaß dabei. Zum anderen habe ich mehr als 20 Jahre Sportjournalismus gemacht, bin letztes Jahr 50 geworden und habe mich gefragt: War’s das jetzt? Bleibe ich da bis zur Rente sitzen? Oder erfinde ich mich neu und gebe meinem Leben nochmal eine ganz andere Richtung?
Wie schwer ist Dir die Antwort gefallen?
Am Ende war es gar nicht schwer. Weil ich mich wahnsinnig auf das Café freue. Und weil sich, wie Du weißt, die Zeiten im Journalismus doch sehr, sehr geändert haben.
Wie hast du die Veränderungen in der Tageszeitungsbranche erlebt?
Es wird gespart und gekürzt, die Bedingungen werden schlechter – nicht nur bei uns. Früher hat man lange Dienstreisen unternommen und konnte viel Zeit in die Recherche investieren. Heute zählen vor allem Tempo und Klicks. Ich will das gar nicht beklagen. Die Zeiten sind, wie sie sind – meine Kinder lesen auch keine gedruckten Zeitungen mehr. In mir aber ist der Entschluss gereift, diesen Job nicht mehr machen zu wollen.
Kannst Du das konkretisieren?
Wenn ich eine möglichst tiefgehende Analyse schreibe, einen hintergründigen, auch mal längeren Text, dann kriegt der online nur einen Bruchteil der Klicks, die ich erhalte, wenn ich beispielsweise eine Bildergalerie über die Spielerfrauen des VfB Stuttgart mache. Auch deshalb habe ich mich schon seit längerem mit dem Gedanken getragen, mich beruflich zu verändern.
Du gibst aber auch ganz schön viel auf: einen festen Job, einen unbefristeten Vertrag, eine große Sicherheit.
Es hätte tatsächlich sehr viele Gründe gegeben, diesen Schritt nicht zu machen. Und es gab natürlich auch Leute, die die Hände überm Kopf zusammengeschlagen und gesagt haben: „Bist Du verrückt, in diesen Zeiten eine Festanstellung aufzugeben? Wie kannst Du nur? Was ist, wenn Du krank wirst? Gastronomie ist ein schwieriges Umfeld. Und dann noch Corona! Sei doch nicht so verrückt, Du hast vier Kinder!“
Und? Was sagst Du dazu?
Für mich fühlt sich das nicht verrückt an. Natürlich haben meine Frau und ich intensiv überlegt: Sollen wir das wirklich tun? Sollen wir uns in dieses Abenteuer stürzen? Ist das richtig? Am Ende war die Entscheidung klar: Ja, wir machen das. Weil es völlige Sicherheit auch in einer Festanstellung nicht gibt. Weil wir große Lust auf das Café haben. Und weil wir trotz aller Unwägbarkeiten überzeugt sind, dass es auch funktionieren wird.
Garantien habt Ihr aber keine.
Das weiß ich. Aber selbst wenn wir Schiffbruch erleiden mit unserer Unternehmung, schließe ich aus, dass ich danach sagen werde: Warum haben wir das nur gemacht? Auch dann wird das Leben weitergehen. Dann werden wir andere Möglichkeiten finden, für unsere Familie zu sorgen.
Du klingst euphorisch, wenn Du über diese große Veränderung in Deinem Leben sprichst. Worauf genau freust Du Dich?
Ich freue mich auf die Selbstbestimmtheit, auf das eigene kleine Familienunternehmen, sprich: darauf, das zu tun, was ich für richtig halte. Wir können alles selbst entscheiden. Wir können das Unternehmen so gründen und führen, wie wir es wollen. Ich habe keine Chefs mehr und muss keine Konferenzen absitzen.
Weniger Arbeit wird es aber vermutlich nicht …
Ich weiß, dass es sogar wahnsinnig viel Arbeit wird – deutlich mehr, als ich es als Angestellter mit 32 Tagen Urlaub und sonstigen Annehmlichkeiten hatte. Da werde ich nicht zusammenrechnen dürfen, wie hoch mein Stundenlohn ist. Aber ich glaube, dass es etwas ganz anderes ist, wenn man diese Arbeit fürs eigene Unternehmen leistet, wenn man etwas aufbaut.
Wann haben Du und Deine Frau angefangen, über diesen Schritt konkret nachzudenken?
Das war kein langer Prozess. Wir haben die Gastro-Idee nie aktiv verfolgt und nie gesagt: Jetzt wird’s langsam Zeit, ein Café aufzumachen. Wir sind daher auch nie auf die Suche gegangen nach einem passenden Ort – irgendwann sind wir gewissermaßen drüber gestolpert.
Wie denn?
Ich stand irgendwann hier bei uns im Viertel vor einem wunderschönen Laden, aus dem gerade nach vielen Jahrzehnten ein Blumenladen ausgezogen war. Da wurde mir schlagartig klar: Genau das ist es! Eine bessere Gelegenheit wird nicht mehr kommen! Dann musste alles sehr schnell gehen.
Hast Du zwischenzeitlich nie gedacht: Ganz schön mutig, was Du da gerade machst?
Ich empfinde das wirklich nicht so. Ich hatte eine großartige Zeit als Journalist, habe wahnsinnig viel erleben dürfen, tolle Reisen gemacht und spannende Geschichten erzählt. Ich habe beruflich all das erreicht, wovon ich geträumt habe. Und jetzt ist eben Zeit für andere Dinge.
Sportjournalismus war ein Traumjob für Dich?
Absolut, ja. Ich habe diesen Beruf wahnsinnig gern gemacht, mit viel Herzblut, bis zum Schluss, trotz der ganzen Veränderungen. Aber trotzdem war es nicht schwer, damit aufzuhören, weil ich mich so sehr freue auf das, was kommt, und weil sich das alles so anfühlt, als hätte es so kommen müssen. Für mich fühlt sich das an wie der logische nächste Schritt.
Das sagst Du so.
Ja, und es ist auch so. Früher habe ich mir immer gedacht: In meinem nächsten Leben werde ich Koch und mache einen eigenen Laden auf. Und jetzt habe ich das ganz große Glück, dass ich nicht mal neu geboren werden muss dafür. Ich hatte über 20 Jahre lang einen Traumjob – und darf im gleichen Leben sogar noch den nächsten Traum verwirklichen. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.
Du bist in der Branche bekannt und beliebt. Wie sehr wird Dir die Identität fehlen, die Du als Sportjournalist gehabt hast?
Ich behaupte: gar nicht. Es hat natürlich auch meinem Ego geschmeichelt, wenn ich für meine Arbeit Anerkennung erfahren habe und meine Bekanntheit in der Stadt durch die Berichterstattung über den VfB gewachsen ist. Das hat es mir am Ende aber sogar noch einfacher gemacht, diesen Schritt der Veränderung zu gehen. Weil ich wusste: Besser wird’s nicht mehr. Es war der bestmögliche Moment zu sagen: „Danke! War ne großartige Zeit. Aber jetzt gehe ich und mache etwas ganz anderes.“ Ein selbstbestimmter Abschied sozusagen – das fühlt sich sehr gut an.
Euer Café wird Gottlieb heißen.
Genau. Ich finde den Namen sehr schön und sehr passend, denn das Café liegt am Daimlerplatz hier in Cannstatt. In einem historischen Altbau von 1890, wunderschön. Wir wohnen seit 20 Jahren in dem Viertel, wir kennen sehr viele Leute. Wir wissen, was die Leute wollen. Und dass es kein anderes Café dieser Art gibt. Ich glaube, wir müssten sehr viel falsch machen, damit der Laden nicht funktioniert.
Wie wollt Ihr Euer Viertel durch das Café verändern?
Im besten Falle wird das Café die Lebensqualität hier erhöhen. Es soll etwas wie ein Treffpunkt sein, ein zweites Wohnzimmer für das Viertel, wo man hingehen kann mit Freunden oder auch allein, wo man Leute trifft und sich wohlfühlt. Und ich glaube, dass es meiner Frau und mir nicht schwerfallen wird, für eine Atmosphäre zu sorgen, in der das gelingt.
Was macht Dir Hoffnung?
Ich werde jetzt schon, wenn ich mit dem Hund unterwegs bin, regelmäßig von Leuten angesprochen, die ich bisher gar nicht kannte: „Mensch, Ihr seid doch die, die da den Laden aufmachen. Wir freuen uns schon so! Wir werden alle kommen!“ Es haben sich auch schon einige Leute gemeldet, die bei uns arbeiten wollen. Daher glaube ich, dass unser Café wirklich ein kleines bisschen identitätsstiftend sein kann. Es wird das Viertel bereichern.
Und was glaubst Du, wie es Eure Beziehung als Paar verändern wird, wenn Ihr gemeinsam arbeitet und gemeinsam selbständig seid?
Darauf sind wir sehr gespannt. Wir hoffen und glauben, dass das für uns beide ein großer Gewinn ist, ein eigenes Unternehmen aufzubauen, gemeinsam zu führen, voranzubringen und Gastgeber zu sein. Wir wissen aber auch, dass das sehr viel Arbeit bedeutet und dass wir vier Kinder haben, von denen eines erst fünf Jahre alt ist. Es wird eine große Herausforderung, das so hinzukriegen, dass das Familienleben nicht leidet. Das ist das Wichtigste. Denn es geht ja nicht primär darum, dass sich die Eltern um jeden Preis selbst verwirklichen. Sondern darum, dass es den Kindern gut geht.
Was ändert sich vor diesem Hintergrund, wenn Du monatlich nicht mehr eine feste Summe aufs Konto bekommst, sondern erst mal gucken musst, wie’s wird?
Ich habe mich glücklicherweise mit einem goldenen Handschlag aus dem Journalismus verabschiedet. Sprich: Ich habe eine Abfindung bekommen, die den Neuanfang erleichtert. Wir müssen nicht vom ersten Tag an den Umsatz X machen, weil unsere Kinder sonst nicht mehr ins Schullandheim fahren könnten. Wenn wir die Sorge gehabt hätten, dass unser Schritt finanziell ein zu großes Risiko ist, hätten wir’s nicht gemacht. Über allem stand die Frage: Leiden die Kinder darunter, wirtschaftlich und zeitlich?
Diese Frage habt Ihr sicher ernsthaft diskutiert.
Natürlich. Wir haben große Verantwortung und sind da nicht völlig blauäugig rangegangen. Wir haben alles möglichst seriös kalkuliert. Und gehen fest davon aus, dass wir uns finanziell zumindest auf Sicht nicht schlechter stellen als jetzt …
… wo Du festangestellter Sportredakteur bist und Deine Frau festangestellte Krankenschwester …
… natürlich ist das Risiko jetzt höher. Aber es kann auch sein, dass das Café so gut läuft, dass wir künftig mehr Geld haben als jetzt. Das Ziel ist, dass wir uns nicht schlechter stellen. Und dass uns das neue Leben erfüllt.
Was war es für ein Gefühl, als Du in diesem Frühjahr nach all den Jahren den Aufhebungsvertrag bei der Stuttgarter Zeitung unterschrieben hast?
Ein sehr gutes. So, wie es gelaufen ist, habe ich es als großen Glücksfall empfunden.
Der Stellenabbau bei der Zeitung samt Abfindungsprogramm kam gerade richtig für Dich?
Er ist sehr bitter für die ganze Redaktion und für all die Kollegen und sie tun mir total leid. Aber tatsächlich: Für mich persönlich kam diese Sparrunde wie gerufen.
Kannst Du Dir vorstellen, eines Tages wieder Sportjournalist zu sein?
Ich kann mir vorstellen, dass ich eines Tages wieder schreibe. Aber eher zurückgelehnte Texte, Kolumnen oder vielleicht sogar ein Buch. Was ich mir nicht vorstellen kann, ist, dass ich wieder ins Stadion oder an den Trainingsplatz gehe und tagesaktuell berichte. Ich stelle jetzt schon fest, wie froh ich bin, dass mich das Thema Fußball nicht mehr interessieren muss, dass ich nicht mehr ständig Leuten hinterhertelefonieren und Angst haben muss, irgendeine Neuigkeit zu verpassen. Ich bin fünf Schritte zurückgegangen und schaue mir den Zirkus nur noch als interessierter Beobachter an – wenn überhaupt.
Wie wird es Dich persönlich verändern, Café-Chef zu sein statt Sportjournalist?
Ich bin gespannt drauf. Ich war noch nie Chef. Jetzt führe ich Bewerbungsgespräche und habe schon Mitarbeiter eingestellt. Mein Wunsch ist es, dass nicht nur ich, sondern auch alle anderen Spaß haben werden. Ich stelle mir das als eine Art Family-and-Friends-Laden vor, in dem die Leute gerne arbeiten. Klingt wahrscheinlich sehr naiv und viel zu romantisch …
… nein, es klingt toll …
… vielleicht werde ich ja eines Schlechteren belehrt. Ich werde meine Erfahrungen machen, ich werde Fehler machen und Lehrgeld bezahlen. Aber ich bin überzeugt davon, dass ich es am Ende hinkriegen werde. Ich werde meinen Weg schon finden.
Da muss ich ja glatt mal vorbeikommen.
Sehr gern! Wobei ich mittlerweile schon nicht mehr die Sorge habe, dass keiner kommt, wenn wir die Tür aufschließen. Ich habe eher die Sorge, dass am Anfang zu viele kommen.
Ernsthaft?
Zumindest merken wir, dass unser Café schon jetzt einige Aufmerksamkeit erregt hat – hier im Viertel, auf Social Media, im erweiterten Bekanntenkreis. Wenn wir eröffnen, kommen vermutlich nicht nur die Leute aus der Nachbarschaft. Sondern auch einige aus meinem alten Sportjournalisten-Netzwerk – allein aus Neugierde. Sie werden sich sagen: „Der verrückte Schumacher macht jetzt plötzlich Gastro! Das gucken wir uns aber mal an!“ Und dann liegt’s an uns. Wir müssen gut sein – und die Leute werden wiederkommen.
So, liebe Leute: Zwei Bitten habe ich jetzt noch.
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Bis dahin: alles Gute!
Andreas
Viel Erfolg mit dem Café Gottlieb.