„Für Klimaschutz dürfen wir uns alle einsetzen“
Profisportlerin Carlotta Nwajide erzählt, warum sie einen Ruderwald in Kenia unterstützt
Seit Jahren fliegt Carlotta Nwajide mit dem deutschen Ruder-Nationalteam um die Welt, zu Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, Olympischen Spielen. Irgendwann aber hat sie gemerkt, wie sehr sie damit zur Erderhitzung beiträgt und also Teil eines Problems ist. Sie beschloss, Teil der Lösung zu werden – mit einem spannenden Projekt der Bewegung Sports for Future. Im Interview hat die 26 Jahre alte Athletin mir erzählt, was sie damit verändert, im Kleinen und im Großen.
Wie sind Sie auf die Idee für das Projekt Ruderwald gekommen?
Ich habe vor einer Weile ein immer stärkeres Unbehagen gespürt, weil ich als Leistungssportlerin sehr hohe CO2-Emissionen verursache. Im Winter bin ich in Trainingslager nach Portugal oder Spanien geflogen, in der Saison zu Wettkämpfen nach Italien oder Kroatien. Einmal auch in die USA. Und zu Olympia 2021 in Tokio bin ich natürlich auch mit dem Flugzeug gereist. Irgendwann hatte ich das Gefühl: Das, was ich über die Klimakrise weiß und denke, passt überhaupt nicht zu meinem Lebensstil. Ich habe mich gefragt: Muss ich jetzt mit dem Leistungssport aufhören?
Diese Frage war Ihnen ernst?
Ja, absolut. Ich fand es erschreckend, auf was für einem großen Fuß wir hier in Deutschland leben – verglichen mit dem Rest der Welt. Ich habe gedacht: So möchte ich eigentlich nicht leben.
Und dann?
Dann habe ich weitergedacht und festgestellt: Wenn ich jetzt mit dem Leistungssport aufhöre, verändert sich nicht viel. Wenn ich mit dem Nationalteam nicht mehr fliege, dann macht’s halt jemand anders. Und die Strukturen, in denen wir leben, die bleiben ja. Hier in Deutschland können wir heute gar nicht wirklich klimafreundlich leben. Kleidung, Lebensmittel, Strom, Heizung und dazu die ganze öffentliche Infrastruktur – all das erzeugt ja Emissionen. Also habe ich überlegt: Was kann ich dann gegen die Klimakrise tun? Wie könnte ich effektiv etwas verändern?
Welche Antwort haben Sie gefunden?
Fest stand für mich: Ich wollte nicht einfach still bleiben und nichts machen. Ich wollte möglichst vielen Menschen klarmachen, dass die Klimakrise eine reale Bedrohung für uns alle ist – aber dass wir auch etwas dagegen tun können. Also habe ich einen Weg gesucht, um einerseits meine Emissionen auszugleichen und andererseits im Sport auf das Thema Klimakrise aufmerksam zu machen. Ich habe dann Fini Sturm, eine Kollegin aus dem Ruder-Nationalteam, darauf angesprochen. Und über die Bewegung Sports for Future haben wir ein Projekt gefunden, das zu unserer Idee passt.
Ein Wiederaufforstungsprojekt des Chepalungu-Forests in Kenia.
Genau. Mittlerweile haben wir schon 6000 Euro Spenden für dieses Projekt gesammelt – und Sports for Future verdoppelt das nochmal. Wir freuen uns über jeden Euro, denn Projekte wie dieses sind wichtig. Sie helfen, Waldflächen zu erhalten, zu schützen und neu entstehen zu lassen und so Treibhausgase zu binden. Aber es geht uns damit um noch viel mehr.
Worum denn?
Wir wollen das Bewusstsein der Menschen verändern. Unser Projekt soll ein Denkanstoß sein. Als erstes haben wir uns überlegt: Wie können wir die 60 Leute aus dem Ruder-Nationalteam davon überzeugen, in Kenia diesen Ruderwald in ihrem Namen ins Leben zu rufen? Wir haben also eine Präsentation vorbereitet und einen kleinen Vortrag vor allen Sportlerinnen und Sportlern des Nationalteams gehalten. Wir haben ihnen vorgerechnet, dass jede und jeder von uns allein durch Flüge in Trainingslager und zu Wettkämpfen pro Jahr 11 Tonnen CO2 emittiert – deutlich mehr als der deutsche Durchschnitt. Und wir haben ihnen erklärt, wieviel eine Kompensation dieser Emissionen kosten würde. Aber natürlich haben wir dazugesagt: Spenden könnt Ihr nach eigenem Ermessen. Dann haben wir das Projekt beim Verband vorgestellt.
Wie waren die Reaktionen?
Grundsätzlich positiv. Klar, am Anfang dachten einige so: Was wollen die jetzt von uns? Für viele ist das Thema Klimakrise halt noch immer weit weg. Aber wir haben von allen das Okay bekommen, niemand hat es blockiert. Und cool fanden wir, dass einige aus dem Nationalteam meinten: Warum nicht gleich Flüge streichen? Warum nicht mal mit dem Bus in ein Trainingslager fahren, wenn das geht? Das hätten wir gar nicht gedacht, dass wir so weit gehen können.
Und? Sind danach Flüge im Ruder-Nationalteam gestrichen worden?
Nee, noch nicht. So eine Idee dann in die Tat umzusetzen, das ist doch noch mal ein größerer Schritt als eine Spende für ein Aufforstungsprojekt. Da gibt es dann auch Widerstand, weil es eine Einschränkung des Komforts ist. Aber vielleicht kommt das noch. Ich fände es schon mal einen guten Anfang, wenn Inlandsflüge gestrichen würden – und die Trainingslager im Frühjahr öfter in den Norden Europas verlegt würden, wo man mit dem Nachtzug hinkommen könnte.
Sie ahnen, dass Sie allein nicht die Welt retten können, oder?
Natürlich. Unser Projekt ist nur ein kleiner Teil einer großen Lösung. Klar ist: Wir können uns mit einer Spende für so ein Projekt nicht aus der Klimakrise herauskaufen – und diesen Gedanken wollen wir auch gar nicht vermitteln. Solche Projekte sind superwichtig, aber Klimaschutz ist eben viel umfassender und komplexer.
Wie meinen Sie das?
Auch wenn wir für Waldaufforstung spenden und anfangen, individuell ganz klimafreundlich und nachhaltig zu leben, sind da immer noch die großen Kohlekraft- und Gaskonzerne, die weiter gigantische Mengen CO2 emittieren. Sie finden es gut, wenn wir uns privat für den Klimaschutz einschränken und ansonsten aber still sind. Dann können sie weiter viel Geld verdienen – wir kommen der Lösung des Problems aber kein Stück näher. Die Politik dieser Konzerne macht mich wütend.
Was tun?
Wir müssen uns zusammenschließen. Nur wenn ein großer Teil der Bevölkerung für den Klimaschutz auf die Straße geht, wird die Politik die Entscheidungen treffen, die wir brauchen. Nur wenn wir als Zivilgesellschaft Veränderungen immer wieder lautstark einfordern, kommen sie auch. Nur dann wird die Politik nicht mehr nur so ein bisschen Klimaschutz machen, den Ausstieg aus der Kohle versprechen und dann aber allen Ernstes Erdgas als nachhaltig und klimafreundlich einstufen. Nur dann haben wir eine Chance, das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen.
Verzweifeln Sie manchmal, wenn Sie darüber nachdenken, wie bedrohlich die Klimakrise ist?
Absolut, ja. Aber dann sage ich mir: Wir sollten nicht vergessen, dass wir etwas bewegen können. Wir können in der Demokratie, in der wir leben, dafür sorgen, dass politische Entscheidungen verändert werden. Das Beispiel von Fridays for Future zeigt, wie schnell das gehen kann: Die haben vor drei Jahren den ersten weltweiten Klimastreik organisiert. Vorher haben viele gesagt: Die Klimaschützer, das sind so ein paar Ökos, die nicht wissen, was los ist, und die die Eisbären retten wollen.
Und jetzt?
Jetzt haben sich vor der Bundestagswahl im vergangenen Herbst alle demokratischen Parteien zum 1,5-Grad-Ziel bekannt. Ob sie dieses Ziel dann auch einhalten, ist natürlich die nächste Frage. Aber erst einmal mal zeigt das, wie schnell sich der öffentliche Diskurs ändern kann, wenn viele Individuen sich zusammenschließen und für ihre Überzeugung kämpfen.
Wie verbreitet ist diese Überzeugung im Profisport bisher?
Einzelne Athletinnen und Athleten haben ähnliche Projekte gestartet wie wir. Aber insgesamt ist es im Sport beim Thema Klimaschutz noch sehr still.
Woran liegt das?
Ich glaube, das Problem ist, dass viele Athletinnen und Athleten denken: Wenn wir selbst so viel CO2 emittieren und also nicht klimafreundlich leben, dürfen wir uns auch nicht für Klimaschutz einsetzen. Diese Denkweise ist leider auch bei vielen anderen Menschen noch sehr verbreitet.
Wie könnten sie besser denken?
Für Klimaschutz dürfen wir uns alle einsetzen! Das ist unser Recht. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat doch erst im vergangenen Jahr geurteilt, dass unzureichende Klimaschutzgesetze gegen die Freiheitsrechte junger Menschen verstoßen. Um für diese Rechte zu kämpfen, müssen wir nichts geleistet haben. Die stehen uns allen zu. Jede Person, die in den Urlaub fliegt oder Auto fährt, darf sich für Klimagerechtigkeit einsetzen und darf fordern, auch in Zukunft sicher leben zu können. Niemand braucht sich da unbehaglich zu fühlen.
Wobei dieses Unbehagen doch sehr menschlich ist, oder?
Na klar! Ich hatte das ja damals auch, als ich dachte, ich muss mit dem Leistungssport jetzt aufhören.
Wie geht’s Ihrem Gewissen eigentlich heute, wo Sie sich so sehr für den Klimaschutz engagieren, aber eben auch immer noch Leistungssportlerin sind?
Besser. Weil ich halt verstanden habe: Ich kann, wenn ich mit Fridays for Future auf die Straße gehe und mit vielen Menschen über die Klimakrise spreche, was verändern – auch wenn ich weiß, dass ich selbst ein Teil dieser Krise bin.
Im Moment machen Sie ohnehin gerade ein Jahr Ruderpause …
… das heißt, jetzt gerade habe ich dieses Dilemma mit den Flugreisen vom Nationalteam nicht. Mir ist klar, dass ich auch ohne diese Flugreisen immer noch auf extrem großem Fuß lebe – allein, weil ich in einem Land wie Deutschland lebe. Ich verursache immer noch hohe Emissionen. Nur habe ich gemerkt, dass das nicht ausschließlich an mir liegt – sondern auch an den Strukturen, die es hier nun mal gibt.
Was haben Sie in Ihrem Alltag verändert, um klimafreundlicher zu leben?
Ich habe kein Auto. Naja, ich lebe in Berlin, da braucht man auch keins. Und sonst? Ich ernähre mich vegan. Aber leicht ist es nicht, immer klimafreundlich zu leben. Manchmal stehe ich im Supermarkt und frage mich: Ja, welches Gemüse soll ich denn jetzt nehmen? Das, was in Plastik verpackt ist, aber bio und dafür aus Spanien kommt? Oder das regionale, das fünf Euro mehr kostet?
Manchmal sind die Antworten komplizierter, als man im ersten Moment denkt.
Genau. Ich finde, bewusst leben ist schön und gut, und es gibt einem auch ein besseres Gefühl. Es fühlt sich an wie ein kleiner Protest im Alltag. Aber man muss sich das eben auch leisten können. Das ist schon so ein Mittelschichtsding, dass man anfängt, sich bio zu ernähren. Wirkliche Veränderung ist das nicht.
Wie sähe wirkliche Veränderung aus?
Die Politik müsste es allen Leuten so einfach wie möglich machen, klimagerecht zu leben. Wirklich allen, egal aus welcher sozialen Schicht. Es darf doch nicht sein, dass Zugtickets teurer sind als Flugtickets. Das ist ein großes politisches Versagen. Wer fährt denn freiwillig mit dem Zug, wenn’s teurer ist, länger dauert und auch noch umständlicher ist als das Fliegen? Das können sich doch viele gar nicht leisten. Und, ganz ehrlich: Wenn Menschen an der Armutsgrenze leben, dann haben sie häufig andere Probleme, als sich damit zu beschäftigen, dass wir in einer Klimakrise sind. Für sie ist häufig der Alltag schon Krise, und sie überlegen: Wie kann ich die Schulbücher für meine Kinder bezahlen? Wie kann ich bis zum Monatsende durchkommen? Das wird in der Debatte häufig übersehen.
Die Lage ist also kompliziert, und die Veränderungen, die wir politisch brauchen, sind groß.
Ja, ich glaube, wir müssen unser Zusammenleben ganz neu denken. Aber ich bin überzeugt davon, dass das funktionieren kann. Gesellschaften haben sich schließlich schon immer verändert. Der massive Verbrauch fossiler Brennstoffe zum Beispiel hat ja erst mit der Industrialisierung begonnen. Davor war was Anderes und danach wird auch was Anderes kommen. Das, finde ich, ist hilfreich zu sehen. Und es gibt mir Hoffnung, dass wir was verändern können.
Sie sehen die gewaltigen Veränderungen, die der Klimaschutz mit sich bringt, als Chance?
Auf jeden Fall. Umfassende Veränderungen werden früher oder später sowieso kommen – entweder durch den Klimaschutz oder eben durch die Klimakrise. Dabei werden die Veränderungen durch die Klimakrise aber um einiges unangenehmer. Diese Krise wird viele Menschenleben kosten, wenn wir nicht handeln. Dagegen sichert Klimaschutz einfach unsere Lebensgrundlagen.
Seit Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine wird mehr Menschen klar, dass der Ausbau erneuerbarer Energien nicht nur gut fürs Klima ist, sondern auch für unsere Freiheit.
Das stimmt. Putins wahnsinniger Angriffskrieg zeigt: Erneuerbare Energien helfen nicht nur gegen die Erderhitzung, sie machen uns auch unabhängig vom Gas und Öl von Autokraten wie ihm und finanzieren nicht noch gleichzeitig seine Kriegsverbrechen mit. Damit bieten erneuerbare Energien eben auch enormes Potential für mehr Sicherheit in Gesellschaften. Ich würde mir wünschen, dass viele Menschen bald nicht mehr fragen: Was verlieren wir durch den Klimaschutz? Sondern: Was gewinnen wir eigentlich dadurch?
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Bis dahin: alles Gute!
Andreas