„Ein gigantischer Hebel“
Stefan Wagner erzählt, wie der Sport den Klimaschutz voranbringen kann
Im Jahr 2019 hat Stefan Wagner mit mehreren Partnerinnen und Partnern die Initiative Sports for Future gegründet. Auch beruflich engagiert er sich für den Klimaschutz, unter anderem als Verantwortlicher für die Unternehmensentwicklung beim Fußball-Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim. Im Interview hat er mir erzählt, wie der Sport zum Treiber für Veränderung im Kampf gegen die Erderhitzung werden kann – und wer jetzt schon vorbildlich vorangeht.
Warum habt Ihr Sports for Future gegründet?
Wir haben ja schon ewig viel mit Sport zu tun und seit langem auch mit Klimaschutz. Dann hat sich Fridays for Future gegründet, und bald gab es alles: Churches, Scientists und sogar Omas for Future – aber eben nicht den Sport. Das fanden wir absurd, weil wir wussten: Der Sport könnte beim Klimaschutz eine so große Rolle spielen. Aber er spielt sie bisher nicht.
Welche Rolle könnte er denn spielen?
Er kann Vorbild sein für den gesellschaftlichen Wandel, den wir zwingend brauchen. Und er ist erst mal unverdächtig. Dem Sport wird keine politische Agenda unterstellt. Er verbindet Menschen unterschiedlichster politischer Meinung und sozialer Prägung. In dieser Rolle ist er extrem wichtig. Wenn der Sport den Klimaschutz nicht nur als lästige Pflichterfüllung begreift, sondern als Chance, dann kann er zum Treiber werden.
Wie realistisch ist das?
Da ist schon vieles in Bewegung. Kürzlich haben 150 Wintersportlerinnen und -sportler um die US-Skirennläuferin Mikaela Shiffrin einen offenen Brief an den Ski-Weltverband geschrieben und gefordert, dass er deutlich mehr für den Klimaschutz macht als bisher – und transparenter aufzeigt, wie er seine Klimaschutzziele erreichen will. In dem Brief heißt es: „Unser Sport ist existenziell und akut bedroht.“
Wenn immer weniger Schnee fällt, wird’s eng für die Wintersportler.
Natürlich ist der Wintersport plakativer von der Klimakrise betroffen als andere Sportarten, aber er hat das Problem ja nicht exklusiv. Man merkt an vielen Stellen, dass es völlig ausgeschlossen ist, sich dem Thema auf längere Sicht zu entziehen. Die Wintersportlerinnen und -sportler fordern in ihrem Brief, der Weltverband solle sich zum Ziel bekennen, bis 2035 mit allen Aktivitäten und Events klimaneutral zu werden.
Wie soll das gehen – wenn die Wettbewerbe überall auf der Welt stattfinden?
Da hat es der Wintersport genauso schwer wie jedes andere große Sportevent. Klar ist: Ohne eine Verkehrswende und ohne die Möglichkeit klimaneutralen Fliegens wird ein klimaneutrales Event schwer zu erreichen sein – weil allein schon die Anreise enorme Mengen CO2 erzeugt. Dieses Ziel setzt also voraus, dass es einen gesellschaftlichen Fortschritt gibt – und dass ein Sportveranstalter diesen voll ausnutzt und jegliche vermeidbaren Emissionen auch wirklich vermeidet.
Was könnte der Wintersport konkret ändern?
Er kann erneuerbare Energien nutzen. Er kann aufhören, mit sehr viel Energieaufwand Kunstschnee irgendwo hinzubringen – oder gar Rennen in Regionen zu veranstalten, in denen es gar keinen Schnee gibt. Wichtig wäre auch ein Mobilitätskonzept, bei dem die Leute nicht mehr mit Autos an die Rennstrecke kommen, sondern zum Beispiel mit E-Shuttlebussen. Und er sollte bei allen Produkten, die zu der Veranstaltung dazugehören, darauf achten, dass die Lieferketten möglichst CO2-neutral sind – vom Catering bis zum Material, das die Sportlerinnen und Sportler benutzen.
Klingt nach ambitionierter Detailarbeit.
Ja, aber der Internationale Biathlon-Verband ist da zum Beispiel schon sehr aktiv. Er hat sich dem Race to zero angeschlossen, der Kampagne des UN-Klimasekretariats – und sich dadurch zu netto null Emissionen bis 2040 und zu minus 50 Prozent bis 2030 bekannt. Und der Verband hat seine Weltcups und Weltmeisterschaften verpflichtet, diesen Weg mitzugehen. Das ist ein mächtiger Schritt.
Welche Sportler und Verbände gehen sonst schon vorbildlich voran?
Sehr vorbildlich ist die deutsche Hockey-Nationalmannschaft der Frauen. Sie hat für den CO2-Fußabdruck, den sie durch ihre Reisen hinterlässt, ein eigenes Projekt ins Leben gerufen: den Hockeywald. Mit dem Projekt werden in Südafrika Bäume gepflanzt, die CO2 binden. Zusätzlich sind die Hockeyspielerinnen auf ihren Weltverband zugegangen und haben für eine Veränderung des Wettkampfkalenders gesorgt – damit Teams nicht mehr nach Australien fliegen, dort spielen, dann zurück nach Deutschland fliegen und dann weiter nach Brasilien reisen. Ich finde es bemerkenswert, was eine einzelne Mannschaft mit ihrer Initiative bewegen kann.
Wer geht noch so voran?
Die Badminton-Nationalspielerin Miranda Wilson, die auch im Sports-for-Future-Netzwerk aktiv ist, hat mit der Badminton-Nationalmannschaft das Projekt Badminton Earth ins Leben gerufen, mit dem sie Aufforstungs- und Solarprojekte in der Demokratischen Republik Kongo unterstützt. Und sie hat dem Deutschen Badminton-Verband gesagt: „Wir müssen beim Klimaschutz aktiver werden.“ Jetzt ist sie mit ihrem Partner Kai Schäfer die Klimabeauftragte des Verbandes. Auch das Segel-Team Malizia von Boris Herrmann ist im Klimaschutz ein bärenstarker Akteur. Es gibt eine ganze Reihe von Sportlerinnen und Sportlern, die das Thema ernstnehmen und vorantreiben. Andere lassen sich aber noch Zeit.
Wer zum Beispiel?
Zum Beispiel die Formel 1. Sie hat das Thema durchaus erkannt, und Sebastian Vettel hat sich ja schon sehr klar zur Klimakrise positioniert.
Er hat mehrmals betont, wie dramatisch sie ist – und wie dringend notwendig es ist, dass wir sie endlich entschlossen bekämpfen.
Ja, aber wenn ich höre, dass in der Formel 1 PR-Flieger erst mal zwei Stunden kreisen, um dann zu einem exakt definierten Zeitpunkt vor dem Rennen einmal über die Strecke zu fliegen, dann sind die Verantwortlichen in diesem Sport wohl noch nicht ganz so weit.
Schade, oder?
Ja, denn natürlich könnte die Formel 1 Pionierarbeit für den Klimaschutz leisten – etwa wenn sie ein Treiber bei der Entwicklung CO2-neutraler Antriebsstoffe wäre und helfen würde, sie marktfähig für den Massenmarkt zu machen. Das ist zwar weniger interessant für den Individualverkehr, da die Elektromobilität deutlich effizienter ist, aber sehr interessant etwa für den Schwerlastverkehr. Damit hätte die Formel 1 einen Riesenwert für die Transformation unserer Gesellschaft.
Kürzlich habe ich von der 16-jährigen britischen Läuferin Innes FitzGerald gelesen. Sie verzichtet auf die Teilnahme an den Weltmeisterschaften im Crosslauf in Australien, weil sie den CO2-Fußabdruck durch den Flug dorthin nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren kann. Was bringt so eine Initiative?
Als Zeichen finde ich das überragend. Aber letztlich ist es nicht die Lösung. Wenn wir in einer globalisierten Welt Sport ausüben, miteinander Handel treiben und in Kontakt bleiben wollen, dann wird das Reisen dazugehören – auch künftig. Die Frage wird sein: Wie organisieren wir es klimaneutral? Die Lösung kann nicht sein, Sport-Großveranstaltungen abzuschaffen und uns den CO2-Fußabdruck wegzudenken, der damit verbunden gewesen wäre – und zu glauben, das wäre ein Beitrag zu einer Lösung. Denn dann würden die Leute statt zum Sport in ihrer Freizeit halt in einen Vergnügungspark fahren oder eine Kreuzfahrt machen und dort CO2-Emissionen verursachen.
Was wäre stattdessen die Lösung?
Wir müssen die Veranstaltungen, die da sind, smarter, effizienter und schöner gestalten – und eben CO2-neutral oder sogar klimapositiv.
Wie könnte das gehen?
Zum Beispiel beim Thema Verkehr. Die meisten Stadien liegen ja relativ verkehrsgünstig an irgendwelchen Autobahnen. Und wir sind es gewohnt, mit unserem Auto dahinzufahren. Wir bräuchten einen besseren öffentlichen Nahverkehr, damit es für die Leute attraktiv wird, anders anzureisen. Und wir könnten den Raum um die Sportstätte so gestalten, dass Parkplätze wegfallen – und dass das nicht als negativ empfunden wird, sondern als positiv. Weil die Fläche, die da entsteht, so cool ist, dass man denkt: Wie konnten hier mal Parkplätze sein?
Was könnte dort sein?
Grünflächen, Bänke, Live-Musik. Ein Ort, an dem Menschen gern sein mögen. Den sie so toll finden, dass sie sagen: Da komme ich ja viel lieber mit dem Zug und Shuttle-Bus oder mit dem Fahrrad als mit dem Auto. Sie müssen die Veränderung als Gewinn empfinden – nicht als Verzicht, der ihnen aufgezwungen wird. Der Sport hat durch seine Finanzstärke alle Möglichkeiten, kreative, supersmarte Angebote zu machen, die viel besser sind als das, was man sich heute vorstellen kann. Der Sport kann die Leute begeistern für die Veränderung, die wir brauchen – und dabei sogar Partner einbinden und am Ende auch wirtschaftlich profitieren.
Du bist bei der TSG 1899 Hoffenheim für Nachhaltigkeitsstrategien zuständig. Wie weit seid Ihr auf dem Weg zum Klimaschutz?
Wie sind schon ziemlich weit, aber natürlich längst noch nicht am Ziel. Für das Verkehrskonzept haben wir auch noch keine fertigen Lösungen in der Tasche. Aber die Grundüberlegung ist schon mal klar: Eine Entwicklung des Klubs allein um seiner selbst willen kann es für uns nicht mehr geben. Sondern wir wollen eine Entwicklung, die immer auch an einen gesellschaftlichen Nutzen gekoppelt ist.
Was heißt das konkret?
Wir wollen unser Stadion zur ersten zertifizierten Zero-Waste-Arena in Deutschland machen. Das heißt: Die 68 bis 100 Tonnen Abfall, die pro Jahr bei den TSG-Heimspielen entstehen, sollen künftig möglichst vermieden oder getrennt gesammelt, sortiert und dem Wertstoff-Recycling zugeführt werden. Außerdem haben wir beispielsweise internationale Kooperationen gebildet, die derartige Themen in den Blick nehmen. Und wir haben uns dem Race to Zero angeschlossen – dem sehr ambitionierten Reduktionziel der UN-Initiative. Auf der Klimakonferenz im vergangenen November in Sharm el Sheik haben wir das verkündet.
Welche Schritte habt Ihr schon auf dem Weg zur CO2-Reduktion gemacht?
Wir haben am Stadion eine Photovoltaik-Anlage von 10.000 Quadratmetern gebaut und am Trainingszentrum eine von 2500 Quadratmetern. So produzieren wir insgesamt etwa 1,3 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr selbst. Im Stadion haben wir statt einer Gasheizung eine Pelletsheizung. Jetzt sind wir gerade dabei, unseren CO2-Fußabdruck noch mal völlig neu zu messen, inklusive Lieferketten und Investitionsgütern. Auf dieser Basis gehen wir dann die nächsten Schritte.
Was ist mit den nicht vermeidbaren Emissionen, etwa durch Flüge zu Auswärtsspielen und in Trainingslager?
Die kompensieren wir über Projekte im Globalen Süden. Aktuell unterstützen wir ein Projekt in Kenia, das Kochen energieeffizienter macht und so dort die Menge CO2 einspart, die wir hier produziert haben. Pro Saison sind das etwa 3000 Tonnen. Ich war kürzlich dort und auch bei anderen von Sports for Future unterstützten Projekten in Tansania und Uganda. Da ist mir klargeworden, dass die Wirkung der Projekte für die Menschen weit über die für uns wichtige CO2-Reduktion hinausgeht. Denn diese Menschen haben am wenigsten zur Klimakrise beigetragen, leiden aber bereits heute erheblich unter den Folgen. Daher muss es das klare Ziel sein, unsere CO2-Emissionen weiter massiv zu reduzieren.
Inwieweit finden Eure Anstrengungen in der Bundesliga Nachahmer?
Beim Race to zero war der VfL Wolfsburg sogar deutlich eher dabei als wir. Wer beim VfL ein Merchandising-Produkt kauft, dem wird der CO2-Fußabdruck dieses Produkts angezeigt und er oder sie kann ihn direkt kompensieren.
Eine spannende Idee.
Ja, und auch andere Vereine sind schon aktiv. Werder Bremen ist kurz vor uns dem Race to zero beigetreten. Mainz 05 ist der erste Klub gewesen, der sich durch CO2-Kompensation klimaneutral gestellt hat. Der SC Freiburg hat beim Stadionneubau klimafreundlich geplant. Der FC Augsburg hat eine große Photovoltaik-Anlage. Es gibt an vielen Orten gute Ansätze – aber noch nicht in der Breite und mit dem hohen Ambitionsniveau, das man bräuchte.
Der Fußball ist in Deutschland, wenn es um ein Vorbild für massenhafte Veränderungen geht, der Schlüsselsport, oder?
Genau. Der Fußball wird besonders stark von der Gesellschaft getragen. Deshalb ist der Fußball auch in einer besonderen Verantwortung. Er kann beim Klimaschutz vieles in Bewegung bringen. Er wird auch immer häufiger angefragt, von Medien, von Fans, von Partnern und Sponsoren: Wie schaut’s denn aus bei Euch mit dem Klimaschutz? Aber auch in anderen Sportarten kommt gerade ziemlich viel Dynamik in das Thema.
In welchen denn?
Die Basketball-Bundesliga hat ein eigenes Nachhaltigkeitskonzept vorgestellt, die Füchse Berlin im Handball haben eine echt starke Initiative gestartet. Und in der Deutschen Eishockey-Liga tut sich auch eine Menge.
Im Eishockey müssen auch im Sommer bei 40 Grad Hallen mit enormem Energieaufwand runtergekühlt werden. Da ist die Kompensation der CO2-Emissionen vermutlich die einzige Lösung, oder?
Die erste Frage ist natürlich: Welche Art von Energie fließt da rein? Ansonsten: Ja, wenn man im Sommer bei 40 Grad Eis in einer Halle produziert, ist das natürlich in der Klimakrise sehr plakativ widersprüchlich. Ich will das auch nicht wegdiskutieren, aber im Vergleich zu den Emissionen, die die Reisetätigkeit oder die Rasenheizung im Winter beim Fußball verursacht, ist der Fußabdruck im Eishockey wahrscheinlich gar nicht so erheblich. Trotzdem muss jede Sportart natürlich anerkennen, wo sie im Klimaschutz eine Achillesferse hat – und daran arbeiten.
Dieser konstruktive Ansatz ist für Dich entscheidend, oder?
Auf jeden Fall, ja. Ich glaube, dass es nicht das Richtige ist, auf das Eishockey, den Wintersport, die Formel 1 oder den Fußball zu zeigen und zu sagen: Was ihr da macht, ist ganz schlimm – und jetzt habt Ihr den Schwarzen Peter. Besser wäre es zu sagen: Lasst uns den Sport nutzen und hinschauen. Wo liegen Lösungen für die Probleme, die wir da sehen? Wie können wir den Sport neu denken als Vorbild für Transformation?
Ihr begleitet den Sport bei dieser Veränderung. Geht sie Dir schnell genug?
Vielleicht sind wir bisher noch etwas zu lieb. Wir im Sport sagen – wie so viele in der Gesellschaft – zu oft: Ja, wir haben uns doch jetzt auf den Weg gemacht.
Stimmt doch auch.
Ja, aber wenn wir einen Marathon laufen müssen, dann bringen uns Trippelschritte nicht weiter. Wir müssen noch stärker ein Gefühl dafür schaffen, wie weit das Ziel entfernt ist – und was notwendig ist, um dahinkommen. Natürlich schafft es niemand, einen Marathon durchzusprinten, aber wir müssen jetzt echt mit Tempo losrennen und nicht an der ersten Verpflegungsstation ein Schwätzchen halten. Wir müssen beim Klimaschutz deutlich mehr Geschwindigkeit aufnehmen und ihn priorisieren.
Und um mehr Ehrgeiz im Klimaschutz vorzuleben, wäre der Sport mit seinem Leistungsgedanken ideal, oder?
Ja, das Thema Klimaschutz passt perfekt zur DNA des Sports. Ich glaube: Der Sport kann ein gigantischer Hebel für den Klimaschutz sein. Wenn wir es schaffen, alle Akteure im Sport mitzunehmen, die großen Vereine und auch die kleinen um die Ecke, dann kann das viel verändern. Dazu können wir etwas beitragen. Das ist mein Antrieb.
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Bis zum nächsten Mal: alles Gute!
Andreas
„Ein gigantischer Hebel“
Congratulations, There is a great article, and the programs presented for the environment and the saving of the Earth are essential and necessary for all people in the world, governments, and especially heroic athletes around the world.
Thanks
Yusef Abedi
linkedin : Yusef Abedi