In den vergangenen Tagen und Wochen ist so viel über die „Letzte Generation“ geredet und geschrieben worden, dass man den Eindruck gewinnen konnte: Ihre Aktionen sind gerade das wichtigste Thema auf der Welt. Einige der absurdesten Wortbeiträge kamen aus der Politik. Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) sagte allen Ernstes, er halte es „unter Umständen“ für möglich, die Klimaaktivisten als Terroristen zu bestrafen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte, die Entstehung einer „Klima-RAF“ müsse verhindert werden.
So viel Aufregung tut dem Blutdruck der Herren bestimmt nicht gut. Spannender als emotional verspannte und inhaltlich überzogene Diskussionen über Sinn und Unsinn der Aktionen ist es ohnehin, einen Schritt zurückzutreten, sich das Theater mit etwas mehr Abstand anzuschauen und zu fragen: Was passiert da eigentlich gerade? Was verändern die Aktionen – und was nicht?
Das erklärte Ziel der „Letzten Generation“ ist, die Öffentlichkeit zu stören und zu irritieren und damit klarzumachen: Stopp! So geht es nicht weiter! Die Aktivisten wollen also Aufmerksamkeit erregen. Das ist ihnen zuletzt gelungen. Die Medien haben ausführlich berichtet. Darüber, wie sie in Potsdam ein Gemälde von Claude Monet mit Kartoffelbrei beworfen haben; wie sie in Berlin die Zentralen der Ampelparteien SPD, FDP und Grüne mit oranger Farbe beschmiert haben; wie sie mit einer Straßenblockade angeblich mitschuldig daran sein sollten, dass Rettungskräfte nach einem Unfall in Berlin nicht rechtzeitig zu einer schwer verletzten Radfahrerin kommen konnten (was sich später als falsch herausstellte).
Gegner statt Verbündeten
Die Aktivisten haben also die Berichterstattung der Medien verändert – und die öffentlichen Diskussionen gleich mit. In jedem Kartenclub, an jedem Fußballplatz, in jeder Dorfkneipe sind sie plötzlich Thema. Und jeder hat eine Meinung. Das Problem ist nur: Es wird fast immer über die Form ihrer Proteste geredet und fast nie über den Inhalt.
Die Aktivisten geben Politikern, die den überlebensnotwendigen Klimaschutz schon immer gern verhindert oder verzögert oder als links-grünen Luxusquatsch verleumdet haben, eine 1a-Gelegenheit, den Law-and-Order-Sheriff zu spielen, von ihrem eigenen Versagen in der Klimapolitik abzulenken – und sich weiterhin nicht zu bewegen. Kein einziges neues Klimaschutzgesetz ist durch die jüngsten Aktionen wahrscheinlicher geworden, kein Windpark geplant, keine Photovoltaik-Offensive angedacht.
Verharren im Gewohnten
Auch bei Bürgerinnen und Bürgern haben die Aktivisten nichts Zielführendes erreicht. Sie schaffen sich, anders als Fridays for Future, keine Verbündeten, sondern Gegner. Sie erzeugen keine positive, sondern negative Energie. Fridays for Future hat Unterstützer aus vielen gesellschaftlichen Milieus gefunden: Parents for Future, Scientists for Future, Sports for Future, Christians for Future – um nur einige zu nennen. Sie haben, bis Corona sie bremste, massenhaft Menschen auf die Straße gebracht, und das war wichtig. Denn nur massiver öffentlicher Druck kann die Politik in Richtung Energiewende antreiben – weil sie fürchten muss, abgewählt zu werden, wenn sie nicht reagiert.
Die „Letzte Generation“ aber bringt keine Massen in Bewegung. Im Gegenteil: Ihre Aktionen führen dazu, dass Politiker wie Bürgerinnen erst recht in ihren gewohnten Denkmustern und Überzeugungen verharren. Nach Kartoffelbreiwürfen, Straßenblockaden oder Farbsprühereien ändert halt niemand gern sein Leben. Der rasend schnelle Wandel, den wir auf allen Ebenen bräuchten, um die Erderhitzung zu bremsen, wird dadurch nur unwahrscheinlicher.
Was wäre konstruktiv?
Es ist also leicht, die Aktionen der „Letzten Generation“ doof zu finden. Interessanter als übermäßige Erregung aber könnte sein, noch einmal die Perspektive zu ändern und zu fragen: Warum lassen wir uns von diesen Aktionen überhaupt so stören? Was pieksen sie in uns an? Ahnen wir, dass der Name der Gruppe gar nicht vermessen ist, weil wir tatsächlich die letzte Generation sind, die einen Kollaps des Klimas und damit den Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation noch verhindern kann? Erinnern sie uns daran, dass wir selbst für den Klimaschutz weit weniger tun, als wir könnten? Würden wir nur einfach gern unsere Ruhe haben, weil der Alltag in einer Welt voller Krisen schon belastend genug ist?
Klar, die jüngsten Aktionen waren destruktiv. Aber zwei letzte Fragen sind damit noch ungeklärt. Was wäre denn ein konstruktiver, zielführender Weg, um heute für den Klimaschutz zu kämpfen – so radikal, wie die Dramatik der Lage es erfordert? Und: Wie könnten wir alle zur Ersten Generation werden – zur ersten, die die Rettung der Welt vor dem klimatischen Abgrund wirklich ernstnimmt?
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Andreas