Ich muss Euch was beichten: Im Frühjahr dieses Jahres war ich ein bisschen gaga. Aber wirklich nur ein klitzekleines bisschen. Muss an der ewigen Corona-Zeit gelegen haben, an allem, was damals nicht ging. Und an der Chance, plötzlich doch wieder was bewegen zu können. Ein Fahrrad.
Der Landkreis Vechta, in dem ich wohne, hat 2021 zum ersten Mal am Stadtradeln teilgenommen. Die Idee dabei ist: Möglichst viele Menschen einer Stadt melden sich an, radeln möglichst viele Kilometer und kämpfen um Platz eins – in ihrem Team, in der Stadt, im Kreis, in Deutschland.
Nun hatte meine Schwägerin die fatale Idee, unsere komplette Familie anzumelden. Sie ahnte nicht, dass ich daraufhin alle im Team, die Großen wie die Kleinen, so penetrant aufs Rad peitschen würde, bis wir nach drei Wochen 3409 Kilometer zusammengeradelt hatten. Mit 14 Leuten. Darunter eine Oma, ein Opa, drei Kleinkinder. In der Teamwertung des Landkreises schafften wir es damit auf Platz 61 (wohlgemerkt: souverän vor der Senioren-Union der CDU, der Musikkapelle Brockdorf und dem Finanzamt).
Überfordert vom eigenen Tempo
Dass ich nicht allen 60 Teams vor uns persönlich gratulieren mochte, lag weniger an dem neu entdeckten, leicht ungesunden sportlichen Überehrgeiz. Mehr daran, dass viele, sehr viele der Konkurrenten – im Gegensatz zu uns – nicht selbst fuhren. Sondern sich fahren ließen. Von ihrem E-Bike.
Die E-Bikes haben sich bei uns in der Region zu einer fast biblischen Plage entwickelt. Sie sind überall, sie werden immer mehr, und sie fallen bevorzugt in heuschreckenartigen Schwärmen über die örtlichen Radwege her. Klassische E-Biker, so lästern wir Selbsttreter gern, zeichnen sich typischerweise dadurch aus, dass sie auch bei 20 Grad Pullover und Jacke tragen, trotzdem nicht schwitzen, die Beine in Zeitlupe bewegen, tiefenentspannt plaudern, perfekt geschminkt und frisiert sind und gern mit einem triumphalen Guck-mal-wie-schnell-ich-bin-Grinsen um die Ecke gerast kommen, so überfordert vom eigenen Tempo, dass der Gegenverkehr sich im Zweifelsfall in den Straßengraben retten muss.
Und diese Dinger soll ich jetzt zu mögen beginnen? Womöglich: ja.
Neue Wege sind spannend
Denn klar ist: Wenn wir eine Eskalation der Klimakrise verhindern wollen, müssen wir unsere Welt radikal verändern. Nicht irgendwann, sondern jetzt; sonst ist es zu spät. Das heißt: Auch unsere Mobilität muss anders werden. Alles, was wegführt vom Autofahren, ist gut. Alles, was ökologischere Wege aufzeigt, ist spannend. Alles, was neu denken hilft, ist eine Chance.
Und das E-Bike hilft definitiv, neu zu denken – so sehr es den stromlos strampelnden Fahrer auch nervt. Es eröffnet neue Möglichkeiten; lässt Menschen Strecken schaffen, die sie sonst nicht mal versuchen würden; hilft Senioren, sich noch mal jung zu fühlen; schenkt Zeit in der Natur. Und zeigt vor allem, dass ein Rad cooler sein kann als ein Auto. Und dass das Auto, das viele vorher für so unersetzlich hielten, vielleicht doch bequem ersetzt werden kann: auf dem Weg zum Briefkasten, zum Bäcker, vielleicht sogar für die zehn Kilometer zur Arbeit.
Das E-Bike nehmen statt des Autos, das ist ein schönes, kleines, ganz konkretes Beispiel, wie jeder Mensch beim Klimaschutz mitmachen kann – und von der Veränderung seines Verhaltens sogar noch profitiert. Weil’s natürlich billiger ist, in jeder Hinsicht.
Wo Autos verbannt werden
Und wenn viele stromgetrieben radeln, treiben sie einen Trend: Plötzlich gibt es eine Menge Menschen, denen intakte Radwege wichtig sind – und die neue Parkhäuser eher gaga finden; die sich mehr Ladesäulen für ihre Räder wünschen; die für Innenstädte sind, in denen Radfahrer Vorfahrt haben vor Autos; die irgendwann vielleicht sogar dafür kämpfen, dass Autos aus dem Zentrum oder aus einzelnen Vierteln komplett verbannt werden, wie etwa in Kopenhagen oder Madrid.
Natürlich ist vieles kompliziert in dieser Zeit, in der sich unsere Mobilität verändert – und längst noch nicht alles perfekt. Auf Radwegen wird’s gefährlicher durch die schnellen E-Biker. Und dann stehen an jeder zweiten Straßenecke ja auch noch diese E-Scooter rum. Noch so neumodische Dinger. Aber diese Dinger lassen Menschen halt aufs Taxi verzichten. Was gut fürs Klima ist – und damit entscheidend. Ist es nicht spannend zu sehen, was da noch wächst?
Beim Thema Mobilität ist vieles in Bewegung. Vor ein paar Jahren haben sich SUV-Fahrer in Bremen allen Ernstes noch öffentlich darüber aufgeregt, dass Parkhäuser für ihre überdimensionierten Schlitten zu schmal waren. Heute will Tübingen die Parkgebühren für schwere SUV versechsfachen.
Am besten mit Ökostrom
Menschen brauchen solche Signale von der Politik, um sich zu verändern. Und sie können selbst Signale setzen. Durch den konsequenten Umstieg von vier auf zwei Räder. Klar, als Ersatz fürs Rad ist das E-Bike ökologisch kein Kracher – als Ersatz fürs Auto aber sehr wohl: Für eine Strecke von 10 Kilometer benötigt ein E-Rad laut Umweltbundesamt nur etwa so viel Energie, wie man verbrauchen würde, um 0,7 Liter Wasser bei Raumtemperatur zum Kochen zu bringen. Noch moderner wird es, wenn man es zu Hause mit Ökostrom lädt – am besten von der Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach.
Wer was ganz Verrücktes wagen will, kann natürlich ab und an auch mal probieren, ob das alte, das stromlose Rad noch fährt. Schnell aus dem Keller holen, entstauben, Kette ölen – und los. Stärkt die Muskeln, lässt die Fettpolster schmelzen, gibt ein gutes Gefühl. Hört man zumindest immer wieder.
Womit wir wieder beim Stadtradeln aus dem vergangenen Frühjahr wären: Wenn wir da zwischendurch mal zackig in Fahrt waren und uns einen Spaß erlauben wollten, haben wir flugs ein paar E-Biker überholt, zusammen mit den Kindern. Samt spöttischem Seitenblick, selbstverständlich. Und innerlich haben wir an das Motto gedacht, von dem uns ein radfahrbegeisterter Freund erzählt hatte. Das Motto, das beweist, warum das stromlose Fahren eben doch noch etwas cooler ist als das mit Antrieb. Es lautet: Waden statt Laden.
Kennt Ihr E-Bike-Fans? Oder Menschen, die E-Bikes doof finden? Dann schickt ihnen doch diesen Text:
Gefällt Euch mein Newsletter? Dann freue ich mich, wenn Ihr ihn weiterempfehlt – auf Whatsapp, Facebook oder wo immer Ihr mögt. Hier ist der Link dazu:
Seid Ihr neu hier und habt meinen Newsletter noch nicht abonniert? Hier könnt Ihr es kostenlos tun:
In zwei Wochen kommt mein nächster Text über Veränderung.
Bis dahin: alles Gute!
Andreas