In vielen Ländern Europas werden rechtsextreme Parteien stärker. In Deutschland gewinnt die AfD erschreckend an Zustimmung. Jutta Shaikh (72) aus Frankfurt tut etwas dagegen. Mit den Omas gegen Rechts in Deutschland klärt sie Menschen darüber auf, welche katastrophalen Konsequenzen es hätte, wenn die AfD an die Macht kommt. Im Interview hat sie mir erzählt, was sie antreibt und was sie bewirkt.
Sie engagieren sich seit 2019 bei den Omas gegen Rechts. Warum?
Ich bin Deutsche, meine beiden Kinder sind in Deutschland geboren, ich habe sie alleine in Deutschland erzogen. Sie sind Christen, aber sie haben einen marokkanischen Vater und man sieht ihnen diesen Migrationshintergrund etwas an. Sie haben als Jugendliche deswegen Diskriminierung erlebt – und ich fürchte, dass daraus Anfeindungen werden könnten, falls die AfD an die Macht kommt. Vor einigen Jahren habe ich zufällig einen Bericht über die Omas im Fernsehen gesehen – und gedacht: Das ist es. Ich bin da sehr schnell aktiv geworden und bin jetzt eine der aktivsten Omas bundesweit.
Was für eine Diskriminierung haben Ihre Kinder erlebt?
Mein Sohn ist in den 90er Jahren, als Teenager, in Discos oder Clubs schon mal abgewiesen worden – obgleich er Deutscher ist, nur weil man sah, dass er einen marokkanischen Vater hatte.
Wie war das für Sie als Mutter?
Er hat mir das gar nicht erzählt, ich war damals beruflich sehr eingespannt. Erst wesentlich später hat er davon berichtet. Ich habe mich dann schuldig gefühlt, dass ich das damals nicht selbst bemerkt hatte. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass das überhaupt passieren könnte. Denn für mich hat es nie eine Rolle gespielt, wo jemand herkommt. Und wenn ich dabei war, ist nie etwas passiert. Für mich war es erschreckend, von diesen Anfeindungen zu hören. So richtig ist mir das dann wieder hochgekommen bei dem Attentat in Hanau ...
… 2019, als ein Rechtsextremist aus rassistischen Motiven neun Menschen ermordete.
Auch da waren die Opfer integrierte Menschen, und sie wurden getötet, weil sie eine andere Herkunft hatten. Wenn ich mir dann die völkische Ideologie des Faschisten und Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke anschaue, macht mir das wirklich Angst.
Höcke ist in der AfD ein sehr mächtiger Mann, und seine Partei radikalisiert sich immer mehr.
Genau, und je länger ich mich mit Höckes Ideologie beschäftige, desto mehr sage ich mir: Die AfD darf einfach nicht an die Macht kommen. Ich hätte sonst wirklich Angst um meine Kinder und Enkel. Ich hätte Angst davor, dass durch die Ideologie der AfD ein Mob aufgehetzt wird, der Menschen anfeindet, nur weil sie vom Aussehen her nicht dem deutschen Standardbild entsprechen – und der seinen Frust an anderen auslässt und Schuldige sucht. Das hatten wir schon mal in Deutschland.
In der Zeit von Hitlers Nazi-Regime.
Sowas möchte ich nie, nie, nie wieder haben! Ich möchte mir von meinen Enkeln niemals sagen lassen: „Warum hast Du nichts gesagt, als man noch was sagen konnte?“ Ich habe meine Großeltern damals auch gefragt: „Warum haben die Menschen nichts gesagt?“ Wobei mein Opa durchaus was gesagt hat und auch dafür bezahlt hat.
Ich habe den Eindruck, dass viele Leute noch gar nicht verstanden haben, wie gefährlich die AfD ist.
Die AfD nutzt unsere demokratischen Freiheitsrechte aus – um sie anschließend zu unterdrücken, wenn sie an die Macht kommt. Es stimmt: Viele Leute haben nicht verstanden, dass die AfD extrem gefährlich ist. Viele Leute wollen es aber auch einfach nicht hören. Als wir von den Omas gegen Rechts vor der Bundestagswahl 2021 den Leuten gesagt haben, die AfD ist eine rechtsextreme Partei, da haben wir noch eher Zustimmung bekommen. Jetzt, vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern, haben wir wieder einen Anti-AfD-Wahlkampf auf der Straße gemacht. Mein Eindruck war: Vielen Leuten ist der Rechtsextremismus dieser Partei mittlerweile egal.
Woran haben Sie das gemerkt?
Wir haben uns zum Beispiel vor Berufsschulen gestellt und Flyer verteilt, um Jungwähler über die Gefährlichkeit der AfD zu informieren. Ein Mädchen, das Kopftuch trug, sagte mir: „Mir kann ja nichts passieren. Ich habe die deutsche Staatsangehörigkeit.“ Ganz falsch! Denn die AfD sagt, der Islam gehört nicht zu Deutschland. Und junge Menschen mit Migrationshintergrund haben mir gesagt, sie wählten die AfD. Als ich fragte, warum, sagten sie Sätze wie: „Ja, sonst gibt’s ja nur noch Homosexuelle hier!“ Oder: „Die Männer haben hier ja sonst gar nichts mehr zu sagen.“ Diese Menschen lassen sich also von Parolen der AfD blenden, ohne die Ideologie dieser Partei zu verstehen. Und sie sind sich der Konsequenzen, die die Politik der AfD auch für sie selbst haben wird, nicht bewusst.
Was wären die Konsequenzen, wenn die AfD in Deutschland an die Macht käme?
Ganz ehrlich: Ich möchte mir das gar nicht ausmalen. Herr Höcke ist der stärkste Mann in der AfD. Und er befürwortet Remigration, also die Abschiebung aller Menschen, die er als nicht dem Volk zugehörig empfindet. Was danach noch kommt? Unser Rechtssystem würde ausgehebelt werden. Und die wirtschaftlichen Konsequenzen wären verheerend. Es würde ein fatales Nationalstaatsdenken geben, das früher oder später zu massiven Konflikten mit unseren Nachbarländern führen würde. Rechtsstaat und Meinungsfreiheit würden unterdrückt werden. Und was mit Leuten passiert, die sich ihm entgegenstellen, das hat Höcke ja gesagt.
Er hat bei einem Treffen von Anhängern des rechtsnationalen Flügels über interne Kritiker des Flügels gesagt: „Die, die nicht in der Lage sind, das Wichtigste zu leben, was wir zu leisten haben, nämlich die Einheit, dass die allmählich auch mal ausgeschwitzt werden" sollten aus der Partei.
Wir wissen alle, was damit gemeint ist. Wann wacht die Bevölkerung auf und stellt sich dieser Ideologie entgegen? Klappt das noch, falls die AfD mal an der Regierung ist? Ich habe da Zweifel, denn es hat schon einmal nicht geklappt: 1933. Damals hat man gedacht, wenn man Hitler in die Regierung nimmt, würde man ihn kontrollieren können. So ein Risiko möchte ich nicht wieder eingehen.
Deshalb engagieren Sie sich bei den Omas gegen Rechts. Was genau machen Sie da?
Anfangs haben wir uns bei anderen Demos mit unserem Schild dazugestellt und mitprotestiert. Inzwischen machen wir auch viele eigene Veranstaltungen. Wir entwickeln Flyer und versuchen, mit den Leuten an Infotischen auf der Straße ins Gespräch zu kommen über die Gefahr von rechts. Wichtig sind für uns auch Gedenkveranstaltungen und Mahnwachen, etwa an Gedenktagen wie dem 27. Januar, dem 8. Mai oder dem 9. November, die an den Horror der NS-Zeit erinnern. Es ist so wichtig, diese Vergangenheit nicht zu vergessen. Wie schnell es damals gegangen ist von der Machtergreifung der Nazis bis zum totalitären Vernichtungsstaat! Und wie groß die Gefahr ist, dass das heute wieder passiert! Wir sind die Nachkriegsgeneration, wir haben die Erzählungen unserer Eltern aus dem Krieg noch im Kopf.
Was machen Sie noch bei den Omas?
Ich mache auch Rhetoriktrainings und Seminare für Zivilcourage gegen Hass und Hetze, zum Beispiel bei Projektwochen in Schulen. Außerdem haben wir bei den Omas hier in Frankfurt eine Gruppe, die Kleinkindern Bücher vorliest, die sich spielerisch gegen Ausgrenzung und Diskriminierung wenden. Wir wollen auch immer mehr versuchen, aus unserer Blase herauszukommen. Wir wollen ja nicht nur Leute erreichen, die wir eh nicht zu überzeugen brauchen.
Wie machen Sie das?
Vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern haben wir mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen die Kampagne AfDNee gestartet – und aufgezeigt, warum die AfD eine Gefahr für die Demokratie ist. Diese Kampagne wird im nächsten Jahr vor den Landtagswahlen und vor der Europawahl weitergehen. Wir engagieren uns immer stärker auf Social Media. Mit den Omas sind wir bisher vor allem auf Instagram und Facebook aktiv, aber jetzt werden wir auch auf TikTok gehen – mit AfDNee und vielleicht auch mit den Omas.
Ganz schön mutig!
Ja, ist nicht gerade unser Medium, aber es gibt einige von uns, die sagen: Wir werden das probieren. Denn da tauschen sich die jungen Leute aus, also müssen wir da hin. Und die AfD ist keine demokratische Partei, die man einfach wieder abwählen kann, wenn sie einmal an der Macht ist. Die Menschen in Deutschland haben schon einmal die Demokratie abgewählt und den Faschisten die Macht in die Hand gegeben. Wir werden dafür kämpfen, dass das nicht wieder passiert. Wir werden nicht aufgeben.
Was bewirken Sie mit Ihrem Engagement?
Wir hoffen, dass wir Menschen dazu bewegen, ihre Position zu überdenken. Einmal haben wir auf einem Plakat die Frauenfeindlichkeit der AfD offengelegt. Da ist vielen Menschen, die vorbeigegangen sind, der Mund offen stehengeblieben. Ich weiß, viele sind unzufrieden mit unserer Regierung. Es gibt sicher auch einiges zu kritisieren. Aber eine Krise jagt die andere, da passieren dann halt auch Fehler. Und Ängste zu schüren, wie die AfD es tut, ist nie die Lösung. Sie schürt diese Ängste nur, um an die Macht zu kommen – und nicht, um die Probleme der Menschen zu lösen. Die AfD hat keine Lösung für irgendein Problem.
Das ist es, was Sie aufzeigen wollen?
Ja. Und wir wollen anderen Menschen Mut machen. Wir wollen die schweigende Mehrheit mobilisieren und ihr sagen: Erhebt eure Stimme! Schweigt nicht! Habt den Mut, was zu sagen! Lasst keine rechte Parole unwidersprochen im Raum stehen! Denn Schweigen wird als Zustimmung interpretiert. Macht euch klar: Wir sind mehr als die Rechtsextremisten. Auch wenn die AfD in Hessen rund 18 Prozent hatte, sind es immer noch rund 82 Prozent, die nicht die AfD gewählt haben.
Aber die enorm hohen Wahlergebnisse der AfD in Hessen und Bayern müssen Sie doch trotzdem schockiert haben.
Als wir die Wahlergebnisse gesehen haben, war da bei uns eine Mischung aus Verzweiflung, Schock, Wut – und dem Gefühl: Jetzt müssen wir erst recht dagegen angehen! Es ist doch erschreckend, dass so viele Leute auf die leeren Versprechen der AfD hereinfallen. Die AfD vertritt eine extrem neoliberale Wirtschaftspolitik, mit Sozialstaat hat sie nichts am Hut. Das heißt: Nur die Reichen würden profitieren – und viele sozial Schwächere, die die AfD wählen, wären die größten Verlierer ihrer Politik. Auch das Frauenbild der AfD ist eine Katastrophe. Da gibt’s keine Emanzipation mehr. Wenn es nach der AfD geht, dann bleibt die Frau zu Hause und kümmert sich um Kinder, Küche, Haushalt. Und schauen Sie doch, wie die AfD mit Behinderten und mit Minderheiten insgesamt umgehen will. Wer weiß, ob sie bald auch alte, schwache Menschen als unnütz betrachtet?
Wo würden Sie sich selbst politisch einordnen?
Häufig werden wir auf der Straße gefragt: Wenn ihr gegen rechts seid, seid ihr dann links? Nein, sind wir nicht. Und wir sind schon gar nicht linksextrem. Wir sind überparteilich. Aber klar ist: Wir sind gegen Rechts – weil von rechts die größte Gefahr droht.
Was bewirkt es, dass gerade Sie als Omas laut sind gegen Rechts?
Es ist sicherlich kein so häufiges Phänomen, dass alte Frauen auf die Straße gehen und Widerstand zeigen. Das wird in der Bevölkerung begrüßt. Wir kommen authentisch rüber, man hat Vertrauen zu uns. Wenn ich hier in Frankfurt mit meinem „Omas gegen Rechts“-Button rumlaufe, bekomme ich 80 Prozent positive Kommentare. Direkte Anfeindungen erlebe ich nicht. Aber ich weiß, dass das in den neuen Bundesländern anders ist. Da können die Omas den Button nicht mehr so offen tragen. Und auch wir haben schon online Drohungen bekommen. Aber diese Drohungen halten uns nicht davon ab weiterzumachen.
Wie soll es weitergehen mit Ihren Omas?
Manchmal werde ich gefragt: „Warum gründet Ihr nicht eine Partei?“ Dann sage ich: „Ich hatte meine Karriere schon, ich brauche nicht noch eine. Mir geht’s um die Sache, mir geht’s nicht um mich.“ Das ist bei allen Omas so: Uns geht’s um unsere Enkel, uns geht’s darum, die Demokratie zu schützen. Und wir machen das alles ehrenamtlich.
Wie viele Stunden pro Woche engagieren Sie sich bei den Omas?
Für mich persönlich ist es fast ein Full-Time-Job.
Oh, krass.
Ja, aber das erwarten wir nicht von allen. Jeder Oma, die bei uns mitmacht, steht es frei mitzumachen, so viel sie kann und Lust hat. Wir freuen uns über jeden Beitrag, den jemand leistet.
Wie alt sind die Omas, die sich bei Ihnen engagieren?
Zwischen 45 und Ende 85. Wir haben sogar Omas und auch Opas, die mit dem Rollator zu unseren Treffen und Kundgebungen kommen. Wenn man älter wird, hat man natürlich nicht mehr die Kraft für alles. Aber wenn sich viele einbringen, können wir auch viel bewirken.
Wie viele Mitglieder haben Sie jetzt bundesweit?
Bundesweit kommen wir inzwischen an die 30.000 ran, denn nach den Wahlen in Hessen und Bayern sind noch mal sehr viele dazugekommen. Ich glaube, das Bedürfnis, etwas gegen den Rechtsruck zu tun, ist bei vielen Menschen gewachsen. Aber klar, es fallen immer auch ein paar raus, wir werden ja alle älter. Auch ich weiß nicht, wie lange ich das gesundheitlich noch schaffe. Im Moment sage ich mir: jetzt erst mal bis zur nächsten Bundestagswahl – und dann schauen wir weiter.
So, liebe Leute, drei Bitten habe ich jetzt noch.
Die erste: Helft mit, die Menschen darüber zu informieren, wie gefährlich die AfD ist! Empfehlt dieses Interview weiter! Teilt es auf Instagram, in Eurem Whatsapp-Status, auf Facebook und LinkedIn. Geht ganz einfach – mit diesem Link:
Die zweite: Abonniert meinen Newsletter (falls Ihr nicht eh längst dabei seid)! Tragt hier Eure Mailadresse ein – und Ihr bekommt automatisch alle zwei Wochen kostenlos meinen neuesten Text. Immer über die Frage, wie Veränderung eine Chance sein kann:
Die dritte: Wenn Ihr das Engagement der Omas gegen Rechts in Deutschland cool findet, dann überlegt doch mal, ob Ihr ihre Arbeit nicht unterstützen wollt. Alle Infos dazu findet Ihr hier.
Bis zum nächsten Mal: alles Gute!
Andreas
Frau Shaikhs Engagement bei "Omas gegen Rechts" ist mutig und ehrenwert. Es ist nicht nur für Omas (und Opas) wichtig, gegen rechte Ideologien anzukämpfen. Wir alle sollten unseren Mut zusammennehmen und bei jeder Gelegenheit versuchen, ins Gespräch zu kommen und die Gefahr auch beim Namen zu nennen.
Bei der hessischen Landtagswahl hat mich das Ergebnis in unserem Stadtteil extrem frustriert. Die AfD bekam die meisten Stimmen. Und ich weiß noch, wie ich mit meiner Nachbarin am Tag danach auf der Straße stand und wir überlegten, was wir JETZT dagegen tun könnten - und auch müssen. Wer will schon in einer Nachbarschaft leben, in der so viele Menschen eine rechte Gesinnung haben? Zumindest gibt es schon ein paar Ideen, Dialoggespräche zu organisieren, Lokalpolitiker*innen einzuladen und vor Ort ganz niederschwellig ins Gespräch zu kommen.
Wir brauchen dringend mehr Verständnis und Verbindung untereinander. Und wir sollten schon früh - im Kindergarten, in der Grund- und weiterführenden Schule aufklären. Frau Shaikh ist auch hier ein großes Vorbild - Hut ab!