Kürzlich habe ich Uli Hoeneß getroffen. Am Bahnhof von Lohne. Ich war überrascht, denn Lohne ist zwar ein schönes norddeutsches Städtchen, war mir aber als bevorzugtes Reiseziel des ewigen FC-Bayern-Patrons bisher nicht aufgefallen. Doch nun hing Hoeneß da rum. Er war es, kein Zweifel: roter Kopf, grimmiger Blick, Trainingsjacke seines Vereins. Der rumhängende Hoeneß hat mir den Tag gerettet.
Vorher war ich ziemlich genervt. Die Bahn zur Arbeit hatte mal wieder Verspätung, eine Stellwerksstörung, ein verspäteter Gegenzug, ein verbogenes Gleis, ach, was weiß ich. Aber dann: der Hoeneß, als Aufkleber an einem Laternenpfahl. Und nicht nur er. Unter ihm stand: „B. München 1:3 Bremen“. Sonst nichts. Aber jeder norddeutschen Seele, die sich auch nur ein Fitzelchen für Fußball interessiert, reicht das, um zu verstehen.
3:1 in München – das ist jener Sieg beim FC Bayern, mit dem Werder im Jahr 2004 den Gewinn der Deutschen Meisterschaft perfekt machte. 3:1 – das ist das Symbol für den größten Erfolg der grün-weißen Vereinsgeschichte. Weil dieser Sieg den Titel brachte und ein triumphaler Schritt zum Double war. Und weil Werder den sonst so riesigen FC Bayern in diesem Spiel zu einem Winzling verzwergte. Der rumhängende Hoeneß war also nicht nur ein zentimetergroßer Aufkleber am Bahnhof, er rief Erinnerungen und Emotionen wach: Freude und Schadenfreude. Eine magische Mischung.
Herrlich absurde Details
Ich möchte mit diesem Text dafür werben, mehr auf die rumhängenden Hoeneße unserer Welt zu achten. Also: nicht immer nur das große Ganze im Blick zu haben, sondern auch mal die schönen Kleinigkeiten, die herrlich absurden Details, die wir im Stress des Alltags oft übersehen.
Diese Kleinigkeiten können eine große Sache sein. Sie können etwas verändern. Sie zaubern die Krisen nicht aus der Welt, die uns alle bedrücken: die Folgen der Erderhitzung, Putins Krieg in Europa, die Wahlerfolge der widerlichen AfD. Die Kleinigkeiten lassen auch private Sorgen nicht verschwinden – ob um schwerkranke Freunde, verstorbene Eltern oder einen verlorenen Job. Aber sie malen ein Lächeln aufs Gesicht und schenken ein gutes Gefühl, und sei es nur für einen Moment. Sie zeigen, dass selbst eine krisenhafte Welt nicht immer schwer und düster ist, sondern auch mal lustig und leicht.
Der Orakel-Tapir Theo
Was es noch für Kleinigkeiten gab in jüngster Zeit? Hier drei Beispiele.
Beispiel eins: der Flachlandtapir Theo. Das Tier aus dem Allwetterzoo Münster tippte als Orakel die deutschen Spiele der so erfrischenden Fußball-Europameisterschaft. Immer konnte er am Tag vor der Partie zwischen drei ausgehöhlten und mit frischem Grünzeug präparierten Bällen wählen: einer in den Farben Deutschland, einer in den Farben des Gegners, einer weiß für ein Unentschieden. Der Ball, aus dem er fraß, war sein Tipp. In der Vorrunde tippte er immer auf die deutschen Gegner – und lag immer falsch. Dann aber steigerte er sich und tippte richtig: sowohl den Achtelfinal-Sieg gegen Dänemark als leider auch das Viertelfinal-Aus gegen Spanien.
Es war wunderbar, wie er da herumlatschte und mit seinem Rüssel schnupperte und dann fraß. Und plötzlich so wichtig war wie noch nie in seinem Tapirleben zuvor. Theo erinnerte mich an Paul, das legendäre Kraken-Orakel, der während der Fußball-WM 2010 den Ausgang aller Spiele mit deutscher Beteiligung sowie das Endspiel der WM korrekt voraussagte und zu einer tierischen Kultfigur wurde, zum Kraken mit dem größten Fußballsachverstand der Welt.
Beispiel zwei: die zwei schottischen Fans, die kürzlich in Köln einem alten Mann halfen. Er quälte sich mit seinem Rollator im Regen durch die Stadt; sie gingen neben ihm, einer links, einer rechts, hielten einen Schirm über ihn, plauderten fröhlich – und ließen sich selbst ganz entspannt nassregnen. Eine rührende Szene, im Internet wurde sie ein Hit. Sie erinnerte daran, dass es eben doch nicht nur Nazis und andere Vollidioten auf der Welt gibt, wie man manchmal beim Blick in die sozialen Netzwerke denken könnte – sondern auch sehr viele Menschen, die einfach nur das Beste für andere wollen.
Lallend und laut
Beispiel drei (okay, schon eine Weile her): der Tag nach Deutschlands Fußball-Weltmeistertitel 2014, nach dem 1:0 im Finale gegen Argentinien. Morgens um acht in der Bahn, alle Fahrgäste müde, aber beseelt vom Sieg – und der Schaffner unfassbar schlecht gelaunt. Jeden Fahrgast blaffte er an: „FAHRKARTE!!!“ Sein Ton war zum Weglaufen, er passte so gar nicht zu diesem fröhlichen Tag. Irgendwann kam der Schaffner zu zwei jungen Männern, die ziemlich mitgenommen aussahen – so, als hätten sie in der Nacht nach dem Titelgewinn wenig geschlafen und viel gefeiert. Wieder blaffte er. Und sie riefen, leicht lallend und ziemlich laut: „Alter, was ist denn mit dir los? Hast du das Spiel nicht gesehen, oder was?“ Da lachte der ganze Waggon. Und alle erinnerten sich daran, was ein paar Worte bewirken können.
Jede und jeder von euch kann diese Liste beliebig fortsetzen – und kennt eigene Beispiele für kleine Momente, die Großes bewirken. Es lohnt sich, sie zu genießen, denn meistens sind sie schnell vorbei. Uli Hoeneß jedenfalls hing vor ein paar Tagen, als ich nochmal geschaut habe, nicht mehr am Lohner Bahnhof rum. Er war also offenbar: abgefahren.
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Andreas