Als Karl Boekholt aus Groningen nach Lohne zog, kannte er kaum jemanden hier. Bis er in den Schützenverein ging. Im Interview hat Karl (40) mir erzählt, welche Bräuche er dort lieben gelernt hat, welche Deutschen beim Fußball plötzlich zu Holland gehalten haben – und welche Momente aus seiner Schützenzeit er nie vergessen wird.
Wie bist Du dazu gekommen, in den Lohner Schützenverein einzutreten?
2006 habe ich ein Praktikum in Lohne gemacht, im Vertrieb bei Pöppelmann …
… dem großen Kunststoffverarbeiter …
… es hat total Spaß gemacht und ich hatte super Kollegen. Nach dem Praktikum bin ich dann erst wieder zurück nach Groningen gegangen, um mein Studium zu beenden. Als ich damit fertig war, habe ich einen Anruf von Pöppelmann bekommen: „Wir haben da einen Platz frei. Wenn Du Interesse hast, kannst Du ihn kriegen.“ Also habe ich im November 2007 da angefangen.
Die Kollegen aus dem Praktikum waren auch noch da?
Ja, die waren alle noch da. Gleiches Alter, gleiche Interessen, coole Sache. Einer von ihnen, Sebastian Walbröhl, war im Lohner Schützenverein, in der 16. Kompanie Landwehrstraße, und ich wohnte da halt um die Ecke. Sebastian hatte schon zwei, drei Mal vorher gesagt: „Hey, wir haben Kompanieversammlung. Wenn Du Lust hast, kannst ja mal mitkommen.“
Aber Du bist nie mitgegangen.
Die ersten Male nicht. Aber irgendwann hab ich dann gesagt: „Ich hab sowieso nix vor am Wochenende. Ich komm mal mit.“ Tja, und wie das dann halt so ist: Man sitzt da, es ist gemütlich, es wird schön was getrunken. Am Anfang des Abends habe ich gesagt: „Ach komm, ich guck mir das einfach nur mal an.“ Und am Ende des Abends hab ich gesagt: „Ich bleibe gern dabei.“
Du bist gleich am ersten Abend in den Verein eingetreten?
Genau. War halt ne schöne Truppe. Verschiedene Altersklassen – von Mitte 20 bis 80 plus. Hat mir Spaß gemacht. Wenn man mal mit jemand quatscht, der 70 ist und schon sein ganzes Leben dabei ist, der hat natürlich andere Geschichten als die jüngeren. Die Kompanie war für mich ein super Einstieg, um mir hier ein Privatleben aufzubauen.
Wenn man aus Holland nach Lohne zieht, kennt man ja erst mal keinen.
Da ist es schwierig, Anschluss zu finden und Kontakte zu knüpfen. Erst kannte ich wirklich nur die Arbeitskollegen. Aber dann, durch den Schützenverein, kannte ich plötzlich schon mal 60 Leute mehr. Die aus der Kompanie. Die meisten waren bei mir aus der Nachbarschaft.
Bist Du dann öfter auf der Straße angesprochen worden?
Ich bin jetzt nicht abends nach der Arbeit die ganze Zeit durch die Nachbarschaft spaziert, bis ich jemanden getroffen habe. Aber wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs war, gab es immer mal wieder Leute aus der Kompanie, bei denen ich angehalten und kurz geschnackt habe. Auch beim Einkaufen ist mir immer mal jemand begegnet.
Hast Du Dich, seit Du Schütze warst, ein bisschen mehr als Lohner gefühlt?
Ja. Es war nicht mehr alles so anonym, ich war nicht mehr nur ein Holländer in Lohne. Ich habe mich gut aufgenommen gefühlt, ein bisschen mehr zu Hause. Der Schützenverein hat’s mir in Lohne definitiv leichter gemacht.
Wie oft habt Ihr Euch mit der Kompanie getroffen?
Offizielle Kompanietreffen in unserem Kompanielokal Lienesch gab es so dreimal im Jahr. Und dann natürlich noch die Klassiker: Kohlgang, Planwagenfahrt, Grillabend. Solche Sachen.
Hattet Ihr auch mal Schießabende?
Ich bin da nie gewesen. Für mich kam das Schießen auch nie an erster Stelle. Sondern eher: gemütlich zusammensitzen und ein Bierchen trinken.
Was genau hat Dir in der Kompanie so gut gefallen?
Es war eine bunte Mischung von Leuten. Viele kannte ich zwar vom Sehen, aber ich hatte nie mit ihnen gesprochen. Im Schützenverein ging alles plötzlich ganz leicht.
Wie waren die Schützen zu Dir als Neuling aus Holland?
Die waren alle sehr offen. Ich konnte mich mit jedem supergut unterhalten. Vielleicht erst recht, weil ich Holländer bin.
Wie meinst Du das?
Es gibt da ja immer so gewisse Themen, wenn es um Fußball geht und um Holland-Deutschland. Ich gehe diese Themen gern mit ein bisschen Humor an. Das macht dann noch mehr Türen auf. Bei den Leuten da in der Kompanie kam es jedenfalls gut an.
Erzähl mal!
Ich war ja ab 2009 im Schützenverein. Und 2010 war bei der Fußball-WM das Finale Spanien gegen Holland.
Holland hat 0:1 in der Verlängerung verloren.
Und ich weiß noch, das Spiel war am Sonntag meines ersten Lohner Schützenfests. Auf dem Schützenplatz …
… wo sich nach dem großen Schützenumzug alle Schützen treffen …
… waren ein paar Leinwände aufgebaut und ich habe das Spiel mit ein paar Schützenbrüdern aus der Kompanie zusammen geguckt. Die anderen Gruppen, die in unserer Nähe saßen, haben natürlich bald bemerkt, dass ich Holländer bin. Da waren die dann auf einmal sehr für Spanien. Aber meine Schützenbrüder haben gut zu mir gehalten. Das war schön.
Das Spiel war ziemlich spannend, oder?
Absolut, ja. Ich weiß noch, dass Arjen Robben nach etwa 60 Minuten allein auf Spaniens Torwart Casillas zugestürmt ist und Casillas hat den Ball mit dem dicken Zeh noch gerade erwischt. Dann hat Iniesta das entscheidende 1:0 für Spanien gemacht, in der 116. Minute.
Wie war Dein erstes Schützenfest sonst so für Dich?
Am Schützenfestsonntag war ja erst das Antreten auf dem Bataillonsplatz. Dort wurde ich aufgerufen. Ich musste nach vorne kommen und wurde als erster Holländer in unserem Bataillon geehrt. Dann wurde erzählt, wie gut der Verein ist für die Integration der Neulinge in Lohne, insbesondere aus dem Ausland. Und dann wurde noch ein Foto von mir mit dem Bürgermeister gemacht. Das war schon etwas Besonderes.
Wie fandest Du den Umzug von dort zum Schützenplatz? Er ist ja wirklich riesig, einer der größten in Niedersachsen.
Bei uns zu Hause in Groningen gibt es Schützenvereine und Schützenfeste nicht. Ich kannte das alles also nur aus Geschichten. Mit Hut und Jacke und Holzgewehr durch die Stadt zu marschieren, ist schon etwas speziell. Wenn ich alleine in so einer Verkleidung rumlaufen würde, würde ich mich wahrscheinlich ein bisschen komisch fühlen. Aber wenn man das in einer großen Gruppe macht, hat es was – und bringt die Leute zusammen.
Weil halt alle ihren Schützenanzug tragen?
Genau. Es war ein großes Happening, ein großes Fest. Es war beeindruckend, dass da so unglaublich viele Leute beim Umzug am Rand standen und uns zugejubelt und gewunken haben. Und wir sind mit tausenden Leuten, mit Kompanien und Blaskapellen durch die Stadt gezogen, bis zum Schützenplatz am Stadion. Das war wirklich groß, da mittendrin zu sein und mitzumachen. 2009, als ich eingetreten bin, hat die 16. Kompanie dann auch noch direkt den Schützenkönig gestellt: Uwe Moormann.
Was für ein Einstieg!
Ja – für mich war es mein erstes Schützenfest, und für alle anderen war es das erste Mal, Königskompanie zu sein. So wusste nicht nur ich nicht, wie und wo man was tun muss, sondern alle anderen auch. Man sitzt im Festzelt dann ja oben auf dem Podium, und alle kommen zum Gratulieren. Das werde ich definitiv nicht vergessen.
Klingt nach einer netten Party.
Und hat wirklich viel Spaß gemacht. In manchen anderen Kompanien wurde alles etwas strenger genommen. Beim Marschieren hat der Spieß drauf geachtet, dass alle sich gut benehmen – und sie mit der Pfeife zurechtgewiesen, wenn ihm was nicht passte. Bei uns in der Kompanie wurde alles ganz locker gesehen. Da ging es einfach nur um Spaß haben. Es wurde viel gelacht. Das hat mich angesprochen. Dieses Fest nicht allzu ernst zu nehmen, das fand ich gut.
Wie haben Deine Familie und Deine Freunde aus Holland reagiert, als Du ihnen erzählt hast, dass Du jetzt Lohner Schütze bist?
Denen musste ich erst mal erklären, was das überhaupt heißt. In Holland kennt sowas wirklich niemand. Wenn ich dann Fotos gezeigt habe, haben die alle erst mal immer komisch geguckt, weil wir da mit einem Holzgewehr durch die Straßen marschieren. Ich habe dann erklärt, dass das nicht die Hauptsache ist.
Sondern was war für Dich die Hauptsache?
Ob man jetzt im Karnevalsverein ist oder im Schützenverein: Letztendlich kommt’s doch darauf an, dass man mit einer Gruppe zusammen ist und eine schöne Zeit hat. Und unter Karnevalsverein können sich auch in Holland alle was vorstellen.
Wie viele Jahre warst Du im Schützenverein?
2012 bin ich ausgetreten, denn da sind meine Frau Silvia und ich nach Osnabrück gezogen. Das war dann auch okay für meine Schützenbrüder. Und für mich war es nicht so schwierig auszutreten – ich bin ja kein gebürtiger Lohner und nicht mit dem Schützenverein aufgewachsen.
Hast Du heute noch Kontakt zu Deinen Schützenbrüdern von damals?
Ja, zu Sebastian Walbröhl, der mich damals mitgenommen hat.
Und gehst Du noch manchmal zum Lohner Schützenfest?
Bis jetzt bin ich seit unserem Umzug nach Osnabrück noch nicht wieder dagewesen. Aber ich habe vor, dieses Jahr wieder hinzugehen. Am Sonntag oder am Montag will ich mich beim Umzug an die Strecke stellen, um zu gucken – und dann am Schützenplatz noch was trinken und noch mal über die alten Zeiten quatschen.
Deine alten Kumpels werden sich sicher freuen, Dich wiederzusehen.
Das glaube ich auch. Und ich habe definitiv Lust dazu.
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Andreas