Im vergangenen Jahr hat Marko Schumacher seinen Job als Sportredakteur bei der Stuttgarter Zeitung gekündigt und mit seiner Frau Elke ein Café aufgemacht: das Gottlieb in Cannstatt. Mein Interview mit ihm über diesen mutigen Schritt hat ein überwältigendes Feedback gebracht. Also habe ich ihn jetzt nochmal angerufen. Und gefragt, wie es ihm mit der Veränderung seines Lebens mittlerweile geht.
Wie läuft’s mit Eurem Café?
Es läuft glücklicherweise seit dem ersten Tag extrem gut. Wir waren zwar von Beginn an überzeugt von dem, was wir tun – sonst hätten wir uns niemals in ein solches Abenteuer gestürzt. Dass es aber gleich so gut funktionieren würde, damit haben auch wir nicht gerechnet. Im Grunde sind alle Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen übertroffen worden.
Krass.
Ja, das ist echt krass. Wir sind manchmal auch ganz überwältigt. Wir kriegen tolles Feedback. Wir haben tolle Gäste. Wir haben ein unglaublich tolles Team. Das hört sich vielleicht blöd an, und ich will auch gar nicht übertreiben. Aber es ist tatsächlich so.
Fangen wir mit den Gästen an. Was findest Du an denen so toll?
Unser Ziel war ja, ein modernes Café für den Kiez hier zu schaffen. Ein Wohnzimmer fürs Viertel. Einen Laden, in den sich jeder reintraut. Er sollte nicht zu cool sein, wir wollten ja nicht Berlin-Mitte nach Cannstatt bringen. Aber er sollte schon anders sein als das, was es schon gibt. Das scheint uns gelungen zu sein.
Inwiefern?
Wir haben ein total gemischtes Publikum – vom Kleinkind bis zum Urgroßvater. Und wir merken, wie sehr sich die Leute freuen, dass es jetzt so einen Ort gibt. Wir haben schon früh viele Stammgäste gehabt. Und wir stellen fest: Es gibt in unserem Viertel, in dem wir seit 20 Jahren leben, noch wahnsinnig viele weitere coole und nette Leute als die, die wir schon kannten. Und es macht großen Spaß, jeden Tag als Gastgeber im Laden zu stehen und mit ihnen zu reden.
Wann kommen die Leute vor allem?
Wir haben von 8 bis 22 Uhr auf, nur am Montag ist Ruhetag. Es ist nicht durchgehend knallvoll, aber es ist fast zu jeder Tageszeit gut besucht. Immer mal wieder kommen andere Gastronomen oder Leute aus dem Cannstatter Bezirksbeirat, staunen, wie gut unser Laden läuft – und erzählen mir dann, dass während der Umbauarbeiten viele Wetten gelaufen seien, wie viele Wochen es wohl dauern werde, bis an dem Laden wieder steht „Zu vermieten“.
Die Leute haben nicht geglaubt, dass Euer Plan funktioniert?
Offenbar, ja. Mittlerweile wissen wir, dass Leute gedacht haben: „Um Gottes Willen, was tun die sich an?“ Und sind im Nachhinein froh, dass wir mit denen damals nicht gesprochen haben. Sonst hätten wir uns womöglich von unserem Plan abbringen lassen und gesagt: „Naja, wenn alle sagen, das klappt nie, dann können wir das doch nicht auf Teufel komm raus durchziehen.“
Jetzt habt Ihr alle Skeptiker überzeugt.
Das Tolle ist, dass wir so oft gesagt bekommen, wie sehr der Laden unseren Kiez bereichert. Er gibt dem Viertel einen Mittelpunkt und eine noch stärkere Identität. Genau das war ja das Ziel.
Wie lang sind Deine Arbeitstage?
Das kann man schwer auf die Stunde genau beziffern. Arbeit und Privatleben vermischen sich viel stärker als in meinem früheren Job. Elke und ich verbringen sehr, sehr viel Zeit in und mit dem Laden. Der Aufwand ist enorm, damit haben wir aber auch gerechnet. Ich denke, bei einem so jungen Unternehmen, das in kurzer Zeit so schnell gewachsen ist, ist das ganz normal.
Wie funktioniert es, vier Kinder zu haben und gleichzeitig ein Café zu betreiben? Da warst Du in unserem letzten Interview skeptisch.
Am Anfang hat das durchaus geholpert, und es ruckelt auch jetzt noch an ein paar Stellen. Unsere älteste Tochter ist 18, die arbeitet hier mit und findet das cool. Der ältere Sohn ist 15 und zurzeit ein Jahr in Australien, der hat davon noch gar nichts mitbekommen. Der Sechsjährige springt viel im Laden rum und findet’s lustig. Die 11-Jährige allerdings fremdelt noch ein bisschen, weil sie öfter als früher auch mal allein zu Hause ist. Wir bemühen uns, das zu ändern und sicherzustellen, dass zu den gewohnten Zeiten das Essen auf dem Tisch steht und falls nötig bei den Schularbeiten geholfen wird. Da muss sich noch manches einspielen.
Ist das bisher die größte Herausforderung bei dem Projekt?
Ja, das ist die größte Herausforderung: dass Familienleben und Café zusammenpassen. Das ist schwierig, aber es ist das Wichtigste. Mir war immer klar: Wenn wir das nicht hinkriegen, wenn die Familie leidet, wenn ich mich mit meiner Frau verkrache, dann wäre der Preis zu hoch und das Projekt gescheitert – ganz egal, wie gut der Laden läuft.
Was verändert Ihr, damit sich alles noch besser einspielt?
Wir versuchen Strukturen zu schaffen, die dazu führen, dass alles auch dann läuft, wenn wir nicht da sind. Wir haben mittlerweile zwei festangestellte Mitarbeiterinnen, die dann den Laden schmeißen. Im Sommer fahren wir zwei Wochen in den Urlaub – darauf freuen wir uns jetzt schon. Noch versuchen wir, so oft wie möglich da zu sein. Weil wir glauben, dass es in einem Laden wie unserem wichtig ist, wenn die Inhaber präsent sind. Aber das wird nicht dauerhaft so bleiben können.
Wie bist Du in Deine neue Rolle als Cafébetreiber reingewachsen – in die Gastgeberrolle wie in die Chefrolle?
Die Gastgeberrolle fällt mir leicht. Wenn ich morgens in den Laden komme, muss ich nie einen Schalter drücken und mir ein Dauergrinsen aufsetzen. Es fällt mir glücklicherweise sehr leicht, den Leuten das Gefühl zu geben, dass sie hier willkommen sind. Schwieriger ist es mit der Chefrolle.
Inwiefern?
Ich war noch nie Chef und wollte auch nie Chef sein. Ich bin eher ein Harmoniemensch als einer, der gerne Konflikte austrägt. Ich setze viel auf Eigenverantwortung, die Leute haben viele Freiheiten, und ich glaube, dass sie gern hier arbeiten. Andererseits haben wir mittlerweile mehr als 20 Mitarbeiter. Da braucht es auch Strukturen, Regeln – und manchmal eben auch mal eine klare Ansage vom Chef.
Was genau musst Du da noch lernen?
Das geht damit los, dass ich schon immer eher unorganisiert war. Ich habe als Sportredakteur immer sehr selbständig gearbeitet und viele Dinge mit mir selber ausgemacht. Jetzt muss ich lernen, zu delegieren und die Leute auch teilhaben zu lassen an dem, was ich plane und mache und entscheide.
Wann zum Beispiel?
Zum Beispiel, wenn meine Mitarbeiter in liebevoller Detailarbeit eine Inventurliste erstellen – und ich dann einfach immer wieder eine Kiste von irgendwas dazustelle, ohne ihnen Bescheid zu sagen. Und damit dann die Inventurliste für die Katz ist. Ich wusste schon vorher, dass ich kein geborener Unternehmer bin und dass betriebswirtschaftliches Denken nicht zu meinen Stärken gehört. Aber jetzt ist mir noch klarer, wieviel ich da noch dazulernen muss.
Du hast eben gesagt, dass Du den Eindruck hast, die Leute arbeiten gern bei Dir. Woran merkst Du das?
Daran, dass ich merke, dass die Leute keinen Dienst nach Vorschrift machen, sondern auch Herzblut mitbringen und es toll finden, unseren Laden mitaufzubauen. Wenn eine Schicht zu Ende ist und es ist aber noch viel los, dann geht niemand einfach. Jeder macht mehr, als er machen müsste – und sagt dann aber nicht: „Ich krieg jetzt noch zwei Euro mehr.“
Wie gut seid Ihr schon mit Eurem noch so neu zusammengestellten Team?
Natürlich noch nicht perfekt. Als wir am 5. August aufgemacht haben, war völliges Chaos. Keiner von uns wusste: Wie geht das jetzt eigentlich? Wir hatten die Eröffnung immer wieder verschoben, weil wir gesagt haben, wir müssen uns besser vorbereiten. Dann haben wir aber gemerkt: In den Wochen, die wir verschoben haben, ist auch nichts passiert. Also haben wir aufgemacht – und dann ist da eine Lawine reingerollt. Und wir standen da und haben versucht, irgendwelche Getränke rauszugeben.
Wie haben die Gäste reagiert?
Bewundernswert geduldig. Sie wussten ja, dass wir neu sind. Und sie haben gemerkt: Die machen es, so gut sie können. Wir haben im Team auch Schüler und Studenten, die das vorher noch nie gemacht haben. Klar machen die Fehler, vergessen Bestellungen, übersehen Gäste, bringen das falsche Getränk. Das passiert nach wie vor. Aber wir werden immer besser. Und wir wissen, dass unser Welpenschutz langsam vorbei ist.
Wie hast Du Dich durch die neue Rolle verändert?
Wenn man so einen Schritt wagt, wenn man seinen Job aufgibt und sich in so ein Abenteuer stürzt und das Abenteuer funktioniert, das gibt einem schon ein extrem gutes Gefühl. Und es schmeichelt natürlich auch dem Ego, wenn viele Gäste sagen: „Mensch, toll, dass es Euch gibt! Toll, wie Ihr das macht! Was für ein schöner Laden!“ Und wenn das dann auch noch in der Zeitung steht.
Aber?
Ich behaupte, dass ich nicht dazu neige, die Bodenhaftung zu verlieren und den dicken Max zu machen. Es ist nicht so, dass ich nur noch an der Bar sitze, White Russian trinke und den Mitarbeitern sage: „Jetzt macht ihr mal!“ Ich räume immer noch selber den Keller auf, trage leere Flaschen runter und fülle Vorräte auf. Und wenn ich mich doch mal zu toll fände, dann würde meine Frau mir schon auf die Finger klopfen.
Und wie läuft es finanziell?
Ich stelle fest, dass es nicht einfach ist, in der Gastronomie Geld zu verdienen. Ich will jetzt gar nicht jammern. Aber ich würde auch nicht unseren Stundenlohn zusammenrechnen wollen – denn dann würden uns wahrscheinlich die Tränen kommen. Das Café muss gut laufen, damit man Geld verdient.
Warum ist das so?
Der Mindestlohn liegt bei 12 Euro, die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen, Energie ist teurer geworden. Unsere Kosten sind also extrem hoch. Manche Gäste sagen: „Mensch, das ist ja eine Goldgrube. Ihr fahrt sicher das Geld hier mit der Schubkarre raus!“ Leider stimmt das nicht. Wir sind mit dem Café nicht reich geworden, und wir werden damit auch nicht reich werden. Aber das war ja auch nicht unser erstes Ziel.
Hast Du den Schritt jemals bereut?
Nein. Niemals. Ich habe ja in unserem letzten Interview gesagt: Auch wenn ich Schiffbruch erleide, werde ich den Schritt nie bereuen. Und jetzt denke ich jeden Tag: Was für ein Glück, dass wir das gemacht haben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich diese Möglichkeit eröffnet hat und dass wir jetzt dieses Unternehmen haben und viel fürs Leben lernen.
Wieviel Kontakt hast Du noch zu Deinen alten Kollegen?
Es kommen regelmäßig ehemalige Kolleginnen und Kollegen von der Stuttgarter Zeitung hier vorbei. Mich freut das sehr, und ich hoffe, sie freuen sich auch. Bei den Zeitungen wird weiter gespart, gespart, gespart. Deshalb höre ich von ihnen oft: „Du hast alles richtig gemacht. Sei froh, dass Du nicht mehr da bist.“ Und neulich waren erst wieder Jan Christian Müller und Achim Muth da …
… die alten Sportjournalistenkollegen von der Frankfurter Rundschau und der Main-Post, die Du von vielen Reisen mit der Fußball-Nationalmannschaft kennst …
… und die längst nicht mehr nur Kollegen sind, sondern Freunde. Ich finde es toll, dass diese Freundschaft hält – auch jetzt, wo ich nicht mehr im Sportjournalismus arbeite. Das bedeutet mir viel.
Wie viel Kontakt hast Du noch zum Thema VfB Stuttgart, über das so lange intensiv berichtet hast?
Der VfB interessiert mich derzeit ehrlich gesagt gar nicht. Ich hoffe, dass irgendwann das Interesse zurückkehrt und ich mit meinen Jungs wieder ins Stadion gehe und Bier trinke – so wie ganz früher. Aber im Moment habe ich eine sehr große Distanz zum Thema Fußball. Ob der VfB wieder absteigt oder nicht – das ist nicht mehr mein Thema.
Mit dem Café hast Du ja auch genug zu tun. Was sind die nächsten Schritte, die Ihr plant?
Ich höre oft die Frage: „Wann macht Ihr Euren nächsten Laden auf?“ Dann frage ich immer zurück: „Warum sollten wir das tun? Wir sind doch nicht doof. Dann hätten wir ja noch mehr Arbeit.“ Im Ernst: Ich bin froh, dass wir einen Laden haben, der funktioniert. Dabei wird’s bleiben.
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Andreas