Neulich ist es mir rausgerutscht, das Wort. Einfach so. Ich kickte mit meinen Jungs in der Einfahrt, die Sonne schien, die Luft war mild, ein herrlicher Frühlingsmorgen – und ich sagte: „Mensch, was für ein Bombenwetter!“ Hatte es kaum ausgesprochen und zuckte schon zusammen. Bombenwetter: Darf man das heute noch sagen? Ist das nicht zynisch, wenn in der Ukraine wirklich Bomben fallen – und Bombenwetter nicht für Frühlingsfreude steht, sondern für Horror, Krieg und Tod?
Der psychopathische Völkermörder Wladimir Putin hat mit seinem Vernichtungskrieg in der Ukraine die Welt verändert. Die Menschen im angegriffenen Land leiden am schlimmsten darunter: Sie werden von Putins Staatsterrorbande vergewaltigt, ausgehungert, massakriert, aus ihrer Heimat vertrieben. Die Ukrainer weinen um Angehörige, sie schauen auf vorsätzlich kaputtgebombte Städte. Sie leiden unter der so grenzenlosen wie gezielten Brutalität der russischen Angreifer.
Aber der Krieg verändert noch viel mehr, weit über die Ukraine hinaus. Er verschärft die Hungerkrise in Afrika, er treibt die Energie- und Lebensmittelpreise in aller Welt in die Höhe, er zwingt die Politiker besonders in Europa, viele Themen neu zu denken. Und er wirkt bis in die Details unseres Alltags hinein, bis in unsere Sprache.
Aus Spaß wird Ernst
Plötzlich spüren wir, wie heil unsere kleine deutsche Welt bis vor kurzem noch gewesen ist; so heil, dass wir uns gar nichts dabei gedacht haben, Kriegswörter in Friedenszeiten zu benutzen. Wir haben ja nicht nur von Bombenwetter gesprochen, sondern auch von der Bombenstimmung bei der letzten Party oder von explodierenden Inzidenzen in der Pandemie. Wenn der Chef gedrängelt hat, haben wir gesagt: „Ich bin ja hier auf der Arbeit und nicht auf der Flucht.“
Wir haben vom Redner gelesen, der im Bundestag sein Pulver verschossen hat und nun die Waffen strecken muss. Von der Opposition, die in der Debatte schwere Geschütze auffährt. Von der Ministerin, die im Kreuzfeuer der Kritik steht. Vom Schimpfwort, das im Eifer des Gefechts gefallen ist. Von der Kriegskasse des Fußballklubs, die für Spielerkäufe gut gefüllt ist. Von einer granatenstarken Leistung der Heimmannschaft. Vom Linksaußen, der abgeht wie eine Rakete, wirklich mörderisch gut. Und früher, die Älteren werden sich erinnern, von Gerd Müller, dem Bomber der Nation.
Kriegerische Begriffe zu benutzen, um friedliche Zustände zu beschreiben, war schon immer ein bisschen gedankenlos. Aber es zeigte eben auch, wie unvorstellbar es uns erschien, dass all diese Wörter mal nicht Spaß sein könnten, sondern Ernst. Jetzt, im Angesicht von Putins Barbarei, passen sie plötzlich nicht mehr in die Welt.
Das Monster aus Moskau
Was das jetzt heißt? Natürlich wird Putin, nur weil wir hier in Deutschland mehr auf unsere Sprache achten, in der Ukraine kein einziges Kriegsverbrechen weniger begehen lassen. Und doch verändert es etwas, wenn wir gerade jetzt aufpassen, welche Wörter wir benutzen. Wenn wir überlegen, wo unsere Sprache bleiben kann, wie sie war – und wo nicht. Es schärft die Sinne. Es verhindert, dass wir abstumpfen. Dass wir harmlose Dinge zu dramatisch klingen lassen und dadurch dramatische Dinge verharmlosen. Und dass die Sprache zu einem einzigen matschigen Brei wird, in dem irgendwie alles gleich und alles egal ist: jedes Problem, jede Nachricht, jede Wertung. Denn das stimmt ja nicht.
Wenn ein Fußballklub seinen Trainer entlässt, dann ist das eben kein Trainer-Beben, wie der Boulevard gern titelt. Wenn Corona-Beschränkungen fallen, dann ist das kein Freedom Day – weil die Freiheit gerade ganz woanders verteidigt wird. (Dass wir in Deutschland je in einer Corona-Diktatur gelebt haben, haben immer schon nur Leute behauptet, die gewaltig einen an der Marmel haben, aber das ist ein anderes Thema). Nicht jedes Supermarktschnäppchen ist ein Preis-Hammer, nicht jede missratene Choraufführung grauenhaft, nicht jedes Bild vom Tabellenkeller im Sport ein Bild des Schreckens. Es ist sowieso nicht immer alles gleich super-hyper-mega-schlimm, nicht alles Chaos und Katastrophe. Sondern all dieser Alltagskram ist, mal ehrlich, doch letztlich vergleichsweise pillepalle.
Ja, treffendere Begriffe zu suchen, kann anstrengend sein, aber manchmal macht es sogar Spaß. Immer hilft es, die Realität realistisch zu sehen. Und wer zwischendurch doch mal Lust auf etwas weniger Achtsamkeit hat, wer einfach mal Dampf ablassen will in diesen schweren Zeiten, dem sei hier noch ein letzter Gedanke mit auf den Weg gegeben (Kinder, jetzt mal bitte kurz weghören): Seit Putins Überfall auf die Ukraine ahnen wir ja, dass wir auch den bösen, den wirklich ganz und gar ungezogenen Teil der Sprache oft zu leichtfertig benutzt haben – und manches Schimpfwort vorschnell jemandem an den Kopf geknallt haben. Womöglich oft auch jemandem, der uns nun, verglichen mit dem Monster aus Moskau, doch ganz okay erscheint. Wenn wir heute, mit dieser veränderten Perspektive im Kopf, überlegen, wer wirklich eine asoziale Arschgeige, ein elendiges Ekel, ein dummer Drecksack ist, dann … tja, dann denken wir vielleicht: Es kann da doch nur einen geben.
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Bis dahin: alles Gute!
Andreas