Die Freiwillige Feuerwehr ist wahnsinnig wertvoll. Die Männer und Frauen, die dort mitmachen, löschen Brände, helfen Unfallopfern, retten Leben. Einer von ihnen ist Manfred Brüning, Ortsbrandmeister der Feuerwehr Brockdorf und stellvertretender Stadtbrandmeister von Lohne. Ich kenne Manni schon lange, unsere Jungs spielen zusammen Fußball. Aber im Interview habe ich viel Neues über ihn gelernt – und über die Frage, was er durch sein ehrenamtliches Engagement verändert, bei anderen und bei sich selbst.
Wenn Dein Pieper losgeht, was passiert dann bei Dir?
Dann geht bei mir im Kopf eine Schranke zu: zack! Dann habe ich einen Tunnelblick. Dann will ich nur noch helfen. Dann will ich ab zum Einsatzort. Da kommt das Helfersyndrom durch, das alle Feuerwehrleute haben.
Alles andere ist Dir dann egal?
Ja. Ich vergesse dann alles um mich herum. Stell Dir vor, wir stehen am Fußballplatz und gucken beim Spiel unserer Jungs zu, mein Sohn steht im Tor, er hält richtig toll, ich bin stolz und will total gern weiter zugucken, und außerdem schnacken wir auch gerade so richtig nett mit den Eltern am Spielfeldrand. Aber dann geht der Melder los – und ich haue einfach ab. Denn da ist gerade jemand in Not. Das ist erstrangig. Alles andere ist mir dann egal.
Geht Dein Puls dann hoch?
Ja, klar! Wobei, ich bin ja jetzt 52 – und in einem gewissen Alter wird man ein bisschen ruhiger. Wenn nur ein kleines Feuer gemeldet wird, das vielleicht sogar ein Fehlalarm ist, dann bleibe ich ruhig. Oder wenn es heißt: Baum auf Straße, kein Pkw drunter. Anders sieht es aus, wenn es heißt: MTG2 …
… MTG2?
Das ist ein Alarmstichwort. Es bedeutet: Mensch und Tier in Gefahr 2. Also zum Beispiel: Person eingeklemmt, schwerer Verkehrsunfall. Je höher die Zahl, desto größer das Problem. Katze im Baum, das wäre zum Beispiel MTG1. Oder: Kälber sacken in der Güllegrube ein. Ich kriege jede Meldung auf meinen Pieper. Wenn da steht „MTG2, Personen eingeklemmt“, dann geht der Puls immer hoch. Denn dann weiß ich nicht: Was erwartet mich? Trotzdem versuche ich als Einsatzleiter, ruhig zu bleiben.
Wie machst Du das?
Ich versuche, ruhig zu sprechen, nicht laut zu werden, klare Anweisungen zu geben. Ich schreie nicht rum. Denn wenn die Führung hektisch wird, wird der Rest auch hektisch. Dann fragen die sich: Was ist denn los? Ich mache am Einsatzort immer die erste Erkundung und teile dann die Leute ein. Und sage mir: locker bleiben! Ich kann die Situation ja nicht ändern. Was passiert ist, ist passiert. Ich kann das nur vernünftig abarbeiten. Und Hektik ist bei einem Unfall oder bei einem Brand eh schon genug da.
Kannst Du durch Deine Ruhe bei Deinen Kameraden etwas verändern?
Ja, da kann ich sehr viel verändern. Die gucken sich das ab. Wenn ich ruhig bleibe, bleiben die auch ruhig. Und wenn wir auf der Einsatzstelle Ruhe haben, ist das für alle Beteiligten am besten.
Wann hast Du das mal erlebt?
Vor ein paar Jahren, beim großen Brand bei Wiesenhof …
… der Großschlachterei in Lohne …
… da hatten wir 500 Feuerwehrleute. Das war schon eine Riesen-Hausnummer. Und da hatten wir eine gewaltige Ruhe drin. Wenn einer meiner Leute doch mal nervös wird, dann hole ich ihn sachte wieder runter und sage: „Alles gut. Läuft alles.“ Das hilft. Und dann läuft der Einsatz sehr, sehr professionell – und allen macht die Arbeit Spaß.
Wenn Du mit Deiner Frau Elke und Deinen Kindern beim Abendessen sitzt und Dein Pieper geht, verändert sich der Alltag für sie ja auch auf einen Schlag. Wie reagieren sie darauf?
Das kriege ich in dem Moment ja nicht mit – erst später, wenn ich wiederkomme. Tja, die kennen das ja nicht anders. Ich bin jetzt über 20 Jahre Ortsbrandmeister, aber erst 15 Jahre verheiratet. Nee, im Ernst: Sie unterstützen mich total, aber natürlich sind sie oft enttäuscht. Sie haben sich auf einen netten Abend gefreut – und dann ist Papa mal wieder weg.
Woran merkst Du die Enttäuschung?
Wenn ich wiederkomme, fragen sie: „Na, wie war’s?“ Aber sie sagen auch: „Wäre schön gewesen, wenn wir zusammen was gemacht hätten.“ Einmal waren wir in der Freilichtbühne, der Melder ging – also bin ich hoch und weg.
Mitten in der Aufführung.
Mitten in der Aufführung. Wie gesagt: Wenn der Melder geht, kommt der Tunnelblick. Elke hat auch immer einen eigenen Hausschlüssel mit – damit sie ins Haus reinkommt, wenn wir unterwegs sind und ich plötzlich zum Einsatz muss. Ich weiß ja nie, wann’s losgeht.
Wie reagieren Deine Freunde, wenn Ihr Euch abends trefft und Du plötzlich los musst?
Sie sind auch oft ein bisschen enttäuscht. Neulich wollten wir mit Freunden zum Basketball. Wir wollten gerade los, da ging der Melder. Dann kann ich ja nicht sagen: „Nee, ich komme nicht, ich hab jetzt tolle Karten beim Basketball.“ Das zählt dann halt nicht mehr.
Wie sehr belastet Dich das: so oft plötzlich aus dem Alltag herausgerissen zu werden?
Wenn das bei etwas passiert, worauf Elke und die Kinder sich tierisch gefreut haben, dann ist das schon nicht so schön. Aber ich habe mir das ja selbst ausgesucht, mich hat ja keiner dazu gezwungen. Also muss ich auch mit den Nebenwirkungen leben. Ist halt so.
Was ist, wenn der Melder nachts losgeht, während Du schläfst?
Dann bin ich sofort wach. Dann geht das hoch, schnell nach unten im Schlafanzug, Feuerwehrklamotten an, die hab ich ja alle hier, Blaulicht aufs Dach, ab die Post.
Du hörst den Melder wirklich sofort – egal wie tief Du geschlafen hast?
Ja. Erst vibriert er nur, aber dann merke ich schon: Da ist doch was! Der liegt direkt neben dem Bett. Morgens kommt er auch sofort an die Hose. Ohne das Ding gehe ich nicht aus dem Haus.
Warum hast Du damals bei der Freiwilligen Feuerwehr angefangen?
Angefangen habe ich damals meinem Vater zuliebe. Er war mit Leib und Seele Feuerwehrmann, er war krank, und er sagte: „Komm, mach das mal, geh da mal rein!“ Also habe ich das gemacht. Und ich habe schnell gemerkt: Die Freundschaft ist gut. Das passt hier alles. Da will ich weitermachen, da will ich was bewegen. Da will ich auch Verantwortung übernehmen und mitgestalten, wie die Feuerwehr sich entwickelt. Das liegt mir heute noch sehr am Herzen: dass wir weiterkommen. Wir sind schon sehr weit, aber wir wollen noch weiter. Wir bauen ein neues Feuerwehrhaus, wir kriegen ein neues Auto, und ich habe tolle junge Kameraden. Die fördere ich gerne.
Was genau ist es, das Dich antreibt, freiwilliger Feuerwehrmann zu sein?
Vor allem der Gedanke: Ich helfe Menschen in Not. Ich will nicht nur Nehmer sein. Ich will auch was geben. Das kostet mich ja noch nicht mal Geld. Es kostet mich nur Überwindung und Zeit.
Wahnsinnig viel Zeit.
Ja, aber was heißt das: wahnsinnig viel Zeit? Ich kann in dieser Zeit anderen Leuten helfen! Ich möchte ja auch, wenn ich in Not bin, dass jemand mir hilft – und nicht sagt: „Och nö, lass mal, da hab ich jetzt aber gerade keine Zeit für. Ich will lieber mit meinen Kumpels Fußball gucken, Bratwurst essen und Bier trinken.“
Wieviele Stunden bist Du pro Woche einsatzbereit?
Ich bin 24/7 einsatzbereit, 365 Tage im Jahr. Mein Melder ist immer an.
Wirklich immer?
Natürlich gibt es Ausnahmen. Wenn ich auf einer Hochzeit eingeladen bin oder wenn es einen Trauerfall in der Familie gibt oder wir im Urlaub sind, dann melde ich mich bei der Feuerwehr ab. Oder wenn wir uns abends mit Freunden treffen und ich gern mal ein, zwei Bier trinken will – dann gebe ich meinem Stellvertreter Bescheid. Wir achten darauf, dass einer von uns immer verfügbar ist.
Wieviele Stunden pro Woche bist Du für die Feuerwehr aktiv?
Acht, neun Stunden pro Woche mache ich nur Verwaltungskram. Und die Einsätze? Sehr unterschiedlich. Es kann sein, dass wir in einer Woche fünf Einsätze haben. Es kann auch sein, dass wir drei, vier Wochen gar keinen haben.
Du arbeitest als Holzverkäufer beim Baustoffhändler Bergmann in Steinfeld. Was, wenn Dein Pieper bei der Arbeit losgeht?
Mein Chef sagt: „Wenn der Melder geht und Du musst los, dann ab die Post! Ich möchte ja, wenn hier was brennt, auch, dass die Feuerwehr kommt.“ Das läuft hundertprozentig – Hut ab! Ich brauche die Zeit auch nicht nachzuarbeiten. Ich mache das aber immer – das ist mein eigener Anspruch, und ich will auch meinen Schreibtisch sauber haben.
Du hast gesagt, Du willst Menschen in Not unbedingt helfen. Das wollen all die vielen Leute, die sich in unserer Region in der Freiwilligen Feuerwehr engagieren. Was verändert dieses Engagement?
Es schafft ein Bewusstsein dafür, dass der Mitmensch im Mittelpunkt steht. Und nicht immer die Ellenbogenmentalität und das Ich. Wir zeigen: Als Gemeinschaft sind wir stark. Bei unseren jungen Leuten merke ich, wieviel das bewirkt.
Inwiefern?
Wir haben ein paar dabei, die sind sonst total ruhig, aber in der Gemeinschaft blühen sie auf. Weil sie wissen: Gemeinsam bewegen wir hier was Gutes. Wir retten Menschenleben, und wir retten Dinge. Und das verändert etwas. Es verändert unsere Gesellschaft, wenn viele an die Allgemeinheit denken und nicht nur an sich. Diese Veränderung finde ich schön.
Was wäre, wenn es dieses Denken und die Freiwillige Feuerwehr hier nicht gäbe?
Hier in Lohne? Das wäre ein gewaltiger Kostenfaktor für die Stadt Lohne, denn sie bräuchte dann ja eine Berufsfeuerwehr. Und es würde auch sonst viel fehlen. Wir erfüllen ja nicht nur unsere Kernaufgaben: retten, bergen, löschen, schützen. Wir haben in Brockdorf auch eine soziale Funktion. Wir helfen hier, helfen da und machen so das Dorfleben schöner. Vor kurzem hat zum Beispiel eine Bekannte gefragt, ob wir den Kirchplatz für eine Friedensdemo für die Ukraine absperren können. Da hab ich gesagt: „Ja klar!“ Sowas regeln wir auf dem kurzen Dienstweg.
Könntest Du Dir ein Leben ohne Feuerwehr vorstellen?
Ohne Feuerwehr? Nee. Dafür bin ich da zu tief drin. Dafür habe ich als Ortsbrandmeister auch schon zu viel bewegt. Wir haben in den letzten 20 Jahren richtige Quantensprünge geschafft. Allein der Neubau, den wir jetzt angeschoben haben – der ist für mich eine Herzensangelegenheit.
Was hat sich noch verändert in dieser Zeit?
Unser Aufgabengebiet hat sich komplett verändert. Wir sind seit sieben Jahren auch auf der Autobahn. Das zeigt den Kameraden, dass unsere Wertigkeit gestiegen ist: Wir sind keine Dorffeuerwehr mehr, wir sind jetzt eine schlagkräftige Truppe. Wir fahren zwischen 40 und 60 Einsätze im Jahr – früher waren es vier oder fünf. Ein himmelweiter Unterschied.
Was waren die schlimmsten Einsätze, die Du erlebt hast?
Am schlimmsten sind die Einsätze mit Todesfolge.
Wie gehst Du damit um?
Wenn ein Feuerwehrmann sagt „Ich hab da kein Problem mit“, dann hat der so einen Einsatz wahrscheinlich noch nie gehabt. Die Bilder, die wir nach einem schweren Unglück sehen, die sind nicht schön. Und es dauert lange, bis man die verkraftet hat.
Schockieren sie Dich sofort?
Nein, im Einsatz selbst funktioniere ich wie ein Uhrwerk. Danach wird es schwierig. Dann macht man sich Gedanken. Wir hatten mal einen Verkehrsunfall, da ist ein Familienvater verstorben. Da habe ich mich nachher gefragt: Wie geht’s da wohl weiter für seine Frau und die Kinder? Ich bin ja selbst Vater. Und dann sehe ich, wie da ein Mensch aus dem Leben gerissen wird und sich für seine Familie plötzlich alles verändert. Das ist schwierig für mich.
Was hilft Dir, diese Erlebnisse zu verarbeiten?
Wir sprechen nach schweren Einsätzen im Feuerwehrhaus alles noch mal durch. Wenn einer der Kollegen Hilfe braucht, vermitteln wir den Kontakt zu externen Experten. Nicht jeder möchte mit dem Ortsbrandmeister darüber sprechen – vielleicht, weil er denkt, dass er dann Schwäche zeigt. Wobei ich immer sage: Das ist keine Schwäche! Es ist die größte Stärke, zuzugeben, dass man das nicht gut verarbeiten kann. Ich jedenfalls finde das wahnsinnig stark.
Das Reden ist wichtig, oder?
Absolut, ja. Bei uns wird nicht gesagt: „Trink mal ein Bier und einen Schnaps, dann ist das morgen vergessen.“ Denn das ist nicht vergessen! Da hilft auch kein Alkohol. Da hilft ein Glas Wasser – und das Gespräch. Und wenn einer nach einem Einsatz sagt, er kann an dem Tag nicht mehr zurück zur Arbeit: kein Thema, dann wird er von uns entschuldigt. Es bringt ja nichts, wenn er selbst auch noch verunglückt.
Hast Du das selbst schon erlebt?
Klar. Ich bin nach einem Einsatz auch schon mal nur noch ganz kurz zur Arbeit gefahren – und dann nach Hause. Weil es nicht mehr ging. Dann habe ich mich hingesetzt, einen Kaffee getrunken und mir alles durch den Kopf gehen lassen. Und viel mit Elke geschnackt. Dann ging es langsam wieder.
Kommen Dir schlimme Bilder auch mal aufs Bett?
Auch, ja.
Wie hat Dich all das, was Du bei der Freiwilligen Feuerwehr geleistet hast, verändert?
Innerlich bin ich schon ein bisschen stolz auf mich. Ich habe in all den Jahren vier Reanimationen gemacht. Drei haben geklappt. Bei einer war es ein ehemaliger Arbeitskollege, den ich gerettet habe – ich kriege jetzt fast noch Tränen in die Augen, wenn ich daran denke.
Erzähl mal!
Er hat in der Firma das Hallendach saubergemacht und ist durch die Lichtplatte gefallen. Das war am 2.9.1995 um zwei Minuten vor zwölf, das weiß ich heute noch. Er lag da, und dann hab ich ihn wiedergeholt. Und dann hat der Notarzt gesagt: „Das hast Du nicht zum ersten Mal gemacht, oder? Top!“ Das Schönste war, als der Vater und er später zu mir gekommen sind und sich bedankt haben. Ich kriege heute noch Gänsehaut davon. Das war sehr bewegend. Das war ein Erlebnis, wo ich gedacht habe: „Boah, cool! Ich hab ein Menschenleben gerettet!“ Ich will deswegen keine Lorbeeren haben, aber für mich persönlich, fürs innere Wohlbefinden war das toll.
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Bis dahin: alles Gute!
Andreas
Ich habe gerade dieses "Gespräch" mit grösstem Intersse gelesen: fantastisch, dass es Menschen wie Manfred Brüning gibt und Menschen, die sein Tun MEHR in die Öffentlichkeit/ Gesellschaft bringen!!! Bernadette Bosbach aus Lohne