„All die Flausen sind plötzlich weg“
Tillmann Prüfer erzählt, wie seine vier Töchter ihn verändern
Tillmann Prüfer leitet das Ressort „Familie“ von DIE ZEIT und ZEIT ONLINE und ist Vater von vier Töchtern. Über sein Leben mit ihnen schreibt er seit Jahren wunderbar witzige Kolumnen. Im Interview hat der 50 Jahre alte Journalist mir erzählt, was er durchs Vatersein gelernt hat – und wie es ist, in einem Haushalt mit lauter Frauen zu wohnen.
Als Sie zum ersten Mal Vater geworden sind, waren Sie 25 Jahre alt. Wie war das für Sie?
Mir war zwar schon klar, dass wir dieses Kind bekommen wollen. Aber es war ein irrer Schock. Ich hatte das überhaupt nicht vorgehabt und die Mutter auch nicht. Ich meine, wer plant in dem Alter schon ein Kind? Es konnte mir damals nicht mal irgendjemand sagen, worauf ich mich da einlasse. Denn es gab niemanden in meinem Umfeld, der damit Erfahrung hatte.
Weil alle noch kinderlos waren?
Ja, meine Freunde damals, die waren alle so Anfang, Mitte 20, am Wochenende sind sie ins Fußballstadion gegangen oder haben vor dem PC irgendwelche Spiele gezockt. Und sich ansonsten mit ihrem Studium beschäftigt. So wie ich halt. Das Thema Familienplanung war irre weit weg. Das Kind hat mich damals aus meinem Bekanntenkreis mehr oder weniger herauskatapultiert. Ich war plötzlich in einer anderen Welt, in der mich andere Dinge interessierten und interessieren mussten – und mit all meinen Freunden hatte ich eigentlich kein wirkliches Thema mehr. Das war nicht einfach. Und deswegen hab ich in der Zeit, glaube ich, auch vieles falsch gemacht.
Was vor allem?
Meine Partnerin und ich haben uns damals um viele wichtige Fragen gar nicht gekümmert. Es war nur klar, dass wir uns eine gemeinsame Wohnung suchen und von München nach Hamburg ziehen, weil ich dort damals einen Job bekommen habe. Aber wann meine Partnerin wieder in die Arbeit einsteigt, wie wir uns alles aufteilen und wie unser Leben mit Kind funktionieren soll, das haben wir nicht besprochen.
Wozu hat das geführt?
Dazu, dass ich sehr viel arbeiten ging. Denn ich glaubte zu wissen: Als Vater ist man dann eine anerkannte Figur, wenn man sich im Beruf ordentlich engagiert und Geld verdient. Und meine Partnerin bleibt erst mal zu Hause und macht die Mama. Für mich war nicht abzusehen, was das mit einem Paar macht.
Was denn?
Wenn man als junger Jobeinsteiger wie ich damals ehrgeizig eine Aufgabe übernimmt, dann saugt die einen auf. Und wenn man als Frau in den Zwanzigern plötzlich alleine zu Hause in einer fremden Stadt mit dem Kind sitzt, dann wird man einsam. Diese Entwicklung, die hat uns als Paar überrollt. Deswegen hat unsere Beziehung auch nicht lange gehalten. Als Luna zwei Jahre alt war, haben wir uns getrennt. Das war für uns alle eine furchtbare Erfahrung, über die ich mit meiner Tochter später noch lange sprechen musste.
Luna ist damals bei der Mutter geblieben, oder?
Genau. Meine Partnerin ist damals mit Luna wieder zurück nach München gezogen, in das Haus ihrer Eltern. Und ich bin in Hamburg geblieben und war Wochenend-Papa.
Wie war das für Sie?
Ich war überall und nirgends. Unter der Woche habe ich gearbeitet und mein Kind nicht gesehen. Und am Wochenende habe ich mein Kind gesehen, musste aber eigentlich auch noch das ganze andere Privatleben wuppen. Ständig war ich unterwegs, die Strecke Hamburg-München ist ja nicht gerade kurz.
Was haben Sie aus den Fehlern und Überforderungen dieser Zeit für die Beziehung mit Ihrer nächsten Partnerin und heutigen Frau gelernt?
Gar nichts. Denn als mein zweites Kind kam, fragte mich meine Partnerin: „Sag mal, wie wollen wir uns das alles aufteilen?“ Wir waren beide Journalisten, sie war gerade in einen neuen Job eingestiegen, ich hatte gerade eine Führungsposition übernommen. Und ich habe damals gesagt: „Du bleibst doch jetzt erst mal zu Hause, und ich werde weiter arbeiten gehen. Und dann gucken wir mal.“
Wie hat Ihre Partnerin da reagiert?
Sie sagte: „Wie, dann gucken wir mal?“ Und ich so: „Na, ich hab ja jetzt hier erst mal viel zu tun in meiner neuen Position. Und übrigens bin ich bei solchen Fragen ein harter Verhandlungspartner.“ Worauf meine Freundin sagte: „Wie bitte? Ein harter Verhandlungspartner? Du erfährst gerade, dass Du Vater wirst und das Nächste, was Du mir sagst, ist, dass Du ein harter Verhandlungspartner bist? Sag mal, spinnst Du?“
Und dann?
Dann zwang sie mich dazu, dass wir ganz konkret besprechen, wer wann zu Hause bleibt, wer wann die Kinderbetreuung übernimmt und wie wir das mit der Kita-Eingewöhnung machen. Wir haben einen sehr genauen Plan gemacht. Aber keine Aufgabe habe ich aus zugewonnener Weisheit übernommen. Sondern nur durch die Wucht meiner Partnerin. Was ja auch einiges darüber sagt, wie tief verwurzelt die Vorstellung vom männlichen Ernährer in den Köpfen junger Männer heute noch steckt.
Hat Sie das damals überrascht?
Naja, ich war ja kein außergewöhnlich dummer junger Mann, ich war auch nicht außergewöhnlich rückschrittlich. Sondern eigentlich ganz normal. Gelernt habe ich, dass als normal offenbar immer noch die Idee gilt: Meine Rolle als Mann ist die des Ernährers. Ich bekomme meine Anerkennung dafür, dass ich einen guten Job mache. Dann sind alle stolz auf mich, und ich bin ein guter Vater. Wenn einem dieses Rollendenken entzogen wird, fühlt man sich erst mal unsicher und in seiner Männlichkeit gekränkt.
Wie sind Sie dann ein anderer, modernerer Vater geworden?
Indem ich damals mehrere Monate mit meiner zweiten Tochter Lotta zu Hause saß. Ich habe mit Lotta meine erste Elternzeit gehabt. Es war damals noch nicht sehr üblich, sich diese Elternzeit als Vater zu nehmen. Es gab auch noch kein Elterngeld. Aber ich hab es gemacht, während meine Frau sich in ihrem neuen Job bewiesen hat. Da lernt man eine Menge von so einem kleinen Wesen.
Was haben Sie gelernt?
Ich habe gelernt, wie befriedigend das Leben mit einem Baby ist. Und wie anstrengend – weil man ja bis zum Eintreffen der Partnerin für dieses Wesen verantwortlich ist. Und am Abend kommt die Partnerin dann nach Hause und fragt, was es zu essen gibt. Das erscheint einem, wenn man es selbst erlebt, als total crazy. Aber es ist natürlich die Normalität für den Großteil aller Mütter in Deutschland.
Wie hat diese Zeit mit Ihrer Tochter Sie verändert?
Für mich war sie sehr bewusstseinserweiternd, denn ich musste meinen eigenen Zugang zu diesem Kind finden. Ich musste mich fragen: Was machen wir denn jetzt zusammen? Und wie geht das? Das war keineswegs immer nur konfliktlos. Kinder ersterben ja nicht in Dankbarkeit dafür, dass man sich um sie kümmert. Oft sind sie undankbar.
Absolut, ja.
Man geht als Vater, der ein Kind betreut, durch Höhen und Tiefen. Aber man hat auch eine ganz andere emotionale Befriedigung als Väter, die Vollzeit arbeiten. Manche Männer sagen ja, sie könnten mit kleinen Kindern nichts anfangen. Das liegt aber doch daran, dass sie mit den kleinen Kindern gar keinen Kontakt haben und gar nicht die Verantwortung haben, sich mit ihnen zu beschäftigen. Wenn sie das müssen, dann können sie auch was mit ihnen anfangen.
Was haben Sie mit Ihren Töchtern immer besonders gern gemacht?
Vor allem: Quatsch. Und als sie größer wurden, habe ich sie in alle möglichen Museen geschleppt. Ich glaube, es ist wichtig, dass man mit Kindern etwas macht, was man selbst gerne macht. Ganz egal, ob das Zocken an der Wii-Konsole ist, Sport, Wandern – oder eben Museumsgänge. Weil Kinder dann spüren, was ihren Eltern wichtig ist im Leben. Dann können sie sich damit auseinandersetzen – und haben im besten Fall sogar selbst Spaß daran.
Wie haben Ihre Kinder Ihren Blick aufs Leben verändert?
Kinder geben dem Leben eine totale Zentrierung. Das habe ich schon mit 25 gemerkt. Natürlich war es damals ein Schock, Vater zu werden. Aber man weiß dadurch eben auch, worum es im Leben geht. All die Flausen im Kopf sind plötzlich weg. Und all die Fragen, die für junge Menschen ja auch was Quälendes haben, verschwinden.
Welche Fragen meinen Sie?
Was soll ich werden? Soll ich Dichter, Künstler, Aktivist werden? Und wie gebe ich meinem Leben einen Sinn? Plötzlich wusste ich, was der Sinn des Lebens ist: Hier ist ein Kind, das schreit. Mach irgendwas, dass es zufrieden wird. Das hat mich total zentriert. Und gleichzeitig erweitern Kinder ja sehr die Wahrnehmung. Wir laufen ja alle mit einem Tunnelblick durch die Welt. Und Kinder reißen diesen Tunnel auf und zwingen einen, ganz neue Dinge zu sehen.
Was zum Beispiel?
Ich muss mich jeden Tag damit beschäftigen, was meine Kinder so machen, wie sich ihre Sprache entwickelt und wie sich das verändert, was die gerade cool finden. Zum Beispiel hab ich immer gedacht, dass sehr enge Jeans eine coole Sache sind, weil sie jugendlich wirken und man damit auch als Mann in seinen Vierzigern irgendwie noch aussieht wie 30. Aber meine Kinder sagen mir: „Nee! Das ist nicht so. Das ist Zeug, das heute alte Männer tragen. Zieh das aus!“ So etwas passiert einem nur, wenn man Kinder hat – weil die einen unverstellten, kritischen Blick auf ihre Eltern haben und nicht zögern, Feedback zu geben.
In Ihren Kolumnen erzählen Sie oft von derart deutlichem Feedback. Da lästern Ihre Töchter, dass Sie nicht gut Auto fahren können, dass Sie graue Haare kriegen, dass Sie zu enge Jeans tragen. Wie kommen Sie damit klar?
Wenn man damit nicht umgehen kann, sollte man besser keine Kinder haben.
In Ihren Kolumnen schreiben Sie auch: Ich wäre gern ein typischerer Vater und Mann – der handwerklich geschickt ist, gern grillt und mit seinen Kumpels kicken geht. Und meine Töchter sagen manchmal, ich sei nur ein Vaterdarsteller. Tut Ihnen das wirklich weh – oder kokettieren Sie da ein bisschen?
Schwierig ist es für mich manchmal, wenn ich mit anderen Vätern konfrontiert bin, die so erzählen, wie sie die T-Bone-Steaks auf den Webergrill wuchten und sich damit sehr wohlfühlen. Das hat dann immer auch etwas Kompetitives: Wer ist hier der vaterigere Vater? Da mache ich keine gute Figur. Aber im direkten Zusammensein mit meinen Kindern fällt mir das nicht so auf. Die haben ja gar keine Alternative. Die haben ja nur mich.
Wie praktisch!
Ja, aber ich glaube sowieso nicht, dass irgendwelche Kinder auf ihre Eltern gucken und sagen: „Och, ich hätte jetzt aber lieber einen Vater, der einen Meter breiter wäre und besser grillt. Und ich hätte gern eine Mutter, die besser kochen kann.“ Kinder beschäftigen ganz andere Fragen: Ist da jemand für mich da? Hört mir da jemand zu? Oder setzt mich da jemand nur die ganze Zeit unter Druck?
Mittlerweile haben Sie vier Töchter. Wie ist es für Sie, zu Hause der einzige Mann unter lauter Frauen zu sein?
Die älteste Tochter ist mittlerweile ausgezogen. Aber vier Frauen sind immer noch da. Wenn ich morgens ins Bad will und nicht der Erste bin, wird’s schwierig, da überhaupt noch reinzukommen. Weil die alle ihre Phasen haben, in denen sie sich plötzlich sehr stark um die Art und Weise kümmern, wie sie ihre Zöpfe flechten, verschiedene Grundierungen auftragen oder einfach nur laut Musik hören und chillen. Mein Bruder hat drei Söhne und eine Tochter.
Oha, da ist sicher vieles anders.
Ja, er kann mit denen easy Modellflieger basteln und auf Bäume klettern. Das ist etwas, an das ich meine Kinder nie so richtig ranführen konnte. Wenn es bei uns mal eine Modelleisenbahn gab, dann wurde das höflich zur Kenntnis genommen, aber es hat sie nicht weiter beeindruckt. Da ist man dann immer so ein bisschen einsam, als einziger Mann in der Familie, der mit den Kindern auch mal typische Männerdinge tun möchte.
Aber schöne Seiten gibt es wahrscheinlich auch, oder?
Klar! Wir reden viel mehr, als das mein Bruder mit seinen Söhnen so tut. Jungs fallen ja irgendwann in so eine Sprechstarre hinein, wo sie alles mit sich selbst ausmachen oder mit irgendwelchen Kumpels. Und man selbst hat das Gefühl, man kommt gar nicht mehr an sie ran. Das muss ich nicht befürchten. Wenn bei uns was nicht stimmt, wird mir das sofort gesagt. Das ist sehr schön.
Wie haben Sie sich in all den Jahren Kinder und Haushalt mit Ihrer Frau geteilt? Sie sind ja beruflich als Ressortleiter bei der ZEIT sicher ordentlich eingespannt.
Ja, das bin ich. Aber ich glaube, jedes Paar, dass sich diese Frage ernsthaft stellt, bekommt das auch gewuppt. Meine Frau macht immer noch mehr als ich, aber ich mache eben auch meinen Anteil. Und wenn ich das kann, mit meinem Job, dann glaube ich, können das andere Väter auch.
Ihre Töchter sind jetzt 24, 18, 16 und 10. Haben Sie durch jede Tochter das Vatersein besser gelernt?
Das habe ich immer wieder geglaubt. Aber es stimmt nicht. Denn jedes Kind hat andere Ansprüche und kommt mit einem komplett eigenen Charakter auf die Welt. Ich hätte gedacht, dass ich mich beim dritten Kind so nebenbei um die Erziehung kümmern kann und dass alles ganz easy ist und das Kind so mitläuft. Das ist aber nicht so. Kein Kind läuft einfach so mit. Jedes Kind ist eine neue Herausforderung. Aber darin liegt ja auch der Reiz der ganzen Geschichte.
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Andreas